RECHT UND KAPITALMARKT

Aktienzugriff schon während der Annahmefrist

"Early Bird Settlement" bietet schnelles Verfahren für öffentliche Übernahmen - Vorteile bei Suche nach Paketaktionär

Aktienzugriff schon während der Annahmefrist

Von Marc Christian Gei und Matthias Kiesewetter *)Finanzmarktkrise und Wirtschaftseinbruch in der Eurozone haben in vielen Unternehmen nicht nur die Unsicherheit darüber wachsen lassen, wie sich Konjunktur und operatives Geschäft künftig entwickeln werden. Auch die trotz teilweise günstiger Bewertungen im historischen Vergleich niedrige Mergers-&-Acquisitions-Aktivität zeigt diese Verunsicherung der Marktteilnehmer.In diesem volatilen Umfeld ist es für Bieter heute – stärker noch als in vermeintlich “normalen” Zeiten – wichtig, bei einer Übernahme möglichst schnell Zugriff auf die Zielgesellschaft zu erhalten. Zugriff heißt bei börsennotierten Zielgesellschaften: Erwerb des Eigentums an den Aktien, verbunden mit der Möglichkeit, über eine Auswechslung des Aufsichtsrats mittelbar die Zusammensetzung des Vorstands und damit die Geschäftspolitik der Gesellschaft beeinflussen zu können. Absicherung über KlauselnDer Vollzug eines öffentlichen Angebots, also die Zahlung des Angebotspreises gegen Übertragung der Aktien der Zielgesellschaft, erfolgt im Normalfall erst nach Ablauf der Annahmefrist sowie bei freiwilligen Übernahmeangeboten zusätzlich nach Verstreichen der weiteren Annahmefrist. Die Zeitspanne bis zum Vollzug beträgt dabei im Regelfall drei bis vier Monate nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots.In dieser doch relativ langen Zeit können sich viele Parameter verschieben, vor allem mit Blick auf die derzeit sehr volatilen Finanzmärkte. Damit steigt aber für den Bieter das Risiko, dass sich die Rahmenbedingungen und Unternehmenskennzahlen wesentlich nachteilig verändern. Dazu gehören etwa Ereignisse mit wesentlich nachteiligem Einfluss auf Betriebsergebnis (Ebit) oder Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) der Zielgesellschaft. Um sich gegen einen solchen “Material Adverse Change” (MAC) abzusichern, werden zumeist sogenannte MAC-Klauseln in die Angebotsunterlage aufgenommen. Diese machen den Vollzug des Angebots davon abhängig, dass während des Angebotszeitraums bei der Zielgesellschaft kein solches Ereignis eintritt. Die Klausel wird dabei in der Regel so formuliert, dass ein Gutachter – zumeist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – einen etwaigen MAC-Eintritt vor Ablauf der Annahmefrist festzustellen und durch den Bieter zu veröffentlichen hat.Dies ist aus Bietersicht jedoch im Grunde nicht mehr als eine Absicherung gegen den Worst Case und damit die zweitbeste Lösung, denn eine MAC-Klausel ermöglicht nur – negativ – unter eng definierten Voraussetzungen den Ausstieg aus der Transaktion. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen eine – positive – Einflussnahme auf die Zielgesellschaft zum richtigen Zeitpunkt vorzugswürdig wäre. So könnte im Einzelfall eine Transaktion doch noch gelingen, indem z. B. ein bestimmter Hauptversammlungsbeschluss gefasst oder vereitelt wird. Voraussetzung wäre hier allerdings, dass der Bieter Zugriff auf die ihm bereits angedienten Aktien hat, während die Angebotsfrist selbst noch läuft.Was MAC-Klauseln zudem nicht verhindern können, sind die Kosten, die dem Bieter für die Bereitstellung der Finanzierung für sämtliche außenstehenden Aktien in der Zeit zwischen Ankündigung und Settlement des Angebots entstehen, ohne dass er im Gegenzug zu diesem Zeitpunkt bereits Zugriff auf die Aktien der Zielgesellschaft hat. Durch frühzeitige Übertragung der angedienten Aktien an den Bieter würde auch diesen Kosten ein Nutzen gegenüber stehen.Es ist deshalb zu begrüßen, dass die BaFin in Übernahmeverfahren auch einen flexibleren Angebotsvollzug gestattet, jüngst etwa als die Vue Beteiligungs AG die Cinemaxx AG übernommen hat. In diesem unbedingten Übernahmeangebot kam das sogenannte “Early Bird Settlement” zum Einsatz: Die Aktien der Zielgesellschaft, die dem Bieter täglich auf Basis seines Angebots angedient wurden, erhielt der Bieter bereits während der Annahmefrist zum jeweiligen auf den Tag der Angebotsannahme folgenden Bankarbeitstag gegen Zahlung des Angebotspreises. Das Early Bird Settlement hat für den Bieter zum einen den Vorteil, dass er bereits während der Annahmefrist unmittelbaren Zugriff auf die mit den angedienten Aktien verbundenen Stimm- und Dividendenrechte erlangt. Zum anderen stehen dem Bieter die Aktien gegebenenfalls sofort als Sicherheit für einen Lombardkredit zur Verfügung und können etwaige andere Sicherheiten (z. B. eine Barsicherheit auf einem Konto mit Sperrvermerk) ersetzen. