RECHT UND KAPITALMARKT

Angeschlagene Unternehmen als M&A-Ziel

Vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann Vorteile bieten - Share Deal, Asset Deal oder Debt Equity Swap

Angeschlagene Unternehmen als M&A-Ziel

Von Mike Danielewsky, Mathias Schulze Steinen und Kristin Vogt-Schories *)Bereits vor Ausbruch der Coronakrise hatte man eine Zunahme von Transaktionen im Hinblick auf Unternehmen in der Krise (Distressed M&A) prognostiziert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie machen es zur Gewissheit: Die Zahl der restrukturierungs- und sanierungsbedürftigen Unternehmen steigt an, und entsprechend werden Distressed-M&A-Transaktionen zunehmen.Normalerweise haben Unternehmenslenker bei Auftreten von Zahlungsunfähigkeit und/oder insolvenzrechtlicher Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Diese Frist hat der Gesetzgeber zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie durch das Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, sofern die Insolvenzreife eine Folge der Corona-Pandemie ist und Aussichten auf Beseitigung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bestehen. Über eine mögliche Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragsfrist ist noch nicht entschieden. Investoren können profitierenDie vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann Vorteile für etwaige M&A-Transaktionen bieten. Besonders hervorzuheben ist der Zeitfaktor. Unternehmensleiter des angeschlagenen Unternehmens sind nicht wie sonst den zivil- und gegebenenfalls sogar strafrechtlichen Haftungsfolgen ausgesetzt, wenn sie zu lange abwarten. Dem interessierten Investor, der ansonsten eher eine Insolvenz des Zielunternehmens (Target) abwarten würde, um dann den Erwerb aus einer Insolvenz anzustreben, kann die ausgesetzte Frist unter Umständen mehr Handlungsspielraum verschaffen. Er kann sich ein etwas besseres Bild vom Target machen, als wenn – wie sonst im Falle des Eintretens eines Insolvenzgrundes – extrem schnell gehandelt werden muss, um eine Transaktion vor Ablauf der dreiwöchigen Antragsfrist abzuschließen.Neben der Aussetzung der Antragspflicht sind nach dem COVInsG derzeit auch Gläubigeranträge unzulässig. Schließlich werden durch die ausgesetzte Antragspflicht die Anfechtungsrisiken im Falle einer späteren Insolvenz reduziert, da gegebenenfalls der kritische dreimonatige Anfechtungstatbestand der Gläubigerbenachteiligung umschifft werden kann. Die Vorteile, die der Erwerb aus der Insolvenz für Investoren an sich haben kann, können angesichts dieser momentan geltenden Rahmenbedingungen stärker in den Hintergrund treten. GestaltungsmöglichkeitenDie negativen Entwicklungen des Geschäftsbetriebs innerhalb einer Insolvenz, die Abwanderung von Leistungsträgern durch Eigenkündigungen, der strