Venture-Debt-Finanzierung setzt sich durch
Von Wolfram Distler*)
In den vergangenen Jahren haben die Investitionen in junge, wachstumsstarke Unternehmen durch hierauf spezialisierte Eigenkapital-Investoren weltweit rasant zugenommen: Laut einer Studie der KfW, die im September 2020 veröffentlicht wurde, ist die Summe der EK-Investitionen durch Venture-Capital-Fonds etwa in Deutschland seit 2014 von 0,7 Mrd. auf 1,9 Mrd. Euro gestiegen.
In den USA, dem Vereinigten Königreich und den skandinavischen Volkswirtschaften hat in den letzten Jahren ein weiterer Trend an Bedeutung gewonnen: Finanzierung von jungen Unternehmen und Start-ups durch Venture Debt. Dabei handelt es sich um Fremdfinanzierungen für junge wachstumsorientierte Unternehmen, die von hierauf spezialisierten Darlehensgebern (meist spezialisierte Fonds oder öffentliche Förderbanken) bereitgestellt werden. Diese ergänzen das traditionell von Venture-Capital-Beteiligungsgesellschaften zur Verfügung gestellte Eigenkapital. In den USA wird geschätzt, dass bereits ca. 25% des gesamten Venture-Finanzierungsmarktes aus Venture-Debt-Finanzierungen besteht. In Deutschland hingegen führt das Thema noch ein Nischendasein – Schätzungen zufolge bestehen wohl nur 5% des Venture-Marktes aus Fremdkapital, während 95% traditionelles Venture-Eigenkapital darstellen. In letzter Zeit ist allerdings Bewegung in den Markt gekommen, und Venture Debt wird immer öfter auch in Deutschland als Finanzierungsbaustein in Betracht gezogen.
Klassischer Zweck einer Venture-Debt-Finanzierung ist die Zurverfügungstellung von Fremdkapital, um Wachstum zu finanzieren („growth financing“). Hierbei kommt Venture Debt von vornherein nur für solche Start-ups in Betracht, die ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell haben, das auf starkes und nachhaltiges Umsatzwachstum ausgerichtet ist und bei dem keine wesentlichen Technologierisiken mehr bestehen. In der internationalen Praxis wird Venture Debt regelmäßig zwischen zwei Equity-Finanzierungsrunden in Anspruch genommen. Die Rückzahlung des Darlehens soll entweder aus dem laufenden Cash-flow oder durch Refinanzierung mit neuen Krediten bzw. durch Eigenkapitaleinschuss der Gesellschafter erfolgen.
Variante zu Wandeldarlehen
Eine Venture-Debt-Finanzierung ist von dem im Venture-Markt häufig anzutreffenden Wandeldarlehen zu unterscheiden: Wandeldarlehen werden typischerweise von den Gesellschaftern ausgereicht, nicht von einer dritten Partei. Die Bestandsinvestoren möchten hierdurch den Kapitalbedarf des Unternehmens bis zu einer weiteren Frühphasenrunde überbrücken. Die Rückzahlung des Wandeldarlehens ist hierbei eher die Ausnahme, die Regel ist die Wandelung in neue Geschäftsanteile, zu einer bevorzugten, also niedrigen, Bewertung.
Venture-Debt-Finanzierungen hingegen werden von Drittparteien bereitgestellt, die keine Gesellschafter sind und eigentlich auch keine werden möchten, zumindest nicht langfristig. Auch wenn Venture-Debt-Kreditgeber von ihrem Selbstverständnis, Auftreten und ihrer Risikobereitschaft eher an Venture-Capital-Investoren erinnern als an traditionelle Banken, so ist ihr vorrangiges Ziel doch die vollständige Rückzahlung des Darlehens inklusive der aufgelaufenen Zinsen. Der häufig vereinbarte „Equity Kicker“ dient lediglich der Erhöhung der Rendite.
Für die Gesellschafter bietet der Abschluss eines Kreditvertrages gegenüber einem Eigenkapital-Investment in gleicher Höhe mehrere Vorteile: Zum einen wird die Kapitalbasis verbreitert und notwendige Finanzierung bereitgestellt, ohne dass es auf Gesellschafterebene zu einer Verwässerung der Anteile kommt. Wenn sich das Geschäft mit Hilfe der bereitgestellten Mittel wie gehofft entwickelt und es in der nächsten Finanzierungsrunde dadurch zu einer höheren Unternehmensbewertung kommt, hat sich der Einsatz von Fremdkapital schon gelohnt. Zum anderen kommen noch weitere praktische Vorteile hinzu, wie etwa die Tatsache, dass Fremdkapital deutlich schneller und weniger aufwendig angeworben werden kann als ein neuer EK-Investor. Venture-Debt-Kreditgeber verlassen sich häufig auf namhafte Ankerinvestoren und schließen sich deren Einschätzung und Bewertung des Geschäftsmodells und der Gründerpersönlichkeiten an, eine eigenständige Due Diligence zum Beispiel wird selten durchgeführt.
