„Tragbare Geräte sind der nächste Meilenstein“
Im Interview: Catherine Tennyson
„Tragbare Geräte sind der nächste Meilenstein“
Mental Health rückt immer stärker in den Fokus – Expertin glaubt an langfristiges Wachstum für die Branche
Während Gesundheitsfragen und -unternehmen längst die Kapitalmärkte bewegen, ist mentale Gesundheit bisher eher ein Nischenthema. Das dürfte sich bald ändern. Davon ist Fondsmanagerin Catherine Tennyson von Axa Investment Managers im Interview der Börsen-Zeitung überzeugt.
Frau Tennyson, Sie beschäftigen sich mit dem immer wichtiger werdenden Bereich der mentalen Gesundheit. Wie kamen Sie darauf?
Wir bewegen uns in verschiedenen Feldern und mentale Gesundheit kommt aktuell stärker auf. Dieser Trend ist uns aufgefallen und wir schauen, welche Unternehmen dadurch positive Gewinnaussichten haben und gleichzeitig zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems beitragen.
Gesellschaftlich und politisch sind Themen wie Depressionen oder Suchterkrankungen inzwischen nicht mehr so verpönt wie noch vor wenigen Jahren. Aus Investorensicht ist das Themenfeld aber noch immer eher unterbelichtet. Glauben Sie, dass sich das ändern könnte?
Investitionen in mentale Gesundheit sind nicht nur für den Einzelnen von entscheidender Bedeutung, sondern auch für das Gesundheitssystem, die Gesellschaft und die wirtschaftliche Produktivität im weiteren Sinne. Psychische Gesundheitsprobleme kosten die britische Wirtschaft jährlich mindestens 117,9 Mrd. Pfund, das sind 5% des britischen BIP im Jahr 2019. Daher ist es verwunderlich, dass dies bis hierhin einer der am stärksten unterversorgten Bereiche der Gesundheitsversorgung ist. Die medizinische Fachwelt erkennt den engen Zusammenhang zwischen guter psychischer und physischer Gesundheit zwar an, doch die Kostenträger und politischen Entscheidungsträger haben erst vor kurzem aufgeschlossen. Im Jahr 2024 befinden wir uns nun an einem spannenden Punkt, an dem die Politik, die Kostenträger, die privaten und öffentlichen Märkte sowie die Patienten an einem Strang ziehen, um den Bereich der psychischen Gesundheit voranzubringen. Wir glauben, dass der Sektor für langfristiges Wachstum gut aufgestellt ist.
Was hat sich politisch geändert?
2023 war ein Schlüsseljahr für die politische Anerkennung und Finanzierung der mentalen Gesundheit in den Industrieländern, und das dürfte auch ein stärkeres finanzielles Engagement in diesem Bereich nach sich ziehen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Im Juni 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Plan für einen umfassenden Ansatz zur psychischen Gesundheit in der EU. Der Plan umfasst 20 Leitinitiativen und EU-Mittel über 1,23 Mrd. Euro, um die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, Menschen und ihre psychische Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen. Auch in den USA kündigte das Ministerium für Gesundheitspflege und soziale Dienste 206 Mill. Dollar an Zuschüssen für die psychische Gesundheit von Jugendlichen an. Dies ist wohl das erste Mal, dass sich die Politik für einen koordinierten und ganzheitlichen Ansatz zur Bewältigung der gesellschaftlichen Belastung durch psychische Gesundheitsfragen einsetzt. Und die Unternehmen, die in diesem Bereich Lösungen anbieten, sind für ein längerfristiges strukturelles Wachstum des Sektors gerüstet.
Wie sieht es bei den Krankenversicherungen aus?
