RECHT UND KAPITALMARKT

Ablösung des Libor ist Chefsache

Bislang noch keine tragfähige Alternative zum Referenzzinssatz - Absicherungen werden nur noch schwer möglich

Ablösung des Libor ist Chefsache

Von Moritz Maier, Osman Sacarcelik und Dennis Schetschok *)Referenzzinssätze sollen dem Finanz- und Kapitalmarkt neutrale und objektive Vergleichsmaßstäbe zur Verfügung stellen. Sie dienen der Preisbildung für Darlehenszinsen und sind für viele Finanzprodukte ein wichtiger Richtwert. Probleme entstehen dann, wenn Referenzzinssätze kein Vertrauen mehr genießen.2012 wurde offenkundig, dass der London Interbanking Offered Rate (Libor) jahrelang von Mitarbeitern der Panel-Banken, welche die Daten für dessen Berechnung zur Verfügung stellen, manipuliert wurde. Zudem gerät der Libor durch den Brexit unter Druck, da sich europäische Unternehmen zumindest im Falle des “Hard Brexit” nicht mehr ohne Weiteres auf ihn beziehen könnten. Am 27. Juli 2017 kündigte die britische Financial Conduct Authority (FCA) an, dass die Panel-Banken des Libor ab 2022 nicht mehr aufsichtsrechtlich verpflichtet würden, an der Libor-Berechnung mitzuwirken. Infolgedessen werden sie insbesondere aufgrund des mit der Mitwirkung an der Libor-Berechnung verbundenen Haftungsrisikos nach heutigem Stand auf weitere Datenübermittlungen verzichten. Der Libor wird daher voraussichtlich ab 31. Dezember 2021 nicht mehr gebildet. Andere Referenzwerte wie der Euribor schließen sich an und werden – überwiegend Ende 2019 – ebenfalls eingestellt. In die RisikoplanungDas Risikomanagement in Banken verlangt, die Folgen des Wegfalls der Referenzzinssätze in die Strategie- und Risikoplanung einzubeziehen. Es kann nicht darauf vertraut werden, dass der Libor direkt durch alternative Referenzwerte ersetzt werden kann. Bislang hat sich jedenfalls noch keine tragfähige Alternative zum Libor herausgebildet. Die hierauf gerichteten Bemühungen der währungsbezogenen Working Groups des Financial Stability Board (FSB) stehen noch am Anfang. Ob die derzeit diskutierten Alternativen wie der Euro Short-Term Rate (Ester), der amerikanische Secured Overnight Financing Rate (SOFR) oder der britische Sterling Overnight Index Average (Sonia) den Libor ersetzen können, wird sich erst dann zeigen, wenn der Markt seine Finanzprodukte tatsächlich auf diese – neuen – Referenzzinssätze bezieht. Kein SelbstläuferDas ist kein Selbstläufer. Ökonomische und rechtliche Konsequenzen sind absehbar. Auch vor diesem Hintergrund forderte die FCA am 19. September die von ihr beaufsichtigten Unternehmen auf, bis Dezember einen von der Geschäftsleitung verabschiedeten Plan über die im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Libor identifizierten Risiken und entsprechende Gegenmaßnahmen einzureichen. Die FCA macht die Libor-Ablösung damit zur Chefsache. Es ist wahrscheinlich, dass die nationalen und internationalen Behörden dem Beispiel folgen.Aus der Libor-Ablösung ergibt sich, dass Produktverträge anzupassen sind. Rechtliche Risiken ergeben sich schon aus dem Anpassungsbedarf an sich. Darüber hinaus begründen auch die Anpassungen selbst rechtliche Risiken. Hier ist Konsens, dass die gegenwärtig in Produktverträgen enthaltenen Regelungen, die eine alternative Referenzwertbestimmung für den Fall eines kurzfristigen Ausfalls des Libor beinhalten, den dauerhaften Ausfall nicht berücksichtigen. Historische Ansätze solcher Fallback-Klauseln werden inhaltlich unanwendbar, wenn die Bezugspunkte der letztmaligen Libor-Veröffentlichungen immer weiter in die Vergangenheit rücken Neuverhandlungsklauseln bieten demgegenüber eine zu geringe rechtliche Sicherheit, während das gänzliche Fehlen einer Fallback-Klausel sogar zur vorzeitigen Vertragsabwicklung führen kann.Die heute erforderliche Neugestaltung oder Anpassung der Produktverträge steht vor der Herausforderung, dass bislang keine sichere Alternative zum Libor besteht. Als Antwort hierauf veröffentlichte die Loan Market Association im Mai eine Musteränderungsklausel, mit der die in den LMA-Standard-Vertragsmustern bereits enthaltene Fallback-Klausel mit Blick auf das Auslaufen des Libor angepasst werden kann. Ziel der LMA ist