Asset Management

Aktionärsvertreter zwischen Business und Mission

Schweizer Ethos-Stiftung kämpft für gute Corporate Governance - Umstrittener Marktführer ISS ist wirtschaftlich überlegen

Aktionärsvertreter zwischen Business und Mission

Von Daniel Zulauf, Zürich Seit der denkwürdigen Generalversammlung vor einem Jahr werden die Aktionäre bei Nestlé ernster genommen. Eine Gruppe von Anteilseignern opponierte dagegen, dass sich Peter Brabeck-Letmathe zusätzlich zu seinem Amt als Nestlé-CEO zum Präsidenten des Verwaltungsrats wählen ließ. Sie scheiterten zwar knapp, doch der Verwaltungsrat verspricht nun, die Gesellschaftsstatuten zu “modernisieren”, wenn ihm die Eigentümer bei der kommenden Versammlung im April den Auftrag dazu geben. Mehr Macht für die Aktionäre: Dominique Biedermann und seine Pensionskassenstiftung Ethos stehen für diese “Revolution”, über deren voraussichtliche Gewinner man noch fast nichts weiß. Die Stiftung selbst kommt jedoch trotz ihrer großen Bekanntheit wirtschaftlich nicht recht vom Fleck. Zur Zeit sind es 75 Pensionskassen, die zusammen 1,3 Mrd. sfr bei Ethos verwalten lassen. Vor fünf Jahren waren 86 Kassen mit knapp 900 Mill. sfr dabei. Das Abonnement mit den Abstimmungsempfehlungen und Generalversammlungsanalysen für die 100 wichtigsten Schweizer Unternehmen wurde von mehr als einem Dutzend Kunden gekauft. Wenig nachgefragt wird bisher auch der Ethos Engagement Pool. Pensionskassen zahlen dafür, dass Biedermann und sein Team bei Schweizer Publikumsgesellschaften für gute Prinzipien der Unternehmensführung lobbyieren. Laut Biedermann sind bisher fünf Kassen eingestiegen. “Es ist erfreulich, dass uns diese Pensionskassen ein Mandat erteilt haben, mit den Unternehmen in einen Dialog zu treten. Für Kontinentaleuropa ist dies etwas Neues .”Mit hohen Wachstumsraten beeindruckt dagegen der amerikanische Konkurrent und Weltmarktführer Institutional Shareholder Services (ISS). Vor wenigen Jahren war die Firma in Europa noch kaum präsent. Jetzt zählt sie mehr als 200 Kunden. Der für den Aufbau zuständige Jean-Nicolas Caprasse prophezeit, dass es im laufenden Jahr nochmals ein Drittel mehr sein werden. Vertretung via ElektronikISS wurde 1985 durch Robert Monks, einen ehemaligen Beamten des amerikanischen Arbeitsministeriums, gründet. 1992 verkaufte er die Firma an den kanadischen Datenverarbeiter Thomson Financial. Dieser investierte viel Geld in die Entwicklung eines elektronischen Systems, mit dem ISS bis heute die Stimmzettel ihrer Kunden sammelt, ausfüllt und in die Abstimmung bringt, ohne dass sie die auftraggebenden Fondsmanager und Pensionskassenverwalter zu Gesicht bekommen. Die Aussichten sind offenbar so gut, dass Monks und seine Partner, die Investment Bank Warburg Pincus und der britische Investmentmanager Hermes, das Unternehmen vor vier Jahren zurückkauften. Inzwischen zählt ISS nach eigenen Angaben 1 600 Kunden. 