GastbeitragHaftung von Aufsichtsräten

Mahnendes Beispiel Wirecard

Der Insolvenzverwalter von Wirecard hat zwei ehemalige Aufsichtsräte verklagt. Er hält ihnen Pflichtverletzungen bei Kreditvergaben vor. Das wirft ein Schlaglicht auf die Haftungsrisiken von Aufsichtsratsmitgliedern.

Mahnendes Beispiel Wirecard

Welche Haftungsrisiken Aufsichtsräten drohen

Wirecard einmal mehr ein mahnendes Beispiel – Gefahren durch Pflichtverletzungen – Wie Kontrolleure sich schützen können

Von Thomas Dömmecke *)

Rund drei Jahre nach dem Insolvenzantrag hat Wirecard zuletzt erneut für Schlagzeilen gesorgt – und spätestens Ende Februar des kommenden Jahres dürfte das wieder der Fall sein. Denn dann beginnt die mündliche Verhandlung im Organhaftungsverfahren, das der Insolvenzverwalter angestrengt hat.

Er klagt unter anderem gegen die beiden ehemaligen Wirecard-Aufsichtsräte Wulf Matthias und Stefan Klestil, denen Pflichtverletzungen bei diversen Kreditvergaben in Höhe von insgesamt 140 Mill. Euro vorgeworfen werden – nach der Lesart des Insolvenzverwalters entstehe dadurch eine gesamtschuldnerische Organhaftung. Darüber hinaus ist es gut möglich, dass der Insolvenzverwalter seine Klage auf weitere Mitglieder des Wirecard-Aufsichtsrats ausweitet.

Persönliche Haftung möglich

Auch wenn es bis Februar 2024 noch etwas hin ist, wirft das Beispiel Wirecard bereits jetzt ein Schlaglicht auf die umfassenden Haftungsrisiken für Aufsichtsratsmitglieder. Denn wenn Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Pflichten schuldhaft verletzen, haften sie über den Verweis in § 116 des Aktiengesetzes (AktG) wie die Mitglieder des Vorstandes nach § 93 Absatz 2 AktG persönlich, also mit ihrem eigenen Vermögen.

Doch wann liegt überhaupt eine Pflichtverletzung durch einen Aufsichtsrat vor? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst der Blick auf die Pflichten wichtig, die ein Aufsichtsratsmitglied hat. In § 111 Absatz 1 AktG ist die Überwachung und Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstandes als zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats festgelegt. Dabei geht es darum, dass der Aufsichtsrat Leitungsmaßnahmen des Vorstandes daraufhin zu kontrollieren hat, ob sie zweckmäßig, rechtmäßig und wirtschaftlich sind – präventiv, aber auch im Nachgang mit einem vergangenheitsbezogenen Blick.

Zustimmungsvorbehalt als Vetorecht

Um die Kontrolle zu gewährleisten, kann nach § 111 Absatz 4 Satz 2 AktG in der Satzung ein Katalog von Geschäftsführungsmaßnahmen vorgesehen sein, die der Vorstand nicht ohne Zustimmung des Aufsichtsrates vornehmen darf. Dabei handelt es sich regelmäßig um Entscheidungen, die für das Unternehmen grundlegende Bedeutung haben. Auch der Aufsichtsrat selbst kann einen solchen Katalog festlegen und muss dies gegebenenfalls auch von sich aus tun.

Indem er seine Vorbehalte äußert, kann der Aufsichtsrat – wenn auch nur indirekt über ein Vetorecht – aktiv in die Führung der Gesellschaft eingreifen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats machen sich neben dem Vorstand haftbar, wenn sie ihr Vetorecht bei einer Entscheidung nicht ausüben, dies jedoch bei pflichtgemäßem Handeln hätten tun müssen. In einem solchen Fall haften die Aufsichtsratsmitglieder für den entstandenen Schaden mit ihrem Privatvermögen.

Der Vorstand ist dem Aufsichtsrat gegenüber zu einer regelmäßigen Berichterstattung verpflichtet. Zusätzlich kann der Aufsichtsrat nach § 90 Absatz 3 AktG über die Angelegenheiten der Gesellschaft sogenannte Ad-hoc-Berichte verlangen. Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat nach § 111 Absatz 2 Satz 1 AktG die Bücher, Schriften und Vermögensgegenstände der Gesellschaft einsehen und prüfen – auch mit Hilfe von Sachverständigen. Nutzen die Aufsichtsratsmitglieder die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente nicht oder nur unzureichend, um sich – wozu sie verpflichtet sind – eine ausreichende Wissensgrundlage für die Erledigung ihrer Aufgaben zu verschaffen, stellt auch diese Pflichtverletzung ein Haftungsrisiko dar.

Anforderungen im Krisenfall

Die Anforderungen an die Überwachungstätigkeit orientieren sich an der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens. Sie sind in der Krise also deutlich höher als im „Normalbetrieb“. In einer solchen Situation müssen die Mitglieder von Aufsichtsräten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationsquellen nutzen. Erhöhte Anforderungen an die Überwachungstätigkeit können aber auch dann vorliegen, wenn ein Mitglied über besondere Sachkenntnis verfügt oder eine besondere Funktion ausübt.

