Impfstoffe

Pharma-Patente nicht in Frage stellen

Die Diskussion über Zwangslizenzen zur Steigerung der Impfstoffproduktion gegen Covid-19 ist nicht zielführend und verkennt die tatsächlichen Probleme.

Pharma-Patente nicht in Frage stellen

Von Claudia Milbradt*)

Vor Kurzem meldete das Europäische Patentamt einen deutlichen Anstieg von Pharmapatentanmeldungen 2020. Zugleich stiegen die Patentanmeldungen im Bereich der Medizin- und Biotechnologie. Deutschland liegt hierbei nach Amerika weltweit auf Platz 2 der größten Patentanmeldeländer und steht in Europa unangefochten an der Spitze. Dies gilt auch für den Bereich der Pharmapatente, wo Deutschland im Gegensatz zum Vorjahr eine deutliche Steigerung der Anmeldungen um 8% verzeichnen konnte.

Immer wieder gibt es Stimmen in der Gesellschaft, die Patente im Pharmabereich als fragwürdig und nicht sozial darstellen. Auch bei dem gegenwärtigen Impfdebakel ist der Ruf nach Zwangslizenzen schnell laut geworden. Doch: Nutzt es irgendjemandem, wenn es keine Patente im Pharmabereich geben würde? Und würde der Impffluss zurzeit schneller fließen? Die klare Antwort auf beides ist: Ein fehlender Patentschutz im Pharmabereich würde der Allgemeinheit schaden. Und nein, wir würden nicht schneller mit dem Impfen vorankommen.

Lange Vorlaufzeit

Forschung und Entwicklung ist geprägt von jahrzehntelangen Bemühungen, Trial and Error. Auch der Biontech-Impfstoff basiert auf der Forschung des Unternehmens mit mRNA-Impfstoff in der Krebstherapie. Nicht jedes Projekt führt am Schluss zu einem wirksamen Arzneimittel. Von tausenden getesteten Substanzen erweisen sich nur wenige als überhaupt geeignet, und es bedarf eines erheblichen Forschungsaufwands, um diese zur Zulassung anzumelden. Hier steht der Wirkstoff gleich vor der nächsten Herausforderung: teure klinische Studien. Einer großangelegten amerikanischen Untersuchung zufolge erlangt nur jedes zehnte Projekt, das in Phase 1 der klinischen Entwicklung gelangt, letztlich eine Zulassung. Von der Idee bis zur Marktreife vergehen im Schnitt mehr als 13 Jahre. All das kostet viel Geld. Gleichzeitig profitieren wir als Gesellschaft davon, dass gegen die verschiedenen Erkrankungen neue Medikamente entwickelt worden sind, die die Lebensqualität und Lebenserwartung betreffen. Dank vielfältiger Medikamente ist etwa die HIV-Infektion mittlerweile eine beherrschbare Krankheit.

Nicht zuletzt am Beispiel der raschen Impfstoffentwicklung gegen Sars-CoV-2 zeigt sich uns allen, wie wir von dem Einsatz in den F&E-Abteilungen profitieren. Diese unternehmerischen Entscheidungen und jahrelangen Forschungsaktivitäten müssen auch im Falle des Erfolges finanziell belohnt werden. Das geht nur, indem die zugrundeliegenden Erfindungen für Arzneimittel-Zusammensetzungen oder Herstellungsprozesse patentrechtlich geschützt sind, der erhebliche Wert von Impfstoffpatenten bildet einen unverzichtbaren Anreiz für unternehmerisches Tätigwerden trotz der damit verbundenen Risiken in einem großen und umkämpften Markt.

Das bedeutet nicht, dass nicht in Notsituationen der Staat die Möglichkeit haben muss, dem Patentinhaber aufzuerlegen, Zwangslizenzen einzuräumen. Das ist im deutschen Patentrecht in §24 auch so vorgesehen. Eine Zwangslizenz hat zwei Voraussetzungen. Zum einen bedarf es eines öffentlichen Interesses, das von der Rechtsprechung im Rahmen einer umfassenden Abwägung der Umstände des Einzelfalls bestimmt wird.

Es wird mit Blick auf den erheblichen Eingriff in die Rechte des Patentinhabers tendenziell eng verstanden. Insbesondere genügt nicht allein das Interesse an der Wahrung der Gesundheit der Bevölkerung, wenn es andere Präparate am Markt gibt, die eine ungefähr gleichwertige Medikation ermöglichen. Zum anderen setzt eine Zwangslizenz voraus, dass sich der Lizenzsucher innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen.

