Reform der Schiedsverfahren nutzt dem Standort
Reform der Schiedsverfahren nutzt dem Standort
Wichtiger Erstimpuls, doch eine kritische Überprüfung des materiellen deutschen Rechts ist daneben notwendig
Von Boris Kasolowsky, Hannah Eckhoff und Leane Meyer *)
Das im April veröffentlichte Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums mit zwölf konkreten Vorschlägen zur Reform des Schiedsverfahrensrechts hat für ein geteiltes Echo gesorgt. Einerseits wurden die konkreten Reformvorschläge in der Debatte als richtiger Ansatz begrüßt. Andererseits wurde kritisiert, dass die Vorschläge zu kurz greifen. Wie so oft, dürfte die Wahrheit in der Mitte liegen.
Schiedsverfahren sind in internationalen Streitigkeiten häufig das Mittel der Wahl zur Streitbeilegung. Dies liegt vor allem an der nahezu universellen Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen. Aber auch die Möglichkeit einen neutralen Schiedsort zu bestimmen, Schiedsrichter mit besonderen Sachkenntnissen zu wählen, die Beschränkung auf nur eine Instanz sowie die flexible Verfahrensgestaltung spielen eine wichtige Rolle.
Staatliche Gerichtsverfahren können diesen Interessen der Parteien nicht in gleichem Maße entsprechen, auch wenn in Bezug auf den letztgenannten Aspekt durch die nun auch in Deutschland geplante Einrichtung spezieller Commercial Courts mit einer internationalisierten Verfahrensgestaltung Boden gut gemacht werden kann.
Standortfaktoren
Unter den europäischen Schiedsorten schaffen bisher nur die Städte London, Paris, Genf und Stockholm den Sprung in die Top 10 der weltweit beliebtesten Schiedsorte, wie jüngste Umfragen der Queen Mary University of London zeigen. Deutschlands populärster Schiedsort Frankfurt am Main rangiert weltweit auf Platz 17.
Während die Länder der vier führenden europäischen Schiedsorte ihr Schiedsverfahrensrecht regelmäßig modernisierten, reformierte Deutschland sein Schiedsverfahrensrecht zuletzt vor 25 Jahren umfassend.
Dass die nun geplante Reform damit zu begrüßen ist, um die Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort zu steigern, liegt auf der Hand. Denn um sich als führender Schiedsort zu etablieren, muss Deutschland Nutzern von Schiedsverfahren einen Rechtsrahmen für die Verfahrensführung bieten, der die beschriebenen Vorteile von Schiedsverfahren in effizienter Weise fördert.
Gleichwohl spielen bei der Wahl des Schiedsortes noch weitere Faktoren eine entscheidende Rolle. Hierunter fallen die Neutralität und Schiedsfreundlichkeit der staatlichen Gerichte ebenso wie die Attraktivität des materiellen Rechts. Letztlich bedarf es deshalb für die Antwort auf die Frage, was einen führenden Schiedsort ausmacht, einer ganzheitlichen Betrachtung, die neben dem Schiedsverfahrensrecht auch weitere Faktoren einbezieht.
Effizienzstärkung
Eine Vielzahl der Reformvorschläge des Eckpunktepapiers – wie die Ermöglichung von mündlichen Verhandlungen per Videokonferenz, die Einführung neuer Regelungen zur Bestellung des Schiedsgerichts in Verfahren mit mehr als zwei Parteien oder die Ermöglichung von schiedsgerichtlichem Eilrechtsschutz vor Konstituierung des Schiedsgerichts – soll die Effizienz des Verfahrens steigern und so ein positives Signal hinsichtlich dieses wichtigen Kriteriums bei der Wahl des Schiedsortes setzen.
Weitere Faktoren, die die Attraktivität eines Schiedsortes beeinflussen – wie beispielsweise die Neutralität und Schiedsfreundlichkeit der staatlichen Gerichte – können zwar nicht selbst direkter Regelungsgegenstand einer Schiedsreform sein. Möglich ist es aber, Rahmenbedingungen zu schaffen, die jedenfalls indirekt – beispielsweise durch die Steigerung der Internationalität der Verfahren und der Bündelung der Expertise der Gerichte – auch die Neutralitätswahrnehmung und Schiedsfreundlichkeit weiter verbessern.
Das Eckpunktepapier enthält hierzu wichtige Ansätze für gerichtliche Annexverfahren, das heißt Verfahren, in denen staatliche Gerichte den Schiedsspruch für vollstreckbar erklären bzw. den Schiedsspruch in Extremkonstellationen aufheben können. Aufgrund des Charakters von Schiedsverfahren als auf eine Instanz beschränkte Verfahren ist die gerichtliche Kontrollkompetenz insofern jedoch stark eingeschränkt.
