Regulierung der Nachhaltigkeit im Gesellschaftsrecht?
Sollte das Gesellschaftsrecht
explizit Nachhaltigkeit regeln?
Weniger ist manchmal mehr − Unternehmen eigenverantwortlich in der Transformation
Von Christina E. Bannier
und Julia Redenius-Hövermann *)
Klimawandel, Ressourcenknappheit, Biodiversität und demografischer Wandel – alle diese Themen fallen unter den Begriff „Nachhaltigkeit“. Der Umgang damit stellt Unternehmen vor viele offene Fragen. Neben Risiken und Unwägbarkeiten erkennen viele Unternehmen jedoch auch die Chancen der Nachhaltigkeitstransformation: eine bessere Positionierung im Wettbewerb, einen besseren Zugang zu Finanzierungen oder eine bevorzugte Gewinnung von Fachkräften.
Hohe Regelungsdichte
Flankiert werden diese aktuellen Marktentwicklungen von einer Vielzahl neuer, zum Teil noch nicht finaler nationaler und europäischer Regulierungsmaßnahmen, die von den Unternehmen berücksichtigt werden müssen. Die neue Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht, spezifische Offenlegungspflichten in der Finanzbranche sowie deutsche und europäische Lieferkettensorgfaltspflichten machen deutlich, wie enorm die Regulierungsdichte im Bereich Nachhaltigkeit über die letzten Monate hinweg angestiegen ist. Dass bereits die Begriffe der Überregulierung und des Regulierungsinfarktes im Raum stehen, verwundert somit nicht. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob im Gesellschaftsrecht die nachhaltigkeitsrelevanten Themen explizit geregelt werden sollen. So lautete das Thema der wirtschaftsrechtlichen Abteilung beim diesjährigen Deutschen Juristentag: „Empfehlen sich im Kampf gegen den Klimawandel gesetzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts?“.
Zweifelsfrei kann und muss das Gesellschaftsrecht seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Diskutiert wird daher, ob der Klimaschutz als Unternehmensziel, die Klimabelange als Leitungs- und Sorgfaltspflichten in §§ 76, 93, 116 AktG, eine Klimaquote in § 76a AktG oder eine Pflicht zur Bestellung eines Klimaexperten im Aufsichtsrat gesetzlich implementiert werden müssen. Entsprechende Vorschläge sind dabei auf dem Deutschen Juristentag richtigerweise auf erheblichen Widerstand gestoßen und wurden in der Folge abgelehnt.
Vielmehr sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Sinne des Unternehmensinteresses mit Leben zu füllen und umzusetzen. Als unternehmerische Entscheidungen verstanden, liegen sie im Ermessen von Vorstand und Aufsichtsrat. Nur indem das Gesellschaftsrecht auch weiterhin den Pflichtenkanon der Sorgfaltspflichten gerade nicht kleinteilig regelt und bei der Zusammensetzung bzw. Besetzung der Organe das unternehmerische Ermessen unberührt lässt, kann es seiner Funktion nachkommen, einen stabilen, aber anpassungsfähigen Rahmen zu schaffen, der den Unternehmen sowohl Sicherheit als auch Flexibilität bietet. Nicht das Gesellschaftsrecht, sondern die Unternehmen selbst tragen letztlich die Verantwortung, aktiv zur Nachhaltigkeitstransformation beizutragen.
Chance für Unternehmen
Im Ergebnis stellt Nachhaltigkeit eine Chance für die Unternehmen dar: Ob und wie diese genutzt wird, muss als individuelle unternehmerische Entscheidung verstanden bleiben. Dabei sind für jedes Unternehmen die kurz- und mittelfristigen Aufwendungen dieser Entscheidung gegen die langfristigen Vorteile abzuwägen. Letztere unterliegen zudem großen Unsicherheiten: Zum einen sind weder die Auswirkungen des Klimawandels für einzelne Unternehmen oder Branchen heute bereits exakt prognostizierbar. Zum anderen sind auch die gesellschaftlichen Reaktionen darauf weder in Struktur und Volumen noch im zeitlichen Auftreten klar. Dies erschwert zwar erheblich die entsprechenden Weichenstellungen im Unternehmen, entbindet aber nicht von der Notwendigkeit, sich mit diesen Unwägbarkeiten auseinanderzusetzen.
Das von den Autorinnen herausgegebene und soeben erschienene Handbuch „Nachhaltigkeit und Transformation im Unternehmen“ bietet eine praxisnahe Anleitung für Führungskräfte aus Aufsichtsrat, Vorstand und Management, sich umfassend mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Neben der Betrachtung rechtlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen werden auch Haftungsfragen thematisiert. Ergänzend berichten Entscheidungsträger aus unterschiedlichen Branchen, Unternehmens-Größenklassen und -Rechtsformen über ihre Erfahrungen. Anhand von Best Practice Beispielen wird die Gestaltung von Nachhaltigkeitsstrategien, ihre Umsetzung in Vergütungssystemen, Risikomanagement und Finanzierungsstrukturen sowie die Nachhaltigkeitsberichterstattung aufgezeigt.
Umfeld entscheidend
Letztlich bedarf eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation eines Umfelds, in dem sich das Unternehmensinteresse geschützt entfalten kann. Entgegen der aktuell dominierenden Tendenz einer immer weitergehenden Regulierung und somit Beschränkung des unternehmerischen Ermessens sollte somit dringend darüber nachgedacht werden, welche Funktion das Gesellschaftsrecht sinnvollerweise erfüllen kann und welche Rolle eine effektive Regulierung ausmacht. Auch eine – zumindest teilweise – Deregulierung kann der Nachhaltigkeitstransformation zuträglich sein, indem auf diese Weise die Verantwortung der Entscheidungsträger gestärkt und dem individuellen Unternehmensinteresse mehr Raum zugestanden wird.
*) Prof. Dr. Christina E. Bannier ist Inhaberin des Lehrstuhls für Banking & Finance an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr. Julia Redenius-Hövermann ist Associate Professorin für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Frankfurt School of Finance & Management.
*) Prof. Dr. Christina E. Bannier ist Inhaberin des Lehrstuhls für Banking & Finance an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr. Julia Redenius-Hövermann ist Associate Professorin für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Frankfurt School of Finance & Management.