es, den Grad der Flexibilisierung zu erhöhen. Die aktuelle Standard-Fallback-Klausel sieht vor, dass im Falle des Ausfalls des Referenzzinssatzes ein alternativer anerkannter Satz im gegenseitigen Einverständnis der Vertragsparteien einbezogen werden soll. Die von der LMA empfohlene Anpassung erweitert den Anwendungsbereich dieser Fallback-Klausel unter anderem auf weitere Alternativen hinsichtlich der einzubeziehenden Referenzwerte. Zugleich können die Vertragsparteien bei Konsortialkrediten nunmehr selbst bestimmen, welche Mehrheitsverhältnisse für die Anwendung eines alternativen Referenzzinssatzes notwendig sind.Alternativ könnte von den Vertragspartnern jedoch auch das Ziel verfolgt werden, bereits heute konkrete Regelungen für das Auslaufen des Libor zu treffen. Dieser Ansatz hätte den Vorteil, dass früh Planungssicherheit bestünde. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Vertragsneugestaltungen und -änderungen an den Vorgaben der AGB-Kontrolle zu messen sind. Nicht nur gegenüber Privatkunden, sondern auch gegenüber Unternehmenskunden muss das Äquivalenzverhältnis und die Interessenlage der Vertragsparteien beachtet werden. Finanzielle Nachteile für den Kunden aufgrund des bloßen Wegfalls des Libor dürften ohne dessen Einverständnis nur schwer zu rechtfertigen sein. Automatisierte ProzesseBei der praktischen Umsetzung kann, vor allem bei der Analyse des Status quo und der Durchführung von Re-Papering-Projekten, auf erprobte automatisierte Prozesse zurückgegriffen werden. Die Automatisierung erleichtert die notwendigen Anpassungen. Zugleich sind jedoch auch Einzelprüfungen und individuelle Lösungen erforderlich, welche die jeweils konkrete Vertragsgestaltung und Interessenlage berücksichtigen.Aus aufsichtsrechtlicher Perspektive entwickelt der Vertragsanpassungsbedarf Marktpreis- und operationellen Risiken. Denn aus ungeklärten Vertragsverhältnissen können Einnahmeausfälle und Rechtsrisiken resultieren, die Rückstellungsbedarfe begründen. § 25a Abs. 1 KWG und BTO 1.3 MaRisk verpflichten die Institute zudem, solche Risiken in einem möglichst frühen Stadium zu identifizieren und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Darüber hinaus sind Verwender von Referenzzinssätzen nach Art. 28 Abs. 2 der EU-Benchmark-Verordnung seit Beginn dieses Jahres verpflichtet, “robuste schriftliche Pläne” für den Ausfall der in Bezug genommenen Referenzwerte aufzustellen. Es besteht also Handlungsbedarf.Ein weiterer bislang unbeachteter aufsichtsrechtlicher Aspekt sind die Auswirkungen auf Zinssicherungsgeschäfte. Institute steuern ihr Zinsänderungs- und Liquiditätsrisiko, indem sie umfangreich Zinsswaps mit professionellen Kontrahenten abschließen. Unsicherheiten des Libor-Auslaufs beeinflussen auch diese Geschäfte. Insbesondere das Timing ist entscheidend. Denn je weniger Produkte auf den “alten” Referenzzinssätzen basieren, desto stärker wird die Liquidität im entsprechenden Derivatemarkt austrocknen. Absicherungen werden dann nur noch schwer möglich, zumindest aber erheblich teurer. Ohne Absicherungsgeschäfte müssten Zins- und Liquiditätsrisiken umfassend in die Eigenmittel- und Risikoplanung aufgenommen werden.Der geschilderte Handlungsbedarf liegt nicht nur abstrakt im Verantwortungsbereich der Institute, sondern auch konkret im Verantwortungsbereich der Geschäftsleitung. § 25c Abs. 2 Nr. 3 KWG betont, dass die Geschäftsleiter für die ordnungsgemäße Organisation und Weiterentwicklung des Instituts verantwortlich sind. Dieser aufsichtsrechtlichen Verantwortung genügen sie nur, wenn sie die Risiken beurteilen können und erforderliche Gegenmaßnahmen treffen. Bei Verstößen hiergegen drohen, neben zivilrechtlichen Haftungen – unabhängig davon, wie man zu symbolischer Strafgesetzgebung steht – auch strafrechtliche Sanktionen, etwa aus § 54a Abs. 1 in Verbindung mit dem genannten § 25c KWG. Der Libor-Auslauf liegt daher in der originären Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung und ist Chefsache.—-*) Dr. Moritz Maier und Dr. Osman Sacarcelik sind Rechtsanwälte bei Deloitte Legal. Dennis Schetschok ist Senior Manager in Financial Services Solutions bei Deloitte Consulting.