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass die außenstehenden Aktionäre der Zielgesellschaft durch die frühzeitige Zahlung der Gegenleistung einen Anreiz haben, ihre Aktien möglichst zügig einzureichen. Das kann sich als probates Mittel erweisen, um bereits zu Beginn der Annahmefrist eine möglichst hohe Annahmequote zu erreichen.Von Bedeutung ist dies insbesondere bei Angeboten, die entweder keinen Börsenhandel für die zum Verkauf eingereichten Aktien vorsehen oder trotz Handelseinbeziehung lediglich geringe Liquidität in der Interimsgattung aufweisen.Auch bei der Suche nach Paketaktionären, die sich im Rahmen von “Irrevocable Undertakings” im Vorfeld einer öffentlichen Übernahme unwiderruflich zur Andienung in das Angebot verpflichten, kann ein vorzeitiger Angebotsvollzug hilfreich sein. Dies gilt vor allem in Konstellationen, in denen der Bieter beabsichtigt, im Anschluss an das Angebot einen übernahmerechtlichen Squeeze-out durchzuführen.Die gesetzliche Fiktion, dass der Angebotspreis als angemessene Abfindung im Rahmen des nachfolgenden Squeeze-out gilt, setzt eine Annahmequote von mindestens 90 % der vom Angebot betroffenen Aktien voraus. Gegenüber einem – nicht anrechenbaren – Paketverkauf außerhalb des Angebots würde für Paketaktionäre die Angebotsannahme zur Erfüllung der Irrevocable Undertakings deutlich attraktiver, wenn sie durch vorzeitiges Settlement noch während der Annahmefrist die Gegenleistung für das angediente Aktienpaket unmittelbar erhalten.Rechtliche Bedenken gegen eine laufende Abwicklung noch während der Annahmefrist bestehen nicht. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) enthält keine zwingenden Vorgaben zum Zeitpunkt der Angebotsabwicklung. Die Angebotsunterlage hat gemäß § 2 Nr. 4 WpÜG-Angebotsverordnung lediglich Angaben zu enthalten, die “den Zeitpunkt, zu dem diejenigen, die das Angebot angenommen haben, die Gegenleistung erhalten”, regeln. Entscheidend ist, dass der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 3 Abs. 1 WpÜG beachtet wird. Die Möglichkeit eines Early Bird Settlement muss sämtlichen Aktionären der Zielgesellschaft offenstehen. Eine Staffelung der Höhe der vom Bieter angebotenen Gegenleistung nach dem Zeitpunkt der Annahmeerklärung muss vermieden werden.Zu beachten ist auch, dass das Angebot zum Zeitpunkt des Early Bird Settlement keine Bedingungen mehr enthalten darf. Die Transaktion müsste also zu diesem Zeitpunkt bereits von der jeweils zuständigen Kartellbehörde freigegeben worden sein und es dürften keine sonstigen Vollzugsbedingungen offen sein. Enge Abstimmung mit BaFinDer BaFin gegenüber muss dargelegt werden, wie sich der Vollzug eines etwaigen Rücktritts für diejenigen Aktionäre der Zielgesellschaft gestaltet, deren Aktien bereits während der Annahmefrist an den Bieter übertragen wurden. Ein Rücktritt ist in diesen Fällen wohl ohnehin nur bei einer Angebotsänderung durch den Bieter oder im Fall der Veröffentlichung eines konkurrierenden Angebots während der Annahmefrist denkbar.In der Angebotsunterlage müssen daher auch diejenigen Schritte dargestellt werden, die ein Aktionär zu ergreifen hat, um in einer solchen Konstellation eine Rückübertragung seiner Aktien der Zielgesellschaft gegen Rückzahlung der bereits erhaltenen Angebotsgegenleistung zu erwirken.Ein Early Bird Settlement kann im Einzelfall eine Alternative zur herkömmlichen Abwicklung von Übernahmeangeboten sein. Dabei ist auf eine frühzeitige und enge Abstimmung des Verfahrens mit der BaFin und der Clearstream Banking AG zu achten.—-*) Marc Christian Gei ist Director bei Joh. Berenberg Gossler & Co., Dr. Matthias Kiesewetter ist Local Partner bei White & Case.