GastbeitragInternationale Sanktionen

Zeitenwende im Außenwirtschaftsrecht

Die Renaissance der Handelssanktionen stellt Unternehmen weltweit vor große Herausforderungen. Komplexität und Kosten nehmen zu.

Zeitenwende im Außenwirtschaftsrecht

Die Renaissance der Handelssanktionen

Zeitenwende im Außenwirtschaftsrecht − Rekalibrierung der Ziele in der EU − Komplexität und Compliance-Anforderungen binden Ressourcen

Von Rafik Ahmad *)

Lange Zeit schienen die Regeln des universalen Freihandels im Umfeld einer globalisierten Wirtschaft unantastbar zu sein. Sanktionen, Kontrollen und andere Handelsbeschränkungen existierten in geringem Ausmaß zwar weiterhin, erschienen jedoch zunehmend als altmodisch und überholt. Spätestens seit dem Ukrainekrieg hat sich hier vieles geändert. Was vor zehn Jahren noch undenkbar schien, haben Corona-Krise, Konflikte, Klimawandel, und – nun bald zum zweiten Mal – die Präsidentschaft von Donald Trump auf den Kopf gestellt.  

Geopolitische Antwort an die USA

Der Prozess zur Rekalibrierung ihrer handelspolitischen Ziele setzte in der EU bereits vor einigen Jahren ein. Im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wurde im Jahr 2016 das Konzept der strategischen Autonomie als geopolitische Antwort auf die von den USA unter Präsident Trump propagierte „America First“-Politik und das von der Volksrepublik China initiierte Programm „Made in China 2025“ vorgestellt. Darin wird die Notwendigkeit einer resilienten europäischen Wirtschaftsordnung angesichts der bevorstehenden Herausforderungen eines neuen, von Rivalität geprägten Zeitalters postuliert. Der neue Kurs zeichnet sich durch de-coupling, de-risking, friend-shoring, der Resilienz und Kontrolle von Lieferketten und dem Streben nach Autonomie aus. Diesen Kurs bestätigte die EU im Jahr 2021 durch die Open Strategic Autonomy (OSA)-Leitlinien, nach der ihre neue Handelsstrategie wie folgt beschrieben wird: „So offen wie möglich und so autonom wie möglich“.

Mehr Instrumente

Vor diesem Hintergrund und infolge von Kriegen und geopolitischen Spannungen ist eine Zunahme von handelspolitischen Instrumenten zu beobachten, zu denen neben Zöllen, Exportkontrollen, Umwelt- und Sozialstandards auch die Renaissance der Handelssanktionen gehört.

Sanktionen und Embargos werden zwar seit langem eingesetzt, um Personen, Unternehmen oder Staaten zu bestimmten Verhaltensänderungen zu veranlassen, etwa die Einhaltung internationaler Normen oder die Förderung menschenrechtlicher Standards. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat aber der Einsatz von Sanktionen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß angenommen. Allein die EU hat bislang vierzehn Sanktionspakete erlassen, während das fünfzehnte Paket schon in Vorbereitung ist.

Enge Taktung der Sanktionsverschärfungen

Doch nicht nur die enge, zeitliche Taktung der Sanktionsverschärfungen stellt Unternehmen vor Herausforderungen. Langjährige Gewissheiten und Grundsätze im Außenwirtschaftsrecht werden durch die Einführung neuer Sanktionsinstrumente zunehmend in Frage gestellt. Beispielhaft sind hier Einwirkungspflichten auf außerhalb der EU ansässige Tochtergesellschaften und Joint Ventures, die verpflichtende Aufnahme von vertraglichen Wiederausfuhrbeschränkungen beim Handel mit Drittländern selbst ohne erkennbaren Russlandbezug sowie eine umfassende Hinweispflicht bei Embargoverstößen. Diese Aspekte werfen eine Reihe bislang ungelöster Rechtsfragen auf, die von der Rechtsprechung zu klären sein werden.

Exterritoriale Wirkung

Der russische Angriff auf die Ukraine hat bei den Sanktionen der EU die Tendenz zur exterritorialen Wirkung deutlich verstärkt. Dabei wurden die USA auch von Seiten der EU lange Zeit für die exterritoriale Wirkung der − völkerrechtlich umstrittenen − US-Sanktionen kritisiert, und deren Befolgung ist in der EU teilweise sogar untersagt.

Doch damit nicht genug: Auch China hat jüngst sein nationales Exportkontrollrecht mit exterritorialen Elementen, die sich am US-Recht anlehnen, versehen. In Verbindung mit seinem lokalen Recht, welches die Befolgung ausländischer Sanktionen untersagen kann, wird die Lage für europäische Unternehmen, die zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen navigieren müssen, immer unübersichtlicher.

Es entsteht der Eindruck, dass Unternehmen, welche ohnehin den Großteil der wirtschaftlichen Last von Handelssanktionen tragen, zunehmend als Vehikel für die fehlende internationale Einigung über die Durchsetzung von Sanktionen dienen. Der Geist der exterritorialen Sanktionen scheint jedenfalls aus der Flasche entwichen und dürfte kaum wieder einzufangen zu sein.

