Gastbeitrag: BFH-Urteil

Steuerliche Verluste bei Insolvenz nutzen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erneut zur steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten aus Aktien im Privatvermögen Stellung bezogen. Aus Sicht der Anleger ist diese j Entscheidung zu begrüßen.

Steuerliche Verluste bei Insolvenz nutzen

Von Katrin Dorn und Tobias Möhrle*)

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erneut zur steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten aus Aktien im Privatvermögen Stellung bezogen. Aus Sicht der Anleger ist diese jetzt publizierte Entscheidung vom 17. No­vember 2020 (Az. VIII R 20/18) zu begrüßen. Die Freude daran wird in vielen Fällen jedoch durch die zeitlich gestreckte Verlustnutzung des § 20 Absatz 6 Satz 6 Einkommensteuergesetz (EStG) getrübt, die seit dem Veranlagungsjahr 2020 gilt. Denn sie begrenzt die Verlustberücksichtigung auf maximal 20000 Euro pro Jahr und setzt voraus, dass der Anleger auch entsprechende Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt.

Der Kläger und Revisionskläger erwarb 2009 eine Beteiligung an einer inländischen börsennotierten Aktiengesellschaft (weniger als 1%), die zu seinem Privatvermögen gehörte. 2012 wurde das Insolvenzverfahren über die AG eröffnet. Ende 2013 waren die Anteile an der AG im Depot des Anlegers noch mit einem Stückpreis ausgewiesen. In der Steuererklärung 2013 wollte der Anleger bereits einen Totalverlust nach § 20 Absatz 2 EStG geltend machen. Sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht lehnten dies ab. Auch der BFH wies die Revision zurück.

Der BFH stimmte der Auffassung des Anlegers nicht zu, weil dieser 2013 noch keinen Verlust aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG realisiert habe. Eine Realisation sei zum Beispiel eine Veräußerung, Ausbuchung der Aktien oder die tatsächliche Insolvenz der Gesellschaft. Der eingetretene Kursverlust allein genügt für eine Verlustberücksichtigung nach § 20 Absatz 2 EStG nicht.

Dabei stellt der BFH im Anschluss an das Finanzgericht München als Vorinstanz klar, dass erst das insolvenzbedingte Erlöschen des Mitgliedschaftsrechts des Klägers als Aktionär bei Vollbeendigung der Aktiengesellschaft zu einem steuerbaren Verlust führen könne. Entsprechendes gilt im Fall eines Ausbuchens der Aktien aus dem Depot vor diesem Zeitpunkt. Auch dieser Realisationstatbestand ist von § 20 Absatz 2 Satz 2 EStG zu erfassen, insoweit sei die im Gesetz enthaltene planwidrige Lücke zu schließen.

Entscheidend für die Realisation des Verlusts sei dabei in der Regel der Zeitpunkt, zu welchem das Mitgliedschaftsrecht des Anlegers erlischt. Erst dann liege ein endgültiger Rechtsverlust wie bei einer Veräußerung vor. Die Einstellung der börslichen Notierung einer Aktie und der Widerruf der Zulassung der Aktie einer insolventen Gesellschaft zum Handel im regulierten Markt berührten den Bestand des Mitgliedschaftsrechts jedoch noch nicht (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.7.2012, Az. 1 BvR 3142/07, 1569/08, NJW 2012, S. 3081). Etwas anderes gelte, wenn die Aktien aus dem Depot des Anlegers ausgebucht werden. In diesen Fällen werde bereits vor tatsächlicher Insolvenz der AG ein steuerlicher Verlust im Sinne des § 20 Abs. 2 EStG realisiert. Dabei sieht sich der BFH in dieser Auslegung des § 20 Absatz 2 Satz 2 EStG durch die Einfügung von § 20 Absatz 6 Satz 6 EStG (ab Veranlagungszeitraum 2020) gestärkt. Denn durch diese Regelung wird die Verlustberücksichtigung zum Beispiel bei Ausfall von Aktien eingeschränkt, was dafür spricht, dass der Gesetzgeber von einer Verlustberücksichtigung ausgeht.

Der BFH stellt mit diesem Urteil erneut klar, dass Verluste aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen nach § 20 EStG steuerlich berücksichtigungsfähig sind. Dies gilt nicht nur im Fall der Veräußerung dieser Aktien noch im Laufe des Insolvenzverfahrens, sondern auch dann, wenn dieser Verlust infolge einer Insolvenz durch das Erlöschen der Mitgliedsrechte oder Ausbuchung der Aktien aus dem Depot realisiert wird.

Allein der Wertverlust, der durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eintritt, genügt für eine steuerliche Berücksichtigung des Verlusts nach § 20 Absatz 2 EStG jedoch nicht. Sollte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Berücksichtigung der Verluste gewünscht sein, muss eine Veräußerung der Aktien erfolgen. Diese führt auch dann zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust, wenn die Aktien zu diesem Zeitpunkt schon deutlich an Wert verloren haben oder bereits wertlos sind (vgl. Urteil des BFH vom 29.9.2020, Az. VIII R 9717). Ein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 Abgabenordnung liegt darin nicht.

Getrübte Freude

Zwar ist die Entscheidung des BFH vom 17. November 2020 aus Sicht der Anleger grundsätzlich zu begrüßen. In vielen Fällen wird die Freude der Anleger sicherlich durch die Einschränkung der Verlustberücksichtigung aufgrund der seit Veranlagungszeitraum 2020 geltenden zeitlich getreckten Verlustnutzung in § 20 Absatz 6 Satz 6 EStG begrenzt. Denn nach dieser Regelung können Verluste wie aus dem Ausfall von Aktien lediglich in Höhe von 20000 Euro p. a. mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen, also zum Beispiel Zinsen, Dividenden und Gewinnen aus Aktien, verrechnet werden. Diese Regelung steht unseres Erachtens ebenso wie die Regelung des § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG, die eine zeitlich gestreckte Verlustnutzung insbesondere für Termingeschäfte vorsieht, zu Recht in der Kritik und sollte vom Gesetzgeber angepasst werden.

*) Dr. Katrin Dorn und Dr. Tobias Möhrle sind Partner von Möhrle Happ Luther in Hamburg.