Außerdem ist das Bundesgesundheitsministerium gemäß §5 Absatz 2 Nummer 5 Infektionsschutzgesetz ermächtigt, die Benutzung eines Pharmapatents im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes anzuordnen. Dies hat eine vergleichbare Wirkung wie eine Zwangslizenz, der Patentinhaber erhält aber zumindest einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Gleichsam greift die Benutzungsanordnung nochmals schärfer in die Rechte des Patentinhabers ein, weil sein Patent im Umfang der Anordnung aufgehoben wird, während die Zwangslizenz nur gegenüber den jeweiligen Lizenznehmern besteht. Deshalb ist die öffentliche Wohlfahrt auch nochmals enger auszulegen, als das öffentliche Interesse im Sinne des §24 Patentgesetz, indem es auf die notwendige öffentliche Daseinsvorsorge beschränkt wird.

Würden jetzt Pharmafirmen in Deutschland mitteilen, dass sie sofort mit der Produktion von einem der Sars-CoV-2 Impfstoffe beginnen könnten und dies allein wegen etwaiger entgegenstehender Patente nicht geschehen würde, könnte man darüber nachdenken, Zwangslizenzen auf der Basis des öffentlichen Interesses einzuräumen. Aber: Bisher gibt es im Zweifelsfall nur Patentanmeldungen, die ohnehin nicht zu Unterlassungsansprüchen führen, sondern nur im Falle der Registrierung ex tunc zu Entschädigungsansprüchen. Außerdem ist ein solches Drittangebot soweit ersichtlich gar nicht vorhanden. Grund dafür wird unter anderem sein, dass es der Unterstützung durch den Know-how-Träger bedarf – auch weil Patentanmeldungen ja noch nicht veröffentlicht sind. Damit sind Kooperationen zwischen Impfstoffentwicklern und potenziellen Herstellern gerade unter Zeitdruck der richtige Weg zur schnelleren Produktion.

Die Besonderheit bei Patenten von Impfstoffen ist, dass sie wegen etwaiger jährlicher Anpassungen auf Virusmutanten – wie es auch für die Sars-CoV-2-Mutanten zu erwarten ist – tendenziell häufiger angemeldet werden müssen. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht etwaige Anpassungen für zukünftige Vakzine bereits in den ersten Patentanmeldungen vorweggenommen wurden. In diesem Fall würden etwaigen zukünftigen Patentanmeldungen die eigenen in den ersten Patentanmeldungen angelegten Ergebnisse neuheitsschädlich entgegenstehen. Außerdem sollte die Anmeldung das Szenario antizipieren, dass die Krankheit durch den Impfstoff ausgerottet wird, er sich aber für zunächst nicht beabsichtigte Anwendungen eignet, wie etwa zur Bekämpfung einer weiteren Krankheit. Die Patentanmeldestrategie ist für Impfstoffe also durchaus komplex.

Ein weiteres aufwendiges Thema sind die Zulassungen: Wie wir ebenfalls durch die verschiedenen Corona-Vakzine gelernt haben, gibt es unterschiedliche Zulassungen für unterschiedliche Altersklassen, die jeweils unterschiedliche Studien erfordern. Dem Aufwand der Zulassungsprozesse und der zugrundeliegenden Studien wird allerdings durch verlängerte Schutzdauer von Patenten im Rahmen ergänzender Schutzzertifikate bis maximal fünf Jahre Rechnung getragen.

Es hapert an anderer Stelle

Theoretisch mag es denkbar sein, dass ein Patent dahingehend missbraucht wird, dass lebensnotwendige Arzneimittel nicht angeboten werden können. Für einen solchen Fall gibt es aber wie gesagt die mögliche Zwangslizenz und in der akuten Pandemielage der weitere Zugang zur patentgeschützten Erfindung über das Infektionsschutzgesetz. Zusätzlich ist im Patentrechtsmodernisierungsgesetz, das derzeit im Bundestag beraten wird, ausdrücklich vorgesehen, dass Unterlassungsverfügungen aus Patenten immer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen müssen und etwaige Drittinteressen angemessen zu berücksichtigen sind. Auch ohne dieses Gesetz war der Verhältnismäßigkeitsansatz bereits als allgemeiner Grundsatz stets zu berücksichtigen.

Das Check-und-Balance-System ist im deutschen Patentrecht also verankert und funktioniert. Das Patentsystem grundsätzlich in Frage zu stellen, zeigt eine Ignoranz dafür, wie Forschung und Entwicklung funktioniert und dass die Pharma- und Biotechindustrie mit Anreizsystemen funktioniert. Auch der Ruf nach Zwangslizenzen in der gegenwärtigen Impfmisere verkennt die tatsächlich zugrundeliegenden Probleme: Rohstofflieferengpässe für die Impfstoffproduktion, erforderliche Qualitätskontrollen, zertifizierte Produktionsstätten, Komplexität des Herstellungs-Know-hows und der Wille von allen Beteiligten, auch gewisse Risiken in Kauf zu nehmen.

*) Dr. Claudia Milbradt ist Partnerin und Leiterin der deutschen IP-Praxis von Clifford Chance in Düsseldorf.