Zahlreiche Defizite in der Korruptionsbekämpfung
Helmut Kipp
Herr Mayer, Transparency International hat den Korruptionswahrnehmungsindex für das Jahr 2021 veröffentlicht. Wie schneidet Deutschland ab?
In der nunmehr 27. Auflage des TI CPI führt das Ländertrio Dänemark, Neuseeland und Finnland mit jeweils 88 von 100 Bewertungspunkten die Top Ten an. Den vierten Platz belegen Singapur, Schweden und Norwegen gefolgt von der Schweiz und den Niederlanden. Deutschland ist mit gleicher Punktzahl wie in den letzten sechs Jahren (80) hinter Luxemburg auf Platz 10 zurückgefallen.
In welchen Bereichen liegen die größten Defizite?
Die Nichtregierungsorganisation TI (Transparency International) moniert auch dieses Jahr wieder strukturelle Defizite in den rechtlichen Rahmenbedingungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und der wenig aufklärungsförderlichen Möglichkeit des Einwandes von Amtsgeheimnissen in der öffentlichen Verwaltung. Insbesondere dort macht sich auch das bisherige Versäumnis deutlich, die einschlägigen EU-Vorgaben zum Schutz von Whistleblowern fristgerecht zum 17. Dezember 2021 umzusetzen. Das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz war im Juni 2021 im Bundestag gescheitert.
Im vergangenen Jahr sorgte die Maskenaffäre für Aufregung. Wurden Konsequenzen gezogen?
Die bekanntgewordenen Verdachtsfälle persönlicher Bereicherung von politischen Mandatsträgern im Zusammenhang mit der sogenannten Masken-, aber auch der Aserbaidschan-Affäre, haben trotz der kurz zuvor reformierten Regeln zur Strafbarkeit von Abgeordnetenkorruption – Stichwort: Lobbyregister – ein laut TI bedenkliches Schlupfloch offengelassen. Die NGO weist auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 18. November 2021 hin, in der der Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern nach §108e StGB (Strafgesetzbuch) als derzeit nicht erfüllt bewertet wurde. TI unterbreitet vier konkrete Vorschläge zur tatbestandlichen Schärfung des §108e StGB und fordert vom neuen Bundesjustizminister zur Bekämpfung der zu Beginn des dritten Pandemiejahres weiter steigenden Politikverdrossenheit, die im Ampel-Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 angekündigte Verbesserungen auch tatsächlich zeitnah und effektiv umzusetzen. Und dazu solle mit einem weiteren Verweis auf Bayern auch ausdrücklich das im Freistaat ab 1. April 2022 geltende Verbot privater Provisionsgeschäfte von Abgeordneten mit dem Staat gelten.
Wie steht es um die Bekämpfung von Korruption im Unternehmensbereich? Was würde sich mit einem Unternehmensstrafrecht ändern?
Neben dem gescheiterten Hinweisgeberschutzgesetz hat es im Sommer 2021 auch das Verbandssanktionengesetz nicht geschafft. Im internationalen Vergleich bereitet dies gerade für die exportorientierte deutsche Wirtschaft handfeste Probleme in der Behandlung grenzüberschreitender Korruptionsfälle. Und solange die Verantwortlichkeit von deutschen Unternehmen weiterhin im Ordnungswidrigkeitenrecht geregelt bleibt, werden sich die großen regionalen Unterschiede in der Eröffnung von Ermittlungsverfahren zu Wirtschaftsstraftaten nach wie vor nicht bundesweit vergleichbar und transparent ändern. Insbesondere eine verlässliche Unternehmens-Prognose von konkreten Sanktionsrahmen und tatsächlich erzielbaren Haftungsminderungen durch verbindlich formulierte und effektiv implementierte Compliance-Maßnahmen leidet darunter.
Gibt es weitere gesetzgeberische Defizite?
Der deutsche Gesetzgeber muss verstärkt auf Stringenz und Einheitlichkeit achten. Zum Beispiel fordert das am 16. Juli 2021 verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits ab dem kommenden Jahr von großen Unternehmen sehr detailliert neue Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt entlang ganzer internationaler Wertschöpfungsketten. Der neue TI CPI 2021 betont die Korrelation von Korruptionsneigung und der Gefährdung von Menschenrechten. Und TI kann als NGO über die besondere Prozessstandschaft im neuen Lieferkettengesetz einen Rechtsstreit vor deutsche Gerichte bringen.
Eric Mayer ist Rechtsanwalt und leitet die Compliance-Beratungspraxis von GSK Stockmann.
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