Übergewinnbesteuerung – probates Krisenmittel?
Von Klaus-Jörg Dehne und
Matthias Chuchra *)
Kommt die Übergewinnsteuer? In welcher Form? Und hat sie überhaupt eine steuerrechtliche Legitimation? Darüber streitet derzeit beinahe das ganze Land im Allgemeinen und der Deutsche Bundestag im Besonderen. Ins Rollen gebracht hat die Debatte ein Gesetzesinitiativantrag zur Übergewinnbesteuerung, der am 10. Juni 2022 vom Land Bremen in den Bundesrat eingebracht wurde. Zuvor forderte bereits am 17. Mai 2022 die Partei Die Linke im Bundestag eine Abschöpfung von außerordentlichen Krisengewinnen von Energiekonzernen.
Keine einheitliche Definition
Zur Versachlichung dieser Diskussion muss man feststellen, dass es keinen allgemeinen Begriff der Übergewinnsteuer gibt. Die EU-Kommission (Leitlinie zu Besteuerung übermäßiger Gewinne im Kontext des „REPower EU“-Plans vom 8. März 2022) und Italien verwendeten diesen Begriff bereits zu Beginn des Ukraine-Kriegs und ohne direkten Bezug zu diesem branchen- und krisenbezogen, indem sie in einer Energiekrise – ausgelöst durch temporär zu hohe Energiepreise – eine Sondersteuer in der Energiebranche erheben wollen bzw. dies zulassen. Ähnliches wurde in Deutschland 1973 in der Ölkrise diskutiert. Diese branchenbezogene Definition enthält drei Grundprobleme, die nach unserem Ermessen einer einzelstaatlichen deutschen Lösung entgegenstehen sollten:
Erstens: Durch nationale Alleingänge wird nicht der Energiekonzern als solcher besteuert, sondern nur die in Deutschland ansässige verbundene Gesellschaft oder Betriebsstätte. Ist in Deutschland nur eine untergeordnete Vertriebsfunktion angesiedelt, werden sich die wesentlichen Wertschöpfungsketten außerhalb Deutschlands befinden, denen der „Übergewinn“ steuerlich zuzuordnen ist. Die außerhalb Deutschlands ansässigen multinationalen Energiekonzerne werden folglich, im Gegensatz zu den in Deutschland ansässigen Energieerzeugungsunternehmen, von einer deutschen Übergewinnbesteuerung nur unwesentlich betroffen. Nicht umsonst versteht die OECD in den „Pillar III“-Diskussionen des OECD-BEPS-Projektes die Übergewinnbesteuerung als multilaterales Problem der internationalen Gewinnallokation mit einer Zuweisung des Steuerguts nach Bedürftigkeit der Staaten.
Zweitens: Der Energiepreis ist zu wesentlichen Teilen politisch determiniert. Dieser wird dadurch beeinflusst, dass durch Energiesteuern und Umlagen die CO2-Belastung reduziert werden soll. Zudem sollen notwendige Mittel für Investitionen in die Umstellung von fossile auf regenerative Energieerzeugung bereitgestellt werden. Die EU-Kommission hat deshalb für eine Übergewinnbesteuerung etliche einschränkende Bedingungen aufgestellt, unter denen sie diese akzeptiert. Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages hat gegenüber der italienischen Übergewinnbesteuerung, die 10% beträgt und durch krisenbedingte Mehrerlöse ausgelöst werden soll, bereits massive Zweifel geäußert.
Drittens: „Übergewinne“ unterliegen ohnehin der regulären Ertragsbesteuerung, sodass es eines rechtfertigenden Differenzierungsgrundes bedarf, damit eine Vereinbarkeit einer Höher- bzw. Abschöpfungssteuer mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz hergestellt wird. Gustav Horn, einer der fünf Wirtschaftsweisen, will diesen Differenzierungsgrund in dem leistungslosen Erzielen von Spekulationsgewinnen sehen und damit eine Unterscheidung der Einkommen der Energiekonzerne z.B. von Forschungsunternehmen, wie Biontech, rechtfertigen. So einleuchtend dies zunächst erscheint, könnte dies doch das Vertrauen in die Prinzipientreue des deutschen Ertragssteuerrechts, das vom Leistungsfähigkeitsprinzip determiniert wird, massiv beeinträchtigen.
In einer vom Populismus geprägten politischen Diskussionskultur ist es absehbar, dass es von der Abschöpfung von leistungslosen Spekulationsgewinnen der Energiebranche nur ein kleiner Schritt ist zur allgemeinen Definition von Sollgewinnmargen als Obergrenze der regulären Besteuerung, deren Überschreiten als leistungsloser „Übergewinn“ angesehen wird. Überdies besteht die Gefahr, dass der Begriff des „Übergewinns“ von einer „Krise“, die diesen erst rechtfertigt, gelöst wird. Die moralische Qualität von Gewinnen dürfte, wie dies auch Clemens Fuest annimmt, kein ausreichender Rechtfertigungsgrund sein.
