Gesetzgebung

Reform des Urheber­rechts wirft Fragen auf

Wird, was lange währt, am Ende gut? Im Fall der beschlossenen Reform des deutschen Urheberrechts sind Zweifel angebracht. Was bisher geschah: 2015 erklärte die Europäische Kommission den „digitalen Binnenmarkt für Europa“ zu einer ihrer obersten...

Reform des Urheber­rechts wirft Fragen auf

Von Stefan Lütje und Helena Müller*)

Wird, was lange währt, am Ende gut? Im Fall der beschlossenen Reform des deutschen Urheberrechts sind Zweifel angebracht. Was bisher geschah: 2015 erklärte die Europäische Kommission den „digitalen Binnenmarkt für Europa“ zu einer ihrer obersten Prioritäten. Es sollte ein einheitlich regulierter und vernetzter digitaler europäischer Binnenmarkt geschaffen werden. 30 Gesetzesvorhaben und vier Jahre später wurde im Juni 2019 mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSM-RL) ein Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Binnenmarkt erreicht.

Der Verabschiedung waren europaweit massive Proteste vorausgegangen. Der Unmut richtete sich vor allem gegen Upload-Filter und „Zensur“ im Internet. Im Mai 2021 folgte dann das „Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“ (BR-Drs. 142/21), das nun am 1. August in Kraft tritt. Kernstück der Umsetzung ist das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG), mit dem die Verantwortlichkeit und Haftung der Plattformbetreiber für von Nutzern eingestellte urheberrechtsverletzende Inhalte umgesetzt und neu geregelt wird.

Was sich ändert

Erklärtes Ziel des deutschen Umsetzungsentwurfs ist es, „die Rechte und Interessen aller Beteiligten (…) bestmöglich zur Entfaltung zu bringen“. Keine leichte Aufgabe, stehen sich doch die Interessen gleich dreier betroffener Gruppen zum Teil diametral gegenüber: Urheber und Kreativwirtschaft, deren Inhalte oft unlizenziert und unvergütet kopiert, verwertet und bearbeitet wurden, möchten künftig wieder gefragt werden und ihre Zustimmung von einer adäquaten Vergütung abhängig machen können. Plattformen und Diensteanbieter, denen beliebte Kreativinhalte Aufmerksamkeit, hohe Klickraten und damit bedeutende (Werbe-) Einnahmen bescherten, sehen ihr Ge­schäftsmodell in Gefahr. Nutzer, die in einer Doppelrolle als Konsumenten und als Programmanbieter agieren, möchten weiterhin Inhalte im Netz sowohl konsumieren als auch erstellen und teilen.

Das neue Gesetz versucht diesen Interessenkonflikt auszugleichen, indem es die Diensteanbieter als kommerziell größte Nutznießer in die Pflicht nimmt. Sie müssen künftig technische Schutzmaßnahmen vornehmen, um eine unberechtigte Nutzung zu unterbinden („Upload-Filter“) und selber Lizenzen für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke erwerben, wenn deren Nutzung durch ihre Dienste ermöglicht wird.

Pflichten der Diensteanbieter

Wer als Diensteanbieter künftig in diese erweiterte Verantwortung gezogen wird, ist durch das neue Gesetz allerdings nicht abschließend geklärt. Denn während etwa große Videoplattformen erklärtermaßen in den Anwendungsbereich fallen sollen, ist dies für Social-Media-Plattformen zweifelhaft. Klarheit werden hier wohl deutsche Gerichte schaffen müssen.

Diensteanbieter werden durch die Urheberrechtsreform künftig nicht mehr als „neutrale“ Plattform behandelt. Während Youtube & Co. bisher also nur auf Urheberrechtsverstöße reagieren mussten, wenn Rechteinhaber sie auf Verstöße aufmerksam machten, können sie künftig für alle hochgeladenen Inhalte auch selbst urheberrechtlich verantwortlich ge­macht werden. Außerdem sind Diensteanbieter zur Einholung von Lizenzen gegen Bezahlung verpflichtet. In der Praxis sollen diese Lizenzen von den Verwertungsgesellschaften vergeben werden, gegenüber denen Urheber einen direkten Vergütungsanspruch haben. Bei Zitaten, Karikaturen und Parodien sowie im Falle von urheberrechtlichen Schranken müssen jedoch auch künftig keine Lizenzen eingeholt werden. Die entsprechende Verwendung ist also auch ohne Erlaubnis möglich, jedoch vergütungspflichtig.