Im Wettbewerb
Durch die Reform soll es den Parteien in den Annexverfahren nun ermöglicht werden, den Schiedsspruch und die relevanten Schriftstücke aus dem Schiedsverfahren auch in englischer Sprache vorzulegen. In Verfahren vor Commercial Courts soll bei Vorliegen der Zustimmung der Parteien auch das gesamte Verfahren auf Englisch geführt werden können.
Die Annexverfahren würden durch die Reform nicht nur vereinfacht, kostengünstiger sowie internationaler, sondern die Verfahrensführung auf Englisch könnte sich auch positiv auf die Wahrnehmung der Neutralität der deutschen Gerichte auswirken.
Der Reformvorschlag ist daher ein wichtiger Schritt, um die Attraktivität Deutschlands gerade für nicht-deutschsprachige Parteien und Verfahren, in denen ein ausländisches materielles Recht Anwendung findet, zu steigern. Denn hier besteht im Vergleich zu den beliebtesten europäischen Schiedsorten Nachholbedarf.
Um die beschriebenen Vorteile voll ausschöpfen zu können, bedarf es gerade der Möglichkeit, die Verfahren vollständig auf Englisch zu führen. Nur so kann garantiert werden, dass auch internationale Unternehmen ohne (häufig kostspielige) Übersetzungen das Verfahren problemlos mitverfolgen können. Daher sollte die Möglichkeit vollständig englischer Verfahren nicht auf Commercial Courts beschränkt bleiben, die bisher nur wenige Bundesländer einführen wollen.
Sinnvoller wäre es, an sämtlichen Oberlandesgerichten eine spezialisierte Kammer mit Annexverfahren zu betrauen. Darüber hinaus dürfte eine Erweiterung der Verfahrenssprache bei einer konsequenten Umsetzung auch nicht vor dem BGH Halt machen, um die Vorteile der englischen Verfahrensführung nicht in nächster Instanz zu revidieren.
Bündelung an Zuständigkeiten
Weiterhin bietet sich – wie bereits im Eckpunktepapier angedacht – eine Bündelung der Zuständigkeit von einzelnen Oberlandesgerichten über Ländergrenzen hinweg an. Denn die Verteilung der Zuständigkeit auf derzeit 24 Oberlandesgerichte führt dazu, dass die einzelnen Gerichte – gerade auch im Vergleich mit anderen Schiedsorten, wo zuweilen landesweit nur ein einziges Gericht zuständig ist – teilweise nur wenig Erfahrung im Umgang mit Annexverfahren aufbauen können. Eine Zuständigkeitsbündelung könnte die Entwicklung schiedsverfahrensrechtlicher Expertise weiter fördern und damit möglicherweise eine Verbesserung hinsichtlich der Einheitlichkeit, Vorhersehbarkeit sowie Schiedsfreundlichkeit der Rechtsprechung bewirken.
Die Attraktivität des materiellen Rechts ist für Unternehmen häufig ein weiterer wichtiger Faktor für die Wahl des Schiedsorts. Während das verwandte schweizerische Recht als allgemeinhin akzeptierte Rechtswahl gilt, wird das deutsche Recht bisher weniger häufig gewählt.
Reform des AGB-Rechts
Die beiden Rechtssysteme unterscheiden sich insbesondere dadurch, dass das deutsche Recht zwingend eine allgemeine Inhaltskontrolle von AGB im Unternehmensverkehr vorsieht. Inwieweit einzelne Klauseln in Verträgen zulässig sind, ist oft von den Umständen des Einzelfalls geprägt. Für Unternehmen resultiert daraus Rechtsunsicherheit.
Da es aber gerade die Vorhersehbarkeit eines Rechtsystems ist, die für Parteien bei der Wahl des materiellen Rechts ausschlaggebend ist, wirkt sich dies auf die Attraktivität des deutschen Rechtsaus.
Auch wenn von der Justizministerkonferenz bereits im Ende 2022 eine Reform des AGB-Rechts angeregt wurde, wurden bisher keine Vorschläge für eine diesbezügliche Überarbeitung des materiellen Rechts gemacht. Ein Signal, dass es hier zukünftig für Unternehmen positive Veränderungen geben könnte, wäre ein weiterer Impuls, um die Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort – auch abseits des Schiedsverfahrensrechts – weiter zu steigern.
*) Boris Kasolowsky, Hannah Eckhoff und Leane Meyer sind Anwälte bei Freshfields Bruckhaus Deringer.