520 Mitarbeiter halten ein Auge auf das Wohlverhalten von 33 000 Gesellschaften weltweit. Die Größe scheint der Qualität der Analyse nicht unbedingt förderlich zu sein, glaubt man Zeitungsberichten. Vor einem Jahr kam es in Großbritannien zu einer Polemik, weil sich ein börsennotierter Versicherungsbroker in einem von ISS und FTSE International lancierten Corporate-Governance-Index völlig falsch bewertet fühlte. Die in der Analyse verwendeten Daten seien zum Teil zwei Jahre alt, ließ sich ein pikierter Chef in der Londoner “Times” zitieren. Ein ISS-Manager räumte ein, dass die Corporate-Governance-Analysen nicht mehr als ein Schnappschuss des Jahresberichtes darstellten, den man bei jeder Gesellschaft einmal im Jahr um die Zeit der Generalversammlung vornehme. Der ISS-Index für nichtamerikanische Unternehmen basiert auf nicht weniger als 55 Bewertungskriterien, die auf 2 000 Gesellschaften angewendet werden. Fehler sind in diesem ambitionierten Projekt vorprogrammiert. Ranglisten und Indizes sind der Versuch, einen universalen Standard für gute Corporate Governance festzulegen. “Was die hier versuchen, ist unglaublich schwierig”, sagt Colin Mayer, Finanzprofessor an der britischen Oxford University. Standardisierte Punktetabellen zur Messung der Corporate Governance seine schlicht unangemessen. Der Verkauf von Indexlizenzen ist für ISS dennoch lukrativ, zumal es auf globaler Ebene kaum Konkurrenz gibt. Zudem vereinfacht Standardisierung die Arbeit der Analysten und erhöht deren Produktivität. Die Firmen, die das sogenannte “Proxy Voting” betreiben, die sich also professionell als Stimmrechtsvertreter anbieten, sind nach Auffassung von Mayer eine durchaus “wünschenswerte Erscheinung”. Sie leisten einen Beitrag zur Disziplinierung von Unternehmensführern und zur besseren Verteilung der Macht zwischen Eigentümern und Managern. Während Fondsmanager und andere Großaktionäre die technische Ausübung der Stimmrechte ohne Bedenken an eine Drittfirma übertragen können, wären sie beim Ausfüllen des Stimmzettels oft selbst in der Pflicht. “Man kann einem Antrag auf Auswechselung von Führungspersonen folgen oder nicht. Harte objektive Argumente gibt es aber häufig keine. In einem solchen Fall sollten die Aktionär deshalb selber entscheiden und das Stimmrecht nicht delegieren”, erklärt Mayer. Im Januar berichtete die “Washington Post” über einen großen öffentlichen Pensionsfonds in Missouri, der ISS der Vermischung von Eigen- und Kundeninteressen verdächtigt. ISS erhält Geld von einer wachsenden Zahl von Firmen, deren Corporate Governance sie beurteilt. Kritiker sagen, ISS bewerte die Firmen in ihren Ranglisten und verkaufe ihnen gleichzeitig die Beratung, wie die Noten zu verbessern sind. ISS bestreitet diese Darstellung und sagt, man verkaufe den Unternehmen keine Beratungsleistungen, sondern den Zugang zu Analyseinstrumenten und Datenmaterial. Nicht nur Kunden profitieren Die Globalisierung der Finanzmärkte spielt ISS in die Hände. “Im Unterschied zu vielen lokalen Anbietern verfolgen die global tätigen Stimmrechtsvertreter einen rein serviceorientierten Ansatz. “Viele lokale Firmen haben dagegen ein Mission”, erklärt Colin Mayer. “Ich bin ein Idealist, jedoch keineswegs ein Utopist”, sagt Ethos-Chef Biedermann von sich selbst. Mit seiner Hartnäckigkeit hat der Westschweizer bei Nestlé den großen Umschwung bewirkt. Den Nutzen daraus ziehen neben ihm auch andere. Die Bekämpfung der überzogenen Chefgehälter steht in diesem Frühjahr ganz weit oben auf der Agenda, sagt ISS-Europachef Jean-Nicolas Caprasse. An der Novartis-Generalversammlung Ende Februar war Biedermann dennoch der einzige Fondsmanager, der zu dem Thema das Wort ergriffen hat. “Ich würde mir wünschen, dass das anders wäre.”