Überwiegend wird deshalb der Konnex von Krise und Übergewinnbesteuerung auch in der Begrifflichkeit aufrechterhalten. So versteht die OECD die Übergewinnbesteuerung als staatliches Sonderfinanzierungsinstrument bei globalen Krisen, das alle Gewinne erfasst, die einen definierten Normalgewinn übersteigen („Pillar III“ in Ergänzung des OECD-BEPS-Projektes). Auch die Definition des wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundestages zielt in diese allgemeine Richtung.
Historische Vorbilder dieser Sondersteuern finden sich während der beiden Weltkriege in den USA und Großbritannien. In diesen Ländern wurden auf kriegsbedingte Sondergewinne eine „Übergewinnsteuer“ mit Steuersätzen bis zu 95% erhoben, die zur Deckung der Kriegslasten beitragen sollte. Nur lassen sich die Bedingungen von Weltkriegen schwer auf die aktuelle Situation übertragen. Zum einen erscheint zu Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges im Unterschied zu heute eine nationale Steuer deshalb wirkungsvoll, weil es die wesentlichen Gewinne von Konzernen erfassen konnte, die damals noch nicht global so verflochten waren wie heute. Zum anderen birgt die Definition eines „Übergewinns“ selbst neue Konfliktfelder in sich.
Ungeeigneter Vergleich
Historisch wurde der Übergewinn als Differenz von Normalgewinn vor der Krise mit den sehr hohen Gewinnen im Krieg selbst definiert. Ein solcher Vergleich eignet sich heutzutage nicht, da sich viele Unternehmen in der Transformationsphase auf angepasste Geschäftsmodelle befinden. Diese Umstellungsphasen bewirken Gewinnsprünge, die dazu führen, dass sich ein Normalgewinn nicht einfach aus einem Zeitreihenvergleich der Gewinne ableiten lässt (Stichwort: Umstellung auf digitale Geschäftsmodelle, Start-up-Unternehmen, Umstellung auf regenerative Energieerzeugung und Elektroenergie). Diese Erzeugung von neuen Ungerechtigkeiten durch eine Übergewinnbesteuerung wurde in den USA schon im Ersten Weltkrieg erkannt, indem alternativ auf eine Methode der Berechnung des „Übergewinns“ abgestellt wurde, die eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals berücksichtigt.
Eine Übergewinnbesteuerung bewirkt vor allen Dingen einen Verlust von Vertrauen in den Gesetzgeber. Verfassungsrechtlich wird zwar in Bezug auf den Vertrauensschutz grundsätzlich nur auf die Besteuerungsperiode abgestellt und zwischen einer unzulässigen echten Rückwirkung und einer meistens zulässigen unechten rückwirkenden Gesetzesänderung unterschieden, die während des Veranlagungsjahrs gesetzgeberisch beschlossen wird, aber auf den Beginn des Jahres zurückwirkt. Doch rechtspolitisch und in Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz sollte es vielmehr um die langfristigen Rahmenbedingungen gehen, auf die Investoren bauen müssen. So bewertet das auch die EU-Kommission.
Bewährte Prinzipien
Deshalb ist bei der Übergewinnbesteuerung der Begriff der „Krise“ von zentraler Bedeutung. Zum einen kann durch die unseres Erachtens ohnehin notwendige internationale Koordination ein Riegel davorgeschoben werden, dass allein durch das Herbeiführen einer Krise infolge einer lockeren nationalen Ausgabenpolitik verbunden mit einer weiten Definition des Krisenbegriffs des jeweiligen nationalen Gesetzgebers eine unsystematische Übergewinnbesteuerung eingeführt wird. Überdies dürfte aus deutscher Sicht die Auswirkung der Krise ein maßgebendes Kriterium sein für die verfassungsrechtliche Überprüfung des Rechtfertigungsgrunds der Übergewinnbesteuerung als Eingriff in das systemrelevante Leistungsfähigkeitsprinzip des deutschen Ertragssteuerrechts.
Dass die mittelbaren Auswirkungen eines Ukraine-Krieges in Deutschland ausreichen sollen, die bewährten und gebotenen Prinzipien des deutschen Ertragssteuerrechts auszuhebeln, darf bezweifelt werden.
*) Dr. Klaus-Jörg Dehne ist Head of Quality Legal & Tax und Matthias Chuchra ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater sowie Partner von Baker Tilly.