Sind Inhalte mit Werken Dritter weder lizenziert noch gesetzlich erlaubt, muss der Diensteanbieter sicherstellen, dass diese nicht verfügbar gemacht bzw. entfernt werden, wenn der Rechteinhaber dies verlangt oder ihn auf eine unerlaubte Wiedergabe des Werkes hinweist. Doch auch ohne solche Hinweise gilt für Diensteanbieter künftig die Pflicht, selber Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, also einen sogenannten „Pre-Check“ der Inhalte durchzuführen. Das gilt auch bei mutmaßlich erlaubten Nutzungen – beispielsweise bei maximal 15-sekündigen Videoausschnitten. Um diesen Verpflichtungen nachzukommen, ist angesichts der Menge der täglich neu hochgeladenen Inhalte der Einsatz von automatisierten Upload-Filtern unerlässlich. Und wie bei jedem automatischen Filter besteht dabei die Gefahr, dass Algorithmen zu wenig oder aber zu viel filtern.

Gerade im Hinblick auf ein womöglich unverhältnismäßiges Overblocking bemüht sich das deutsche Gesetz um ein komplexes Regelwerk, das Ausnahmen von der Blockierungspflicht und Rückausnahmen hiervon umfasst und zum Teil weit über den durch die Richtlinie zwingend vorgegebenen Rahmen hinausgeht. Der Rechteinhaber muss jedoch in jedem Fall über mutmaßlich erlaubte Nutzungen informiert werden.

Umstritten bleibt in diesem Zusammenhang das sogenannte „Red-Button-Verfahren“: Ist der Rechteinhaber nicht mit der Nutzung einverstanden, kann er gegen die weitere rechtswidrige Verbreitung der Inhalte vorgehen. Dafür muss er gegenüber der betroffenen Plattform erklären, dass er von einem un­erlaubten Inhalt ausgeht und die wirtschaftliche Verwertung seines Werks durch die Wiedergabe erheblich beeinträchtigt wird. Letzteres wird vor allem für neue Musikwerke oder Filme relevant sein. Für die Rechteinhaber handelt es sich dabei um ein höchst wirksames Instrument, da die Plattform die Inhalte sofort und so lange blockieren muss, bis das Beschwerdeverfahren abgeschlossen ist.

Rechtsrahmen im EU-Markt

Ob es Deutschland mit diesem Maßnahmenpaket gelungen ist, das angestrebte „Aufbrechen nationaler Silostrukturen“ zu erzielen, ist zweifelhaft. Während sich beispielsweise Gesetzesentwürfe aus Frankreich und den Niederlanden eng an den Wortlaut der DSM-RL halten, ist das deutsche UrhDaG deutlich erkennbar von dem Bemühen geprägt, nutzergenerierte Inhalte mittels eines Ausnahme-Rückausnahme-Systems als zulässig auszugestalten. Inhalte, die nach deutschem Recht mutmaßlich erlaubt sind, können demgegenüber in Frankreich der Blockierung unterliegen.

Welches Gesetz auf einen Fall letztlich Anwendung findet, bestimmt sich aber – wie im Urheberrecht üblich – weiterhin nach dem Schutzlandprinzip und damit nach dem Ort, in dem die mutmaßliche Rechtsverletzung stattfand. Da die Inhalte in der Regel auf weltweit zugänglichen Online-Plattformen bereitgestellt werden, kommt deshalb jedes Land als Schutzland in Frage, in dem der Abruf möglich ist. Für Plattformbetreiber heißt das im Ergebnis: Ihr Angebot kann nach den verschiedenen Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden, in denen dieses Angebot genutzt wird.

Statt Vereinfachung und Vereinheitlichung könnte dieses Vorgehen womöglich dazu führen, dass nicht überall die gleichen Angebote verfügbar sind. Schlimmer noch: Statt eines einheitlichen Marktes könnten sich neue nationale Silos durch unterschiedlich strenge Regeln und nationale Upload-Filter-Systeme bilden.

Alles geklärt?

Und es bleibt spannend: Denn die endgültige Wirksamkeit der Reform hängt nun auch noch von einer anstehenden Entscheidung des EuGH ab: Die polnische Regierung hat bereits 2019 Klage gegen Art. 17 der DSM-RL eingereicht, weil nach ihrer Ansicht die Richtlinie eine unverhältnismäßige Maßnahme darstelle, die das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit untergrabe, indem sie Zensur fördere. Die Klage erscheint nicht völlig chancenlos. Werden Teile des Art. 17 DSM-RL vom EuGH für unionswidrig erklärt, hätte dies weitreichende Folgen und könnte zumindest Teile der Urheberrechtsreform mit einem Schlag für nichtig erklären. Eine Entscheidung könnte noch dieses Jahr fallen.

*) Dr. Stefan Lütje ist Partner von Greenberg Traurig Germany und Helena Müller Associate der Kanzlei.