Krankenversicherer sind die Gatekeeper für den Zugang zur psychischen Gesundheitsversorgung und haben erfreulicherweise als einige der ersten in diesen Bereich investiert. US-Krankenversicherer wie United Health (UNH) und Humana haben ihr Angebot weiter ausgebaut. Im Januar 2023 kündigte UNH die Einführung eines neuen, virtuellen Verhaltens-Coaching-Programms an – eine Hilfsdienstleistung für Versicherte, die unter Depressionen, Stress und Angstzuständen leiden. Dienstleistungen im Bereich der psychischen Gesundheit werden für Krankenversicherer gerade zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal – zumal Arbeitgeber ihren Mitarbeitern eine wachsende Deckung für psychische Erkrankungen bieten wollen. Für Innovationen und Kapitalallokation in diesem Bereich ist das ein entscheidender Impulsgeber.
Wie schlagen sich Start-ups im Bereich Mental Health?
Obwohl es sich um einen strukturell wachsenden Markt handelt, war der Bereich der mentalen Gesundheit nicht immun gegen die härteren Finanzierungsbedingungen im Jahr 2023. Auf ihrem Höhepunkt sammelten Start-ups im Bereich der mentalen Gesundheit in Europa 2021 rund 1,2 Mrd. Dollar an Investitionen ein, 2023 waren es nur noch 80 Mill. Dollar. Wir halten dies für eine vorübergehende Korrektur und nicht für eine strukturelle Veränderung des Interesses an Innovationen im Bereich der psychischen Gesundheit. 2024 sind bereits erste Anzeichen einer Erholung zu erkennen.
Und die großen Unternehmen?
Große börsennotierte Unternehmen aus den Bereichen Managed Care und Gesundheitsdienstleistungen sind Partnerschaften mit diesen innovativen Start-ups eingegangen, um ihr Angebot im Bereich der psychischen Gesundheit auszubauen. So investierte CVS Health Ventures im Januar 2024 in einer Series-A-Finanzierungsrunde in die in Connecticut ansässige Suizidpräventions- und Telegesundheits-Plattform Vita Health. Bislang konzentrierten sich die meisten Investitionen auf Plattformen von Gesundheitsdienstleistern (Therapienetzwerke, Verhaltens-Apps usw.). Dies ist ein stark fragmentierter Bereich, in dem es unweigerlich zu weiteren Konsolidierungen durch größere Krankenversicherer kommen wird, die ihren bereits umfassenden Kundenstamm und ihre Infrastruktur zu ihrem Vorteil nutzen können.
Bei den großen Pharma-Riesen wie Novo Nordisk oder Eli Lilly waren Abnehmprodukte zuletzt ein echter Trendsetter. Was könnte beim Thema mentale Gesundheit aus Kapitalmarksicht ein attraktiver Marktöffner sein?
Tragbare Geräte für die psychische Gesundheit sind der nächste Meilenstein, in den unserer Meinung nach verstärkt Investitionen über die öffentlichen Märkte fließen werden. Medizintechnikunternehmen mit Erfahrung bei Wearables sind für diese Start-ups ein natürliches Habitat. Wir glauben, dass die größeren börsennotierten Unternehmen der Medizintechnik die frühen Gewinner im Bereich der Wearables für die psychische Gesundheit genau beobachten, bevor sie Übernahmen tätigen.
Haben Sie ein Beispiel für die Nachfrage nach solchen Wearables?
Man muss sich nur die explosionsartig zunehmende Nachfrage nach kontinuierlichen Blutzuckermessgeräten ansehen. Das gibt zu erkennen, dass Patienten bereit sind, etwas am Körper zu tragen und bei der Überwachung und Verwaltung ihrer eigenen Gesundheit autonomer zu sein. Medizintechnikunternehmen mit Erfahrung bei Wearables sind für diese Start-ups ein natürliches Habitat. Aus therapeutischer Sicht laufen derzeit Studien zur weiteren Erforschung des potenziellen Einsatzes der Regulierung von Kaliumkanälen bei der Behandlung schwerer depressiver Störungen und des GLP1-Rezeptor-Agonismus bei der Steuerung von Belohnungsmechanismen. Man will herausfinden, ob dies zur Behandlung von Sucht- und Drogenmissbrauchsstörungen genutzt werden kann.