Zwei Fälle aus der Praxis

Dass die Anforderungen an die Informations- und Sorgfaltspflicht im Krisenfall besonders hoch sind und die Begründungen für eine Inanspruchnahme vielschichtig sein können, zeigt sich exemplarisch an zwei Fällen aus der Praxis des Autors:

• Der Insolvenzverwalter eines Industrieunternehmens hatte gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden eine Haftungsklage mit der Begründung angestrengt, der Aufsichtsratsvorsitzende habe Risiken für die Gesellschaft prüfen, erkennen und abwenden müssen, die angeblich in der Kalkulation und der Vertragsgestaltung eines Großprojekts angelegt waren. Trotz des akuten Krisenstadiums der Gesellschaft habe er es aber unterlassen, Aufsichtsratssitzungen einzuberufen und dort das Projekt zur Diskussion zu stellen. Auch wäre der Aufsichtsrat verpflichtet gewesen, einen Zustimmungskatalog für die Geschäftsführung zu implementieren und dessen Beachtung durchzusetzen. Da es einen solchen nicht gegeben habe, sei das Großprojekt ohne Beteiligung des Aufsichtsrates eingegangen worden und habe durch sein vorhersehbares Scheitern die Insolvenz des Industrieunternehmens herbeigeführt.

• Ein Insolvenzverwalter einer Aktiengesellschaft hat Aufsichtsratsmitglieder mit der Begründung in Anspruch genommen, dass diese überhöhte Tantiemenzahlungen an Vorstandsmitglieder gebilligt hätten. Problematisch war hier insbesondere, dass die entsprechenden Beschlüsse des Gesamtaufsichtsrates nicht gerichtsfest dokumentiert waren und so der Eindruck entstand, die Zahlungen seien von einzelnen Mitgliedern ohne Beschluss freigegeben worden.

Nach § 93 II AktG hat jedes Mitglied eines Aufsichtsrats seine Tätigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds zu erledigen. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang festgelegt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, sich die Fähigkeiten anzueignen, die notwendig sind, um die normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge verstehen und beurteilen zu können. Das bedeutet für Aufsichtsräte, dass in bestimmten Situationen – etwa im Krisenfall – erhöhte Anforderungen an ihre Sorgfaltspflichten gelten, es jedoch nicht haftungsmildernd ins Gewicht fällt, wenn sie es versäumt haben, sich notwendige Fähigkeiten rechtzeitig anzueignen.

Beweislastumkehr

Bei den Haftungsrisiken für Aufsichtsratsmitglieder spielt auch die Beweislastumkehr des § 93 AktG eine wichtige Rolle. Jedes in Anspruch genommene Aufsichtsratsmitglied steht dadurch in der Pflicht zu beweisen, dass es nicht pflichtwidrig gehandelt hat. In der Praxis stellt dies oftmals eine große Herausforderung dar – gerade auch für ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrats. Die Haftung eines Aufsichtsrats verjährt erst nach fünf Jahren, bei Börsennotierung sogar erst nach zehn Jahren.

Daher sollten Aufsichtsräte ihre Informationsbemühungen und Tätigkeiten gerade in einer Krisensituation der Gesellschaft dokumentieren. Ein solches Vorgehen kann ihnen getreu dem Motto „Wer schreibt, der bleibt!“ helfen, wenn sie sich mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen und darlegen und beweisen müssen, dass sie pflichtgemäß gehandelt haben oder – falls nicht – der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln entstanden wäre.

Eine solche Dokumentation kann unter Umständen auch die Basis einer Haftungs-Entlastung nach der sogenannten Business-Judgement Rule bilden. Diese greift, wenn es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelte, die auf einer angemessenen Informationsbasis erfolgte und von der das Aufsichtsmitglied frei von Interessenskonflikten annehmen durfte, dass sie zum Wohle der Gesellschaft sei.

Pflichten im Blick haben

Es zeigt sich, dass es für Aufsichtsräte gerade in einer Krise des Unternehmens zahlreiche Haftungsrisiken gibt, wenn Aufsichtsräte ihren Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht oder nur unzureichend nachkommen. Umso wichtiger ist es daher für sie, ihre Pflichten im Blick zu haben.

Das Thema Haftung des Aufsichtsrats ist aber auch für D&O-Versicherer von großer Bedeutung – gerade auch, da es in solchen Fällen in der Regel um hohe Schadenssummen geht und die Versicherer daher mitunter die einzige Partei sind, die diese überhaupt bezahlen könnte. Daher nehmen D&O-Versicherer in Organhaftungsprozessen oftmals eine zentrale Rolle ein.

*) Thomas Dömmecke ist Rechtsanwalt von Schultze & Braun und Experte für Sanierungsberatung, Gesellschaftsrecht sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten.

Thomas Dömmecke ist Rechtsanwalt von Schultze & Braun und Experte für Sanierungsberatung, Gesellschaftsrecht sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten.

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