Regulatorischer Rückenwind für öffentliche Tauschangebote
Regulatorischer Rückenwind für öffentliche Tauschangebote
Neuerungen fügen sich jedoch nicht in das bestehende Regelungssystem ein
Von Julian Schulze De la Cruz und Philip M. Schmoll *)
Öffentliche Tauschangebote sind in Deutschland zur Seltenheit geworden. Lediglich rund 7,5% der Bieter in Deutschland entschieden sich in den letzten zehn Jahren dafür, eine Aktiengegenleistung für den Erwerb von Aktien einer börsennotierten Zielgesellschaft anzubieten.
Seit 2020 hat sich dieser Anteil nochmals halbiert. Aufgrund der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ist dies auch wenig verwunderlich. Neben der langanhaltenden Niedrigzinsphase, die Fremdfinanzierungen von Übernahmen begünstigte, sorgten auch übernahmerechtliche Anforderungen für Zurückhaltung beim Einsatz von Aktien als Gegenleistung.
So müssen die angebotenen Aktien zum einen die hohen Liquiditätsanforderungen erfüllen, die das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem viel diskutierten Beschluss aus dem Jahr 2021 aufgestellt hat. Zum anderen müssen die Aktien zum Handel an einem organisierten Markt im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zugelassen sein, was zu zusätzlichen Hürden für Bieter aus Drittstaaten außerhalb des EWR führt.
Bis zu 30 Prozent prospektfrei
Eine neue Prospektausnahme, die im Zuge des bevorstehenden EU Listing Act in die EU-Prospektverordnung aufgenommen werden wird, könnte nun neuen regulatorischen Rückenwind für öffentliche Tauschangebote mit sich bringen. Die neue sogenannte volumenabhängige Prospektausnahme ermöglicht Emittenten an geregelten Märkten und KMU-Wachstumsmärkten (wie dem Scale-Segment der Frankfurter Wertpapierbörse) künftig eine prospektfreie Durchführung von Sekundäremissionen in Höhe von bis zu 30% des bestehenden Grundkapitals durch Veröffentlichung eines elfseitigen Dokuments.
Dass diese Prospektausnahme auch für öffentliche Tauschangebote in Anspruch genommen werden kann, ergibt sich erst auf den zweiten Blick. Denn bei Betrachtung der neuen Prospektausnahmen für Sekundäremissionen fällt auf, dass die neue volumenabhängige Prospektausnahme – im Gegensatz zu der ebenfalls neuen volumenunabhängigen Prospektausnahme – keinen ausdrücklichen Ausschluss für öffentliche Tauschangebote vorsieht. Die Entstehung der beiden Prospektausnahmen im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahren spricht gegen ein Redaktionsversehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung handelt.
Erleichterung für KMU-Emittenten zu begrüßen
Mit Blick auf Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten ist die neue Prospektausnahme zu begrüßen, da sie erstmalig prospektrechtliche Erleichterungen für öffentliche Tauschangebote von Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten schafft. Aufgrund des bislang erforderlichen Aufwands für die Erfüllung der prospektrechtlichen Informationspflichten war es für Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten bislang wenig attraktiv, Aktien als liquiditätsschonende Akquisitionswährung für öffentliche Übernahmen einzusetzen. Insoweit eröffnet die neue Regelung Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten eine weitere attraktive Finanzierungsoption für öffentliche Übernahmen.
Erleichterungen für börsennotierte Emittenten nicht abgestimmt
Mit Blick auf Emittenten an geregelten Märkten gerät die neue Prospektausnahme hingegen in Konflikt mit bestehenden Prospektausnahmen, die ausdrücklich für öffentliche Tauschangebote vorgesehen sind. So können börsennotierte Emittenten bereits seit Anfang 2021 prospektrechtliche Erleichterungen für öffentliche Tauschangebote in Anspruch nehmen. Mit der Delegierten Verordnung (EU) 2021/528 hatte die Europäische Kommission hierfür auch ein umfassendes Regelwerk erlassen. Dieses wird durch die neue Prospektausnahme nun weitgehend ausgehöhlt, da aufgrund der weitreichenderen Erleichterungen der neuen Ausnahme der Aufwand sehr viel geringer sein dürfte als bei dem sonst zu erstellenden Befreiungsdokument.
Nicht zu Ende gedacht
Ungeachtet der begrüßenswerten Erleichterungen für Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten, erscheint das neue prospektrechtliche Regelungssystem für öffentliche Tauschangebote daher nicht zu Ende gedacht. Zum einen ist die weitgehende Aushöhlung der Delegierte Verordnung (EU) 2021/528 nicht sinnvoll. Denn das danach zu erstellende Befreiungsdokument sieht – anders als das neue elfseitige Dokument – transaktionsspezifische Mindestinformationen vor, die auf die besondere Situation eines öffentlichen Tauschangebots zugeschnitten sind. Zum anderen erscheint fraglich, ob das elfseitige Dokument dem besonderen Informationsbedürfnis der Angebotsadressaten bei einem Tauschangebot gerecht wird. Denn anders als bei einer typischen Sekundäremission, die sich (vorrangig) an die Aktionäre desselben Emittenten richtet, werden die Angebotsadressaten bei Annahme eines Tauschangebots zu Aktionären eines anderen Emittenten.
Um auch Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten bei Tauschangeboten prospektrechtlich zu privilegieren, hätte es daher näher gelegen, lediglich den Anwendungsbereich der bestehenden Prospektausnahmen für öffentliche Tauschangebote (einschließlich der Delegierten Verordnung (EU) 2021/528) zu erweitern. Das letzte Wort des Gesetzgebers dürfte hier deshalb noch nicht gesprochen sein.
*) Dr. Julian Schulze De la Cruz ist Partner und Co-Leiter der Praxisgruppe Kapitalmarktrecht von Noerr. Dr. Philip M. Schmoll ist Associated Partner der Kanzlei.