Wie groß ist der Bereich mentale Gesundheit und wie schätzen Sie die Wachstumsaussichten für den Sektor ein?
Die wahre Größe des Sektors für psychische Gesundheit in Dollar zu beziffern, ist schwierig. Am besten lässt sich das Potenzial mit Blick auf Krankheitsverbreitung und -belastung quantifizieren. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte im Jahr 2021, dass in Europa mehr als 150 Millionen Menschen mit einer psychischen Erkrankung leben, von denen nur ein Drittel medizinisch versorgt wird – der Markt hat also eine signifikante Größe. Daten aus einer im JAMA (Journal of the American Medical Association, Anm. der Redaktion) veröffentlichten Kohortenstudie zeigen, dass die Inanspruchnahme und die Ausgaben für psychische Gesundheitsdienste unter kommerziell versicherten Erwachsenen zwischen 2019 und 2022 um 38,8% bzw. 53,7% gestiegen sind. Demnach befindet sich der Sektor im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie in einer viel besseren Position. Angesichts des anhaltenden Innovationswachstums in den Bereichen Dienstleistungen, Medizinprodukte und Therapeutika gehen wir davon aus, dass der Sektor mittelfristig ein strukturelles Wachstum aufweisen wird.
Auf welche Unternehmen setzen Sie in dem Bereich Mental Health und was macht diese für Sie attraktiv?
Krankenversicherer und Managed-Care-Anbieter wie UNH, Humana und Cigna sind die Gatekeeper der mentalen Gesundheitsversorgung. Sie verfügen über große Patientenpools und enge Beziehungen zu Arbeitgebern. Diese Unternehmen haben bereits Erfahrung mit virtueller Gesundheitsversorgung und verfügen daher über die für Plattformen für psychische Gesundheit erforderliche Infrastruktur.
Wer könnte noch profitieren?
Apotheken spielen eine immer wichtigere Rolle bei der Bereitstellung eines besseren und lokaleren Zugangs zur Gesundheitsversorgung. In den USA hat CVS in Vita Health investiert, ein Start-up-Unternehmen, das sich auf die Suizidprävention konzentriert. Apotheken spielen dabei eine essenzielle Rolle bei der Einhaltung der Medikamenteneinnahme durch Patienten, was auch Therapeutika gegen Angst und Depression einschließt. Die Einführung von E-Rezepten in Deutschland könnte ein breiterer Katalysator für die Einrichtung weiterer Online-Plattformen bei europäischen Apothekenketten sein.
Wie sieht es bei Wearables aus?
Consumer Medtechs, insbesondere führende Unternehmen im Bereich von Wearables für Endverbraucher, könnten ihre Möglichkeiten im Bereich der mentalen Gesundheit leicht nutzen. Für ein Mehrzweckgerät, mit dem der Patient alles von Blutzucker und Schlafverhalten bis hin zum Umgang mit Ängsten und Depressionen verfolgen kann, wäre die Nachfrage eindeutig vorhanden.
Was ist mit Biotech-Unternehmen?
Biotech- und Pharmaunternehmen forschen mit zunehmendem Verständnis der neuronalen Signalwege nach zielgerichteten Therapeutika zur Behandlung von psychischen Gesundheitsfeldern mit hohem ungedecktem Bedarf, z. B. bei schweren depressiven Störungen.
Zur Person: Catherine Tennyson ist Healthcare-Portfoliomanagerin bei Axa Investment Managers. Sie ist für Aktien-Strategien in den thematischen Feldern Gesundheit, Biotech und Langlebigkeit verantwortlich, wobei sie von ihrem Hintergrund als studierte Medizinerin profitiert.
Das Interview führte Tobias Möllers.Das Interview führte Tobias Möllers.