Recht und Kapitalmarkt

Anfechtungsrecht ist an Mindestaktienbesitz zu koppeln

Keine "Polizeifunktion" für Kleinstaktionäre - Juristentag diskutiert separate Regeln für börsennotierte und nicht notierte Gesellschaften

Anfechtungsrecht ist an Mindestaktienbesitz zu koppeln

Von Gerd Krieger *) Die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 67. Deutschen Juristentages (DJT) in Erfurt beschäftigt sich heute und morgen mit der Frage, ob sich besondere Regelungen für börsennotierte und für nicht börsennotierte Gesellschaften empfehlen. Die Rechtsentwicklung der letzten Jahre hat schon eine ganze Reihe solcher Differenzierungen gebracht. Für nicht börsennotierte Gesellschaften wurden manche Erleichterungen geschaffen (z. B. bei der nötigen Zahl von Aufsichtsratssitzungen oder bei der notariellen Protokollierung der Hauptversammlung), während für börsennotierte Gesellschaften inzwischen eine ganze Anzahl aktien- und kapitalmarktrechtlicher Sonderregelungen existiert, die insbesondere das Ziel verfolgen, die Transparenz für Aktionäre und potenzielle Anleger zu erhöhen (z. B. die eng gestaffelten Meldepflichten zur Höhe der Beteiligung oder die Verpflichtung zur Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex). Systematischer AnsatzAber bei alldem handelt es sich bislang um vereinzelte und punktuell angelegte Regelungen. Demgegenüber wird der Juristentag erstmals erörtern, ob diese Entwicklung systematisch weitergeführt und breitflächig zwischen börsen- und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften differenziert werden sollte. Zugrunde liegt ein Gutachten von Walter Bayer, Professor an der Universität Jena. Referieren werden zum Thema Reto Francioni, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse AG, Peter O. Mülbert, Professor an der Universität Mainz, Eddy Wymeersch, Professor an der Universität Gent und Vorsitzender der belgischen Börsenaufsicht, sowie der Verfasser dieses Beitrags. Den Vorsitz der Verhandlungen führen Klaus J. Hopt, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, und Ulrich Koch, Chefsyndikus der Bertelsmann AG.Die Fragestellung ist für die Praxis von erheblichem Interesse. Für das Recht der börsennotierten Gesellschaft geht es insbesondere darum, dass das Gesetz den Kleinaktionär einer börsennotierten Gesellschaft viel zu sehr als Mitgesellschafter mit der ganzen Palette mitgliedschaftlicher Rechte behandelt, wo eigentlich nur Anlegerinteressen im Spiel sind. Auf die Börse vertrauenIst es in einer Gesellschaft, die typischerweise auf einen großen Gesellschafterkreis mit ständigem Mitgliederwechsel angelegt ist und in der jeder Aktionär jederzeit die Möglichkeit hat, zum Börsenpreis auszuscheiden und an der Börse ein Alternativinvestment einzugehen, wirklich erforderlich, jeden noch so kleinen Aktionär mit umfassenden Mitverwaltungsrechten auszustatten? Und ist es tatsächlich nötig, das im Aktieneigentum verkörperte Vermögen mit einem bürokratischen Maximalaufwand zu schützen, anstatt auf die Mechanismen der Börse zu vertrauen?In meinen Augen ist etwa dem Vorschlag des DJT-Gutachtens nachdrücklich beizupflichten, bei der Bewertung einer börsennotierten Aktiengesellschaft zur Ermittlung von Abfindungsleistungen u. Ä. grundsätzlich allein auf den durchschnittlichen Börsenkurs eines dreimonatigen Referenzzeitraums abzustellen und auf den Aufwand teurer, langwieriger, niemals richtiger und daher letztlich sinnloser Ertragswertermittlungen zu verzichten. Das Problem jahrelanger Spruchverfahren mit Dutzenden von Antragstellern, Bataillonen von Anwälten und einer an Rechtsverweigerung grenzenden Verfahrensdauer wäre mit einem Federstrich erledigt. VermögensschutzFür die Gesellschaften würde eine Befreiung von dem Aufwand, den Ungenauigkeiten und dem Streitpotenzial des Ertragswertverfahrens und dem daraus resultierenden Risiko kaum kalkulierbarer Nachzahlungspflichten eine nicht hoch genug einzuschätzende Erleichterung darstellen, und den Aktionären, die sich an einer Börsengesellschaft beteiligen, ist es zuzumuten, dass auch ihr Vermögensschutz an den Börsenkurs anknüpft. Es ist auch höchste Zeit für die Erkenntnis, dass es in börsennotierten