Wettbewerbshüter nutzen den neuen Instrumentenkasten
Helmut Kipp
Herr Steger, das Bundeskartellamt hat das Missbrauchsverfahren gegen Facebook erweitert. Auf welcher Grundlage geschieht das?
Ja, das von der Behörde im letzten Jahr eingeleitete Verfahren Facebook/Oculus hat eine plötzliche Wendung erfahren. Denn am 19. Januar ist unerwartet schnell ein neues Kartellrecht in Deutschland in Kraft getreten, das nun auch kartellrechtliche Regelungen enthält, die sprichwörtlich auf Digitalkonzerne gemünzt sind. Das dem Bundeskartellamt somit zur Verfügung stehende neue Instrumentarium ist erheblich erweitert. Das Amt zeigt auch, dass es die neuen Regelungen ernst nimmt, denn keine zehn Tage nach Inkrafttreten des neuen Rechts erfolgt die erste Anwendung des neuen §19a GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Dies dürfte auch international für viel Beachtung sorgen.
Was werfen die Wettbewerbshüter dem US-Konzern vor?
Das Facebook gehörende Unternehmen Oculus ist einer der größten Hersteller für Virtual-Reality-Brillen. Die Nutzung des neuen Flagship-Gerätes setzt jedoch zwingend einen Facebook-Account zur Anmeldung voraus. Das Amt prüft deshalb nun, ob es sich aufgrund dieses zwingenden Charakters um eine – für den Marktbeherrscher – unzulässige Kopplung zwischen zwei Produkten handelt. Eine im Kern also letztlich klassische kartellrechtliche Fragestellung.
Mit welchen Argumenten setzt sich Facebook zur Wehr?
Die offizielle Verteidigungslinie von Facebook liegt noch nicht vor, was auch daran liegen dürfte, dass §19a GWB ganz frisch in Kraft getreten ist. Hierzu gibt es keinerlei Präzedenzfälle oder dergleichen. Zu beachten ist jedoch, dass die Nutzung des neuen §19a GWB einen wesentlich längeren Zeitraum in Anspruch nehmen würde, da das Amt in einem ersten Schritt per Bescheid Facebook als Unternehmen mit überragender Marktmacht qualifizieren und erst in einem zweiten Schritt dann Verhaltenspflichten auferlegen müsste. Beide Bescheide wären für sich genommen gerichtlich angreifbar und würden deshalb – wie die Gegenwehr Facebooks in vergangenen Verfahren gezeigt hat – alle gerichtlichen Instanzen durchlaufen müssen.
Hat Facebook tatsächlich eine besondere marktübergreifende Bedeutung?
Eine besondere marktübergreifende Bedeutung ist keinesfalls mit einer marktbeherrschenden Stellung gleichzusetzen. Letztere geht nämlich weiter und erfasst Unternehmen schon wesentlich früher. Als Unternehmen mit besonderer marktübergreifender Bedeutung wird das Bundeskartellamt hingegen deutlich weniger Unternehmen qualifizieren. Insoweit ist zu differenzieren: Das Amt hat bereits 2019 im ersten Verfahren gegen Facebook festgestellt, dass das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehabe. Diese Frage ist auch beim aktuellen Verfahren relevant, da das Amt dann über den §19 GWB gegen Facebook vorgehen kann. Zur Frage, ob Facebook eine marktübergreifende Stellung im Sinne des neuen §19a GWB innehat, hat das Amt noch nicht Stellung bezogen. Aufgrund des sich über verschiedene Märkte erstreckendes Ökosystem (Facebook, Instagram, Whatsapp, Oculus VR) und der damit verbundenen schwer angreifbaren wirtschaftlichen Machtstellung kommt eine solche Stellung für das Bundeskartellamt jedoch zumindest in Betracht.
Kann das Verfahren der umfassenden Sammlung von Daten einen effektiven Riegel vorschieben?
Bei dem in Frage stehenden Verfahren geht es um eine etwaige unzulässige Produktkopplung, durch die versucht wird, im Wege eines Leveraging Effect Markmacht zwischen eigentlich voneinander unabhängigen Märkten zu übertragen. Datenschutzaspekte spielen innerhalb dieses Verfahrens nur eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl wäre Facebook natürlich und insbesondere dazu im Stande, aufgrund der Kopplung zwischen VR-Brille und Facebook-Account das Nutzerverhalten eines jeden VR-Brillennutzers eins zu eins nachzuverfolgen und für Werbezwecke zu verwenden. Insoweit dürfte für Facebook viel vom Ausgang des Verfahrens abhängen. Auch für das Bundeskartellamt ist das Verfahren ein schöner Fall, um seiner internationalen Vorreiterrolle bei der Anwendbarkeit des Kartellrechts im Digitalbereich gerecht zu werden und weitere Pflöcke einzuschlagen.
Dr. Jens Steger leitet die deutsche Kartellrechtspraxis von Simmons & Simmons in Frankfurt.
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