GastbeitragMenschenrechte

Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sind in der Unternehmenspraxis angekommen

Das Lieferkettengesetz setzt neue Sorgfaltspflichten. Der Kreis der betroffenen Unternehmen wächst zum Jahreswechsel. Wie die neuen Regeln umgesetzt werden und welche Erfahrungen Firmen machen.

Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sind in der Unternehmenspraxis angekommen

Umsetzung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette

In der Unternehmenspraxis angekommen – Erschwernisse durch unpräzise Kriterien und unbestimmte Rechtsbegriffe – BAFA überwacht Einhaltung

Von Marc Ruttloff und Eric Wagner *)

Für deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern gelten seit dem 1. Januar 2023 die Vorschriften des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Zum 1. Januar 2024 wird das Gesetz dann auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern wirksam. Große Unternehmen konnten damit schon erste Erfahrungen sammeln, einige hatten bereits – in unterschiedlicher Intensität – Kontakt mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen überwacht. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen wie Behörde hier noch voneinander lernen.

Die Regelungen des LkSG begründen Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt für Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich und in den Lieferketten. Sie beinhalten, dass betroffene Unternehmen zum Beispiel einen Menschenrechtsbeauftragten benennen, Risikoanalysen durchführen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergreifen, ein Beschwerdeverfahren einrichten und jährlich einen Bericht erstellen müssen. Verletzt ein Unternehmen seine Sorgfaltspflichten, drohen hohe Bußgelder von bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes, der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie zivilrechtliche Haftungsrisiken. Außerdem kann bereits das Bekanntwerden einer Sorgfaltspflichtverletzung oder sogar schon ein entsprechender Verdacht Reputation und Vertrauen am Markt schädigen.

Unterschiedliche Ansätze

Die Ansätze zur Umsetzung des LkSG sind dabei in den Unternehmen durchaus unterschiedlich. Während einzelne Unternehmen einen eher defensiven Ansatz verfolgen und nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen, verstehen andere Unternehmen die Anforderungen des LkSG als Chance. Durch die proaktive Einhaltung von Vorgaben, die über die gesetzlichen Mindestvorgaben hinausgehen, versuchen sie, eigene Standards zu prägen – auch im Interesse ihrer Reputation in der Öffentlichkeit.

Die Risikoprofile in den Lieferketten jedes Unternehmens sind sehr divers – in Abhängigkeit von den betroffenen Weltregionen, Branchen und den spezifischen Akteuren. Dabei müssen neue Compliance-Systeme eingeführt, interne Richtlinien und Standards formuliert und spezielle Vertragsklauseln aufgesetzt werden. Erschwert wird all dies durch oftmals unpräzise Kriterien und unbestimmte Rechtsbegriffe in den gesetzlichen Vorgaben.

101 Planstellen für das Bundesamt

Ob ein Unternehmen die Vorgaben des LkSG erfüllt, wird durch das BAFA überwacht. Bei der Behörde sind hierzu 101 Planstellen vorgesehen – Tendenz steigend. Das BAFA nimmt diese Aufgabe nach eigenen Angaben sehr ernst und kündigte an, bei etwaigen Verstößen „hart durchzugreifen“. Bisher sind beim BAFA bereits 14 Beschwerden gegen Unternehmen wegen möglicher Verletzungen von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Pflichten eingegangen, wobei sechs dieser Beschwerden vom BAFA als substantiiert angesehen und weiter verfolgt werden.

Das BAFA wird aber nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen tätig und kontrolliert Unternehmen auch ohne spezifischen Anlass. Das BAFA folgt dabei nach eigenen Angaben der „Vergleichsmethode“: Dokumentieren zwei Unternehmen ähnlicher Größe sehr unterschiedliche personelle Anstrengungen zur Erfüllung der Anforderungen des LkSG, wird regelmäßig das „sparsamere“ Unternehmen kontrolliert werden. Dies kann freilich nicht mehr als eine Daumenregel sein. Sinnvollerweise wird man diesbezüglich auch weitere erkennbare Faktoren berücksichtigen, wie eine Effizienz der Strukturen oder einen hohen Grad an Digitalisierung, die eine schlankere personelle Aufstellung aufwiegen können.

Bereits vor dem Inkrafttreten des LkSG hat das BAFA Unternehmen angeschrieben und diese allgemein darauf hingewiesen, dass sie künftig in den Anwendungsbereich dieser gesetzlichen Pflichten fallen werden. Mittlerweile stellt das BAFA weitaus konkretere Auskunftsersuchen und fordert Informationen, insbesondere zur Ausgestaltung der Position des Menschenrechtsbeauftragten als dem zentral Verantwortlichen im Unternehmen und zur Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens, mit dem Unternehmensangehörige wie Externe auf mögliche Missstände hinweisen können.