Gesellschaften systemwidrig und eine beklagenswerte Einladung zum Missbrauch ist, jedem Aktionär unabhängig von seinem Aktienbesitz das Anfechtungsrecht einzuräumen. Eine ganze Anfechtungsindustrie lebt davon, und der Gesetzgeber wirkt fast hilflos in seinem Bemühen, diesen Missstand mit immer neuen Retuschen im Gesetz zu bekämpfen, anstatt das Anfechtungsrecht in börsennotierten Gesellschaften auf eine qualifizierte Aktionärsminderheit mit einer nennenswerten Quote von 1 % oder 100 000 Euro nominal zu beschränken. Es passt einfach nicht zum Typus einer auf ständigen Mitgliederwechsel angelegten börsennotierten Gesellschaft, jedem Kleinstaktionär eine “Polizeifunktion” in Form des Anfechtungsrechts einzuräumen. Daneben gibt es manch weiteren zwingenden Grundsatz des Aktienrechts, der in nicht börsennotierten Gesellschaften seinen Sinn hat, börsennotierte Gesellschaften aber in ihrer Handlungsfähigkeit übermäßig behindern kann und einer kritischen Prüfung unterzogen werden sollte. Hierzu gehört etwa die Frage, ob die Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung im Hinblick auf das Instrument des genehmigten Kapitals und die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses ausgeweitet werden können. Anderen Ideen wird man zurückhaltender gegenüberstehen müssen. Kürzlich ist der Vorschlag gemacht worden, bei börsennotierten Gesellschaften für Unternehmer-Aktionäre den Einfluss auf wesentliche Geschäftsführungsentscheidungen des Vorstands zu erhöhen, indem man Aktionären mit einem bestimmten Quorum das Recht einräumt, Geschäftsführungsangelegenheiten auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen und indem man Satzungsbestimmungen zulässt, durch die die Hauptversammlung Geschäftsführungsmaßnahmen ihrer Zustimmung unterwirft.Das scheint mir der falsche Weg. Wenn man in der Praxis sieht, mit welcher Selbstherrlichkeit manche Investoren mit Beteiligungsquoten, die sich häufig im unteren einstelligen Prozentbereich bewegen, für sich das Recht beanspruchen, Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften ihre Vorstellungen von der richtigen Geschäftspolitik aufzuzwingen, kann man nur davor warnen, solche Übergriffe auch noch zu legalisieren. Berechtigte InteressenAuch die Vorschläge, bei börsennotierten Aktiengesellschaften Entsendungsrechte in den Aufsichtsrat und die Vinkulierung von Aktien zu verbieten, haben mich nicht überzeugt. Auch bei Börsengesellschaften kann es, wie sich erst unlängst bei ThyssenKrupp gezeigt hat, sachgerecht sein, Aktionären, die der Gesellschaft in besonderer Weise verbunden sind, durch Entsendungsrechte eine Repräsentanz im Aufsichtsrat zu sichern, und auch Börsengesellschaften können ein berechtigtes Interesse daran haben, die Übertragung von Aktien an ihre Zustimmung zu binden.Für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften wird es um die Frage gehen, ob und wie durch Deregulierung des Aktienrechts die Rechtsform der AG für den Mittelstand leichter nutzbar gemacht werden kann. Der Erfolg des “Gesetzes über die kleine AG” hat gezeigt, welch großes Interesse der Wirtschaft daran besteht, die Rechtsform der AG auch für kleine und mittlere Unternehmen flexibel einsetzen zu können. Abstand zur GmbHIdeen hierzu liefert das DJT-Gutachten von Bayer in großem Umfang, wie etwa die Anregung, in der Satzung über die verbreiteten Vinkulierungsklauseln hinaus Vorkaufsrechte oder Ankaufsrechte vorsehen oder den Aktionären ein Austrittsrecht einräumen zu können. Auch hier trifft man allerdings auf den Vorschlag, es der Satzung der nicht börsennotierten Gesellschaft freizustellen, Zustimmungsvorbehalte und Weisungsrechte der Hauptversammlung in Geschäftsführungsangelegenheiten und Entsendungsrechte in den Vorstand zu begründen. Ob das den nötigen Abstand zur Rechtsform der GmbH wahrt, wird man bezweifeln müssen. Die Grundstruktur der Aktiengesellschaft, auf der ihr Ansehen und ihre Seriosität beruhen, darf nicht verloren gehen, und eine zu starke Nivellierung des Abstands zwischen AG und GmbH würde die Rechtsform der AG verwässern und dadurch mehr schaden als nutzen. *) Prof. Dr. Gerd Krieger ist Partner bei Hengeler Mueller in Düsseldorf.