Stephan Denk, Freshfields

„Sanktionsrechtliche Bestimmungen sind oft vage formuliert“

Unternehmen müssen sich derzeit durch ein Dickicht an gegen Russland verhängten Außenwirtschaftskontrollen arbeiten. Oft fehlt es an klaren Anleitungen für die Vertragspartner.

„Sanktionsrechtliche Bestimmungen sind oft vage formuliert“

Herr Denk, im Wochentakt be­schließen Länder weltweit neue Sanktionen gegen Russland. Wie behalten Unternehmen hier den Überblick?

Unternehmen müssen und wollen natürlich allen Anforderungen entsprechen, aber mit jedem neuen Sanktionspaket kommen neue Regelungen hinzu, andere werden geändert oder ersetzt. Beziehungen zu – möglicherweise sanktionierten – Kunden und Lieferanten müssen laufend überprüft werden, damit sie auch den letzten Stand der Sanktionslisten berücksichtigen. Das Gleiche­ gilt für Güter, die Exportkontrollen oder Importbeschränkungen unterliegen. Sanktionsrechtliche Be­stimmungen sind oft vage formuliert und lassen zuweilen viele Fragen zur praktischen Anwendung offen.

Also Tappen im Dunkeln?

Aufgrund der sich derzeit überschlagenden Ereignisse gibt es noch keine verlässlichen Handlungsanleitungen oder eine etablierte Behördenpraxis, auf die zurückgegriffen werden kann. Die zuständigen Sanktionsbehörden veröffentlichen zwar laufend FAQ zu den neuen Sanktionen, aber auch hier gibt es Verzögerungen, und nicht jede Auskunft bringt Klarheit. Teilweise beobachten wir sogar Inkonsistenzen zwischen FAQ der Europäischen Kommission und nationalen Stellen.

Wenn die Unternehmen den Überblick haben, wie schwierig ist die Umsetzung?

Dreh- und Angelpunkt ist sicher ein konsistenter Know-your-Customer-Prozess. Unternehmen müssen ihre Geschäftspartner beurteilen, ob sie sanktionierten Personen oder sanktionierten Konzernen zuzuordnen sind. Sie müssen also die letztlich wirtschaftlich berechtigten Personen oder Organisationen durch zum Teil komplexe und verschachtelte Strukturen zweifelsfrei identifizieren können. Gerade nach der Listung von sanktionierten Gesellschaftern werden aber oft komplexe Umstrukturierungen vorgenommen, um die Kontrolle durch eine sanktionierte Person über ein Unternehmen abzuschütteln.

Haben Vertragspartner Rechtssicherheit, wenn dies gelingt?

Es gibt immer wieder Grenzfälle. Kontrolle kann ja nicht nur formaljuristisch über eine Mehrheit von Gesellschaftsanteilen, sondern etwa auch faktisch ausgeübt werden. Wird ein Unternehmen von einer sanktionierten Person etwa an Familienangehörige oder an einen Erwerber im Umfeld veräußert, stellen sich oft Fragen, ob nicht de facto weiter Kontrolle besteht, für deren Annahme es aber zumindest Hinweise geben muss.

Wo ist hier jeweils die Grenze zu ziehen?

Letztlich muss ein Unternehmen, das mit einem eventuell sanktionsverhangenen Unternehmen Geschäfte macht, die jeweils angebrachte Due Diligence anwenden. Gibt es tatsächlich Anhaltspunkte, dass ein Unternehmen von einer sanktionierten Person beherrscht wird, muss es seine Geschäftsbeziehungen zu dem betreffenden Unternehmen einfrieren, jedenfalls bis das Unternehmen entsprechende Umstrukturierungsschritte objektiv darlegen kann. Eine optimale Möglichkeit wäre es, wenn Unternehmen dazu in einen Austausch mit den nationalen Vollzugsbehörden treten könnten, um Rechtssicherheit zu erlangen. Allerdings muss im Fall der EU bedacht werden, dass Sanktionen zwar durch direkt anwendbare EU-Verordnungen erlassen werden, deren Durchsetzung und Anwendung aber bei den 27 Mitgliedstaaten liegt.

Mit welchen Folgen?

Das hat natürlich gewisse Auswirkungen auf die einheitliche Auslegung der Sanktionstexte, Anforderungen an Ausfuhrgenehmigungen und die Ausgestaltung möglicher Strafen.

Gibt es bessere Wege?

Die USA haben mit dem Office of Foreign Assets Control (OFAC) eine spezialisierte Behörde, die für Unternehmen mitunter auch direkte Ansprechstelle ist. Zwar sehen wir in den USA bisher deutlich gravierendere Strafen bei Sanktionsverstößen, aber gleichzeitig scheint der Vollzug mitunter transparenter und vorhersehbarer zu sein. Auch wenn politisch nicht einfach, wäre es für die EU sicher wünschenswert, sich hier stärker zentral zu koordinieren. Vor einigen Jahren gab es bereits Vorstöße in diese Richtung. Ich glaube, das sollte weiterverfolgt werden.

Dr. Stephan Denk ist Partner von Freshfields für EU-Sanktionsrecht.

Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.

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