GastbeitragInsolvenzantragspflicht

Unternehmensplanung in herausfordernden Zeiten

Für die Fortführungsprognose zum Ausschluss einer insolvenzrechtlichen Überschuldung ist nun wieder ein Zwölf-Monats-Zeitraum maßgeblich. Die Verkürzung auf vier Monate läuft aus.

Unternehmensplanung in herausfordernden Zeiten

Unternehmensplanung in herausfordernden Zeiten

Für die Fortführungsprognose sind nun wieder zwölf Monate das Minimum – Wann ein Insolvenzantrag zu stellen ist

Von Anne Deike Riewe *)

Andreas Schulte atmet auf, das Weihnachtsgeschäft ist in diesem Jahr gut gelaufen. Also, den Umständen entsprechend: Nach Abzug der laufenden Kosten sind im November und Dezember 1 Mill. Euro auf den Konten seiner Einzelhandels GmbH übriggeblieben. So viel, wie in den anderen zehn Monaten des Jahres zusammen. Vor Corona lief es besser, da waren es auch mal 8 Mill. Euro, die für Modernisierungen der Ladengeschäfte, Zukauf weiterer Standorte oder auch Ausschüttungen an die Gesellschafter verwendet werden konnten.

Doch dann kamen Zwangsschließungen in der Pandemie, gefolgt von Preissprüngen für Energie, immer schwerer zu findende Mitarbeiter und Kaufzurückhaltung bei hoher Inflation. Viele Herausforderungen, die überwunden werden konnten, weil Kurzarbeit möglich war, Vermieter sich kulant zeigten und staatliche Hilfsgelder verfügbar waren, die allerdings als Darlehen zur Verfügung gestellt wurden.

Ein typischer Fall

Quartalsweise 750.000 Euro muss Andreas Schulte nun aufbringen, um sein Darlehen bis Mitte 2025 zurückzuzahlen. Mit einem aktuellen Liquiditätsbestand von 1,6 Mill. Euro gibt es noch kein Problem für die Januar- und die April-Raten. Aber schon im Juli kann es eng werden, wenn das Geschäft 2024 nicht besser läuft als in diesem Jahr. Spätestens für die Zahlung im Oktober müsste in jedem Fall eine Verständigung mit der Bank gefunden werden oder frisches Geld von außen kommen. Aber soll er sich darüber schon jetzt einen Kopf machen und sich womöglich die Feiertage verderben lassen?

Ein fiktiver Fall – aber exemplarisch für den aktuellen Zustand vieler Unternehmen und typisch für die Beratungspraxis insolvenzrechtlich spezialisierter Rechtsanwälte. Oft wird an den Insolvenzexperten erst gedacht, wenn es nur noch wenige Wochen bis zur Fälligkeit der Darlehensrate sind, die nicht mehr aufgebracht werden kann. Oder wenn diese sogar bereits überfällig und das Geld zur Zahlung nicht da ist.

Können fällige Verbindlichkeiten aus den vorhandenen liquiden Mitteln nicht gezahlt werden, liegt im insolvenzrechtlichen Sinne Zahlungsunfähigkeit vor (§ 17 Insolvenzordnung - InsO). Ist davon eine Gesellschaft betroffen, bei der keine natürliche Person unbeschränkt haftet, etwa eine GmbH, nimmt der Gesetzgeber den Geschäftsführer in die Pflicht: Er hat bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO).

Persönliche Haftung

Gelingt es ihm innerhalb von drei Wochen nicht, mit Gegenmaßnahmen die Zahlungsunfähigkeit erfolgreich auszuräumen, muss ein förmliches Insolvenzverfahren eingeleitet werden. Verpasst der Geschäftsführer diese Frist, drohen ihm ein Strafverfahren und eine persönliche zivilrechtliche Haftung für solche Zahlungen, die von der Gesellschaft nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit noch erbracht wurden.

Der deutsche Gesetzgeber geht zum Schutz der Gläubiger und des Vertrauens im Geschäftsverkehr aber noch weiter: Auch bei rechnerischer Überschuldung besteht eine Insolvenzantragspflicht. Diese tritt nur dann nicht ein, wenn die Geschäftsführung darlegen kann, dass die Gesellschaft ihre zukünftigen Zahlungsverpflichtungen bei Fälligkeit begleichen kann (positive Fortführungsprognose - § 19 InsO.

Prognoseunsicherheiten

Wer einem Kreuzfahrtanbieter eine Anzahlung zahlt oder einem Hotelbetreiber ein Darlehen gewährt, soll sich darauf verlassen können, dass deren Geschäftsführung planvoll in die Zukunft schaut.

Weil es um zukunftsgerichtete Betrachtungen geht, müssen allerdings die jeder Prognose immanenten Unsicherheiten berücksichtigt werden. So kann der Geschäftsführung nachvollziehbarerweise im Rahmen der rechtlich geforderten Planung weder eine Ewigkeitsbetrachtung noch eine vollständige Sicherheit hinsichtlich der zukünftigen Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft abverlangt werden. Aber welcher Maßstab ist hier anzulegen?