Allerdings müssen die Beteiligten auch gewisse Nachteile gegenüber einem Einschuss von Eigenkapital bedenken. Der wesentliche Nachteil besteht darin, dass die Zinszahlungen sowie die Rückzahlung des Darlehens den laufenden Cash-flow des Unternehmens belasten und im schlimmsten Fall das Insolvenzrisiko erhöhen. Es ist daher zentral, dass bei einem Finanzierungsbedarf, der auf strukturellen Problemen beruht, kein Venture Debt aufgenommen wird. Sollte es zu einer Kündigung des Kreditvertrages durch den Darlehensgeber kommen, wird eine Insolvenz des Unternehmens fast unausweichlich sein, wenn nicht die Gesellschafter bereit sind, kurzfristig den Finanzierungsbedarf zu decken. Gerade in einer wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens laufen die Interessen der Kreditgeber und der Eigenkapital-Investoren somit nicht parallel.
Die übliche Laufzeit einer Venture- Debt-Finanzierung beträgt bis zu drei Jahre, wobei durchaus manchmal auch etwas längere Laufzeiten bis zu vier Jahre vereinbart werden. Die Rückzahlung erfolgt entweder vollständig zum Ende der Laufzeit („bullet repayment“) ohne vorherige (teilweise) Tilgung oder laufend in Raten.
Der Zinssatz ist relativ hoch, in ihm spiegelt sich das erhöhte Risiko gegenüber einer „normalen“ Unternehmensfinanzierung – je nach finanzieller Ausstattung des Unternehmens, dem Umsatz, möglichen Sicherheiten und anderen relevanten Komponenten kann er zwischen 8% und 15% p.a. betragen, meist als Festzins vereinbart. In manchen Fällen, in denen die Zinszahlungen zu sehr den angenommenen Cash-flow belasten würden, werden die Zinsen auch (vollständig oder teilweise) gestundet und dem Darlehensbetrag hinzugerechnet. Aufgrund des in Deutschland geltenden Zinseszins-Verbotes muss es dem Darlehensnehmer aber stets freistehen, die Zinsen doch in bar zu zahlen, wenn er dies wünscht („PIK-Toggle“-Regelung).
Meist wird als zusätzliche Vergütungskomponente neben der Zinszahlung ein Anteilsbezugsrecht (Warrants) vereinbart, also ein direkter Anspruch des Darlehensgebers auf Übertragung eines Gesellschaftsanteils, bewertet auf der Basis der letzten Finanzierungsrunde („Equity Kicker“). Teilweise haben Venture-Debt-Darlehensgeber auch nur Interesse an einem „virtuellen Kicker“, das heißt, es wird kein Anspruch auf einen Gesellschaftsanteil vereinbart, sondern eine Barzahlung, deren Höhe auf der Basis einer virtuellen Beteiligung berechnet wird. Die Dokumentation von Venture-Debt-Finanzierungen enthält zahlreiche Gewährleistungen und Nebenpflichten sowie ein umfassendes Sicherheitenpaket und ist deutlich komplexer als bei Gesellschafter-Wandeldarlehen, was nicht verwunderlich ist, schließlich ist der Darlehensgeber kein Gesellschafter und hat keine direkte Möglichkeit der Einflussnahme auf das Management.
Rasantes Marktwachstum
Es ist zu erwarten, dass der Venture-Capital-Markt insgesamt in Deutschland weiter stark wachsen wird und dass zudem der Anteil an Venture Debt innerhalb dieses Marktes steigen wird. Die europäische Politik schätzt die Relevanz ähnlich hoch ein und hat daher vor einigen Jahren ein eigenes Venture-Debt-Programm der Europäischen Investitionsbank aufgesetzt. Mittlerweile ist die EIB der größte Venture-Debt-Darlehensgeber Europas mit einem Darlehensvolumen von ca. 600 Mill. Euro jährlich.
In Deutschland wurde im März 2019 das KfW-Programm „Venture Tech Growth Financing“ mit einem Volumen von 50 Mill. Euro jährlich gestartet. Diese Programme sowie neue Venture-Debt-Fonds, die in den deutschen Markt drängen, werden die Finanzierung von jungen Unternehmen in Deutschland in den kommenden Jahren stark verändern und immer häufiger durch Venture-Debt-Finanzierungen ergänzen.
*) Dr. Wolfram Distler ist Partner im Frankfurter Büro von DLA Piper.