Größeres Strafbarkeitsrisiko

Während Exportkontrolle und Sanktionen häufig mit Hochtechnologie-Produkten in Verbindung gebracht werden, umfassen die Sanktionen gegen Russland und Belarus eine Vielzahl von technisch niedrigschwelligen Gütern. Für den Verkauf und die Ausfuhr embargobehafteter Güter existiert ganz überwiegend keine Geringfügigkeitsschwelle, so dass es in der Praxis zu zahlreichen Straf- und Bußgeldverfahren kommt. Da indirekte Transaktionen ebenfalls eine Haftung auslösen können, steigen die Sorgfaltsanforderungen an Unternehmen selbst für Transaktionen mit Geschäftspartnern außerhalb Russlands bzw. Belarus. Verstärkt wird das Ahndungsrisiko durch die zunehmenden exterritorialen Aspekte der EU-Sanktionen. Auf der anderen Seite kann eine sog. Over-Compliance ein zivilrechtliches Regress- und Schadensersatzrisiko für Unternehmen begründen, was die schwierige Gemengelage nicht vereinfacht.  

Verlagerung der Compliance-Schwerpunkte

Anhand der Sanktionen der EU gegen Russland lässt sich auch der typische „Lebenszyklus“ derartiger Handelssanktionen aus Unternehmenssicht veranschaulichen. Während zu Anfang die Compliance mit den Beschränkungen für die Geschäftstätigkeit im Fokus stand, verlagerten sich die Fragestellungen in der nächsten Phase auf den Rückzug vom russischen Markt. Aktuell stehen neben dem Risiko indirekter Lieferungen Fragestellungen im Zusammenhang mit internationalen Schiedsverfahren und Gerichtsprozessen in Russland im Fokus.

Der Umgang mit China

Die Wiederwahl Donald Trumps dürfte europäische Unternehmen vor allem durch die zu erwartende Verhärtung der geopolitischen Fronten zwischen den USA und China treffen. Dies ist unter anderem in einem Ungleichgewicht der Maßnahmen, welche die USA und die EU jeweils gegen China implementiert haben, begründet.

Während die USA umfassende Exportkontrollen und Sanktionen gegen China verhängt haben, vor allem in Form von produkt- und technologiebezogenen Kontrollen, der Sanktionslistung von Unternehmen, Maßnahmen gegen Zwangsarbeit und finanzielle Beschränkungen, stützt sich die EU bisher im Wesentlichen auf die Kontrolle von Dual-Use- und Rüstungsgütern, die ergänzt werden durch spezifische nationale Kontrollen einiger Mitgliedstaaten und Sanktionslistungen, die weit hinter dem Umfang der USA zurückbleiben.

Hierzu passt ins Bild, dass ab Anfang 2025 die USA die Kontrolle von Investitionen in sicherheitskritische Technologien in den Bereichen Halbleiter, Quanteninformatik und Künstliche Intelligenz in China bzw. in chinesisch-kontrollierte Unternehmen verschärfen.

Etwas nuancierter wird der Vergleich allerdings, wenn auch bestimmte indirekte Aspekte, die den Handel zwischen der EU und China tangieren, mitberücksichtigt werden. So müssen sich in der EU ansässige Unternehmen nach besten Kräften „bemühen“, sicherzustellen, dass ihre in China (und anderen Drittländern) ansässigen Tochtergesellschaften, die sie besitzen oder kontrollieren, nicht an Aktivitäten beteiligt sind, die die restriktiven Maßnahmen der Russland- und Weißrussland-Verordnungen „untergraben“.

Trotzdem ist das Ausmaß der US-Beschränkungen gegenüber China im Vergleich zur EU deutlich größer, und es ist zu erwarten, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird.

Globaler Handel wird aufwändiger und teurer

Die Renaissance der Handelssanktionen wird den globalen Handel nicht zum Erliegen bringen. Komplexität und Compliance-Anforderungen werden ihn jedoch für Unternehmen erschweren und verteuern sowie Ressourcen binden. Dienstleister, wie Banken und Logistiker, aber auch Geschäftspartner werden ihre Compliance-Risiken minimieren, indem sie Compliance-Verpflichtungen an ihre Kunden weitergeben werden.

Transparenz erwartet

Der Trend zu den höheren Erwartungen des Gesetzgebers an die Transparenz von Lieferketten sowie den Auswirkungen auf Menschen und Umwelt dürfte anhalten. Es ist auch weiter damit zu rechnen, dass unterschiedlichste Akteure ihr nationales Außenwirtschaftsrecht als Instrument zur Durchsetzung geopolitischer Interessen nutzen werden.

Damit dürfte auch die Weltkarte der internationalen Sanktionen in absehbarer Zukunft nicht übersichtlicher werden.

Rafik Ahmad ist Rechtsanwalt und Assoziierter Partner bei Flick Gocke Schaumburg. Er berät Unternehmen in den Bereichen Außenwirtschaftsrecht, Exportkontrolle und Sanktionen.

*) Rafik Ahmad ist Rechtsanwalt und Assoziierter Partner bei Flick Gocke Schaumburg. Er berät Unternehmen in den Bereichen Außenwirtschaftsrecht, Exportkontrolle und Sanktionen.