Schauen wir nochmals auf unseren Beispielsfall: Typischerweise wird bei einem Handelsunternehmen eine Betrachtung zu Liquidationswerten schon wegen der Auslaufverbindlichkeiten aus Miet- und Arbeitsverhältnissen eine rechnerische Überschuldung zum Ergebnis haben. Ob insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt, hängt damit von der geforderten Fortführungsprognose ab.

Diese wird Andreas Schulte bis einschließlich Mai 2024 bejahen können, wenn operativ weiterhin mit laufenden Überschüssen gerechnet werden kann und die bis dahin fällig werdenden Darlehensraten aus der aktuell bereits vorhandenen Liquidität gedeckt werden können. Aber kann das aus der Perspektive Dezember 2023 reichen, wenn andererseits sicher weitere Darlehensraten fällig werden und bisher schon für die Juli-Rate völlig unklar ist, wie sie gedeckt werden soll?

Kontrollüberlegung

Überlegen Sie einmal, ob Sie hier Herrn Schulte empfehlen würden, die Dinge noch auf sich zukommen zu lassen. Oder halten Sie es eher für angemessen, ihm jetzt schon ein Konzept abzuverlangen, das das ganze Jahr 2024 (oder die gesamte Restlaufzeit des Darlehens?) in den Blick nimmt und Maßnahmen beinhaltet, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit?) erwarten lassen, dass sämtliche Zahlungen pünktlich erbracht werden.

Und als Kontrollüberlegung: Würden Sie Herrn Schulte zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens verpflichten, wenn er das entsprechende Maß an Planungssicherheit nicht erreicht? Ändert sich Ihre Haltung abhängig davon, ob Sie sich in Andreas Schulte hineinversetzen – oder alternativ in Katja Meier, der Herr Schulte heute einen Vertrag zuschicken möchte, in dem sich Frau Meiers Unternehmen zur zukünftigen Belieferung von Herrn Schultes Handelsgesellschaft mit einem Zahlungsziel von 90 Tagen verpflichten soll?

Vorübergehend nur vier Monate

Der Gesetzgeber hatte den Prognosezeitraum für die positive Fortführungsprognose zum Ausschluss einer insolvenzrechtlichen Überschuldung zunächst nicht ausdrücklich festgelegt. Seit dem 1. Januar 2021 gilt ein Zeitraum von zwölf Monaten, der rollierend vom jeweiligen Betrachtungsstichtag zu berechnen ist. Während dieser Zeit muss die Durchfinanzierung überwiegend wahrscheinlich sein.

Mit Blick auf die Energiepreiserhöhung und Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen hatte der Gesetzgeber im Herbst 2022 zeitweilig eine Verkürzung des Prognosezeitraums auf vier Monate beschlossen. Diese Ausnahmeregelung läuft nun zum Jahresende aus. Um seinen Verpflichtungen sicher gerecht zu werden, hat der vorsichtige Geschäftsführer schon seit September 2023 wieder den 12-Monats-Zeitraum zu Grunde gelegt. Unzweifelhaft ist dies ab dem 1. Januar 2024 wieder der notwendige Planungshorizont.

Restrukturierungsplan

Was bedeutet: Wir können Andreas Schulte nicht raten, in Ruhe in die Feiertage zu gehen. Wenn noch keine Gespräche mit der Bank über eine Anpassung der Darlehensraten oder mit dem Gesellschafter über eine mögliche Unterstützung geführt wurden, werden solche Schritte vor einem Insolvenzantrag stehen. Kommt keine Verständigung zu Stande, kann vor Eintritt einer akuten Zahlungsunfähigkeit auch ein Restrukturierungsplan nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) die Krise überwinden.

Instrumente für einen Neuanfang

Und selbst wenn der Insolvenzantrag erforderlich ist, stellt das deutsche Insolvenzrecht verschiedene Instrumente für einen Neuanfang und die Weiterführung des Unternehmens zur Verfügung. Mit der Festlegung der Insolvenzgründe und der Insolvenzantragspflicht hat der Gesetzgeber nicht bestimmt, wann ein Unternehmen am Ende ist – vielmehr ist es ein Weckruf, damit planvolle Maßnahmen ergriffen werden. Ja, das Jahr 2024 wird neue Herausforderungen bringen. Gehen wir sie gemeinsam, aber vor allem rechtzeitig an. Und zwar ab sofort.

*) Dr. Anne Deike Riewe ist Principal Associate der Kanzlei Eversheds Sutherland in München und seit 2022 Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein.

Dr. Anne Deike Riewe

Principal Associate von Eversheds Sutherland in München und seit 2022 Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein. Als Rechtsanwältin berät sie im Insolvenzrecht mit der Schnittstelle zum Gesellschaftsrecht und vertritt Unternehmen sowie deren Geschäftsführer und Vertragspartner in außergerichtlichen und gerichtlichen Restrukturierungen und Insolvenzsituationen.