Fünf Handreichungen

Das BAFA ist vor allem in der aktuellen Einführungsphase nicht primär darauf aus zu sanktionieren, sondern versteht seine Rolle auch darin, mit den betroffenen Unternehmen zusammenzuarbeiten und diese bei der Umsetzung des LkSG zu unterstützen. In seinen Schreiben weist das BAFA daher auch auf seine Erwartungshaltung und das eigene Rechtsverständnis zur Umsetzung hin. So empfiehlt das BAFA beispielsweise ausdrücklich, dass der Menschenrechtsbeauftragte nicht gleichzeitig für die operative Umsetzung der Sorgfaltspflichten und die interne Kontrolle der hinreichenden Umsetzung zuständig sein soll. Der Menschenrechtsbeauftragte solle sich gerade nicht selbst kontrollieren.

Das BAFA hat außerdem auch in insgesamt fünf Handreichungen zur Risikoanalyse, zum Beschwerdeverfahren, zum unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit, zur Zusammenarbeit in Lieferketten und zur Kredit- und Versicherungswirtschaft seine Auffassung zur Umsetzung einzelner Sorgfaltspflichten dargelegt.

Berichtsfragebogen und FAQ

Ferner hat das BAFA einen Berichtsfragebogen im Zusammenhang mit der Berichtspflicht und einen Katalog mit Antworten zu häufig gestellten Fragen (FAQ) im Zusammenhang mit dem LkSG veröffentlicht. Die Handreichungen und die FAQ sprechen dabei insgesamt für einen hohen Maßstab, den das BAFA den Unternehmen abverlangt. Beispielsweise versteht das BAFA den Begriff der Lieferkette weit und sieht auch Gebäudereinigung, Kantinenbetriebe und sogar vertriebsseitig die Distribution und Auslieferung als erfasst an.

Diese Handreichungen sind eine grundsätzlich wertvolle Hilfestellung und Orientierung bei der Umsetzung. Freilich handelt es sich aber dabei um eine rechtlich unverbindliche behördliche Einschätzung. Gerichte sind an die Rechtsauffassung des BAFA nicht gebunden. Abschließend hierauf verlassen können sich Unternehmen daher nicht uneingeschränkt. Außerdem sind die Handreichungen und die FAQ oftmals selbst eher auslegungsbedürftig und unpräzise. Unternehmen empfinden die Aussagen daher häufig als weniger hilfreich.

Dynamische Entwicklung

Kritik wird auch am Zeitpunkt der Veröffentlichung der Handreichungen geäußert, denn beispielsweise die erst im Juni 2023 veröffentlichte Handreichung zur Zusammenarbeit in Lieferketten hätten sich viele Unternehmen bereits zu einem früheren Zeitpunkt gewünscht. Schließlich mussten jedenfalls Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern zu diesem Zeitpunkt die Vorgaben längst umgesetzt haben. Die Entwicklungen bleiben dynamisch. Auf europäischer Ebene steht die Einführung einer „EU-Lieferkettenrichtlinie“ an. Die Ergebnisse der im Juni begonnenen Trilogverhandlungen dürften in Kürze zu erwarten sein. Im Ergebnis werden gegenüber den Regelungen des LkSG einige Verschärfungen auf die Unternehmen zukommen.

Auf europäischer Ebene befassen sich noch weitere Regelungswerke mit dem Schutz der Menschenrechte und der Umwelt. Zu beachten ist insbesondere die kürzlich in Kraft getretene Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Aus dieser ergeben sich Anforderungen an die Lieferketten-Compliance, die grundsätzlich ab dem 30. Dezember 2024 umzusetzen sind. Geltung hat die Verordnung aber auch für Holz und Holzprodukte, die ab dem 29. Juni 2023 erzeugt wurden.

BAFA nimmt Aufgabe ernst

Künftig betroffene Unternehmen müssen die Anforderungen der Verordnung daher bereits vor deren eigentlichem Inkrafttreten beachten, was zu schwierigen Fragestellungen im Bereich der Compliance führen kann, wenn bereits Verträge abgeschlossen und entsprechende Produkte eingekauft wurden, die nach dem 30. Dezember 2024 in den Verkehr gebracht werden sollen.

Die Bedeutung des Schutzes der Menschenrechte und der Umwelt bleibt also hochaktuell. Und sie wird durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs des LkSG zum 1. Januar 2024 und durch die Entwicklungen auf europäischer Ebene perspektivisch weiter zunehmen. Ab wann und inwiefern das BAFA – wie angekündigt – „hart durchgreifen“ wird, wird die Zukunft zeigen. Neun Monate nach dem Inkrafttreten des LkSG ist aber zu erkennen, dass das BAFA seine Aufgabe sehr ernst nimmt und sowohl zur Kontrolle als auch zur Unterstützung betroffener Unternehmen umfangreiche Maßnahmen ergriffen hat.

*) Dr. Marc Ruttloff und Prof. Dr. Eric Wagner sind Partner im Stuttgarter Büro von Gleiss Lutz.

Dr. Marc Ruttloff und Prof. Dr. Eric Wagner sind Partner im Stuttgarter Büro von Gleiss Lutz.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.