Preisanstiege wirken sich auf M&A-Deals aus
Von Hermann Knott und Frank Matzen*)
Es gibt kein Unternehmen, bei dem der akute Preisanstieg nicht nachhaltig zu spüren ist. Man kann auch keine kurzfristige Besserung erwarten, eher im Gegenteil. Es ist daher dringend geboten, die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen auf M&A-Transaktionen zu untersuchen, und zwar sowohl unter betriebswirtschaftlicher als auch unter rechtlicher Perspektive.
Drei Szenarien
Die rasanten Preiserhöhungen sind Folge des Angriffs auf die Ukraine. Als Stichtag, ab dem man die Entwicklungen zumindest dem Grundsatz nach abschätzen konnte, lässt sich der 24. Februar 2022 festlegen. Man kann im Hinblick auf die Auswirkungen des Anstiegs der Preise zwischen drei Szenarien unterscheiden: (i) Die Transaktion war vor dem Beginn der kriegerischen Handlungen am 24. Februar 2022 bereits vollzogen, (ii) der Vertrag war zwar unterzeichnet, aber wegen offener Bedingungen noch nicht wirksam, oder (iii) der Deal wurde erst nach dem 24. Februar 2022 unterzeichnet.
Im zweiten Schritt ist danach zu differenzieren, ob es eine vertragliche Regelung für den Eintritt unvorhergesehener Ereignisse gibt. Für den Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Vollzug wird in M&A-Transaktionen häufig eine sog. Material-Adverse-Change-Klausel („MAC“) vereinbart. Diese sieht die Berechtigung zur Vertragsanpassung oder Rücktritt im Falle unvorhergesehener nachteiliger Ereignisse (MAC-Ereignis) vor. In vertraglichen Regelungen können die Voraussetzungen für Anpassung oder Rücktritt gezielt an die konkreten Verhältnisse des betroffenen Unternehmens oder der Branche angeglichen werden.
Daneben gibt es die gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Diese werden in M&A-Transaktionen meist vertraglich ausgeschlossen. Für die Zeit bis zum Vollzug wird deshalb häufig eine MAC-Klausel vereinbart. Tritt ein MAC-Ereignis nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Transaktion ein, dann gilt in der Regel nur noch der im Unternehmenskaufvertrag vereinbarte Ausschluss von Rückabwicklung oder Anpassung. Für vor dem 24. Februar 2022 bereits vollzogene Transaktionen kann der Käufer gegen diesen Ausschluss ggf. noch erfolgreich vorgehen: Die derzeitigen Auswirkungen waren ja nicht vorhersehbar.
Mehr Anpassungsmöglichkeiten bestehen, wenn die Parteien den Kaufpreis ganz oder teilweise von der künftigen Entwicklung z.B. des Ergebnisses vor Zinsen und Steuern (Ebit) des Unternehmens abhängig gemacht haben (sog. Earn-out). Oft wird aber nicht der bereits festgelegte Kaufpreis angepasst, sondern ein Zusatzkaufpreis in Abhängigkeit vom künftigen Gewinn versprochen. Dem Earn-out lässt sich entnehmen, welche Erwartungen die Parteien an das Zielunternehmen hatten. Auf dieser Basis lassen sich Anpassung oder Rücktritt besser begründen.
Regelungen zum Kaufpreis
Unternehmenskaufverträge enthalten häufig Regelungen zur Kaufpreisanpassung bezogen auf das Datum des Vollzugs der Transaktion. Hieraus können sich Korrekturen im Falle unvorhergesehener bilanzieller Veränderungen ergeben. Folgende Regelungen kommen insoweit in Betracht: Der Käufer möchte ein Unternehmen übernehmen, das einen ausreichenden Grad der Finanzierung des laufenden Geschäfts aufweist. Dafür legen die Parteien als Ergebnis der Kaufvoruntersuchung (Due Diligence) des Käufers die Höhe des normalisierten Working Capital fest. Wird dieser Referenzwert überschritten, muss der Käufer nachzahlen. Wird er nicht erreicht, reduziert sich der Kaufpreis entsprechend.
Aktuell führen die gestiegenen Beschaffungskosten zu einer überproportionalen Erhöhung des Working Capital. Die höheren Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten aus dem verteuerten Einkauf kompensieren diesen Effekt nicht; für den Einkauf gelten in der Regel kürzere Zahlungsziele, als höhere Forderungen als Folge ebenfalls gestiegener Verkaufspreise im Vertrieb entstehen. Dies liegt zum einen an der üblichen Dauer des Umschlags der eingekauften Waren und Vorräte, zum anderen an der verzögerten Erhöhung der Verkaufspreise. Insgesamt gesehen ist die Entwicklung des Working Capital aus Sicht des Käufers eines Unternehmens daher aktuell unter dem Gesichtspunkt der Kaufpreisanpassung im Unternehmenskaufvertrag nicht günstig.
Die durch die Erhöhung des Working Capital entstehende Pflicht des Käufers zur Nachzahlung des Kaufpreises lässt sich durch eine Indexierung dieser Finanzkennzahl vermeiden. Man sollte also statt einer fixen Höhe des Working Capital dieses von einer die Veränderung der Bewertung von Vorräten und Materialeinsatz angemessen reflektierenden Vergleichsgröße abhängig machen. Dieser Index sollte branchenbezogen gewählt werden, also abhängig davon sein, welche Produkte für die Einkaufspreise ausschlaggebend sind.
Der Verkäufer wird allerdings bevorzugen, das Working Capital aus einem zukunftsbezogenen Referenzwert zu bestimmen (sog. Forward-Looking Benchmark). Diese ergeben sich aus der Planungsrechnung des Zielunternehmens, wie das auch bei Wachstumsunternehmen praktiziert wird. Im Falle vor dem 24. Februar 2022 abgeschlossener Transaktionen dürften die Planungsrechnungen die aktuellen Entwicklungen allerdings nicht mehr aussagefähig berücksichtigen.
Soll sich der Verkäufer denn auf eine Indexierung des Working Capital einlassen? Nach herkömmlicher Gestaltung der Kaufpreisanpassung würde ja der Käufer das höhere Working Capital zu bezahlen haben. Der Verkäufer wird vorbringen, das erforderliche Working Capital habe sich ja auch tatsächlich erhöht. Richtig, wird der Käufer erwidern, deswegen müsse er ja auch nicht mehr bezahlen, das Niveau habe sich eben erhöht.
Tendenziell höhere Schulden
Beim Unternehmenskauf wird der Kaufpreis unter der Annahme berechnet, dass das Unternehmen keine Finanzverbindlichkeiten und keine Barmittel hat (debt & cash free). Soweit diese vorhanden sind, wirken sie sich kaufpreismindernd aus. Die aktuellen Verhältnisse führen tendenziell zu einer höheren Verschuldung der Unternehmen: Der Aufwand für den Einkauf der Vorräte und Vormaterialien ist rapide angestiegen. Dementsprechend verringern sich auch die Barmittel. Beide Effekte reduzieren den am Vollzugstag fälligen Kaufpreis für das Zielunternehmen. Dies erscheint auch wirtschaftlich angemessen: Für den Zeitraum bis zum Wirksamwerden der Transaktion trägt der Verkäufer das wirtschaftliche Risiko des Betriebs, und dazu gehört die Belastung aus der Finanzierung des Einkaufs.
Effiziente Streitbeilegung
Wir können festhalten: Aus den aktuellen Preissteigerungen können zwischen den Parteien des Unternehmenskaufvertrages Differenzen entstehen, vor allem soweit es um wesentlich nachteilige Veränderungen (MAC-Event) vor Vollzug der Transaktion und die Kaufpreisanpassung geht. Meinungsverschiedenheiten betreffend die Kaufpreisanpassung sollte ein Schiedsgutachter (Expert Arbitrator) für die Parteien verbindlich entscheiden.
Beim MAC-Event sind die Parteien daran interessiert, möglichst rasch zu wissen, ob ein solches vorliegt und, wenn ja, ob es den Käufer zum Rücktritt berechtigt. Natürlich könnte der Käufer einfach den Vollzug der Transaktion verweigern. Wird eine solche einseitige Entscheidung vom Käufer aber ohne objektive, wenn auch nur vorläufige und wegen der Eile eher überschlägige Nachprüfung gefällt, kann der Schaden im Nachhinein viel größer sein, als wenn ein unabhängiger Schiedsgutachter innerhalb kurzer Frist entscheidet, ob ein MAC Event vorliegt und dieses zum Rücktritt berechtigt. Diese Entscheidung sollte für die Parteien dann auch nur vorläufig verbindlich sein und in einem anschließenden Schiedsverfahren überprüft werden können.
*) Dr. Hermann Knott ist Partner der Kanzlei Kunz Rechtsanwälte, Köln, und Dr. Frank Matzen Direktor für Strategy and Transactions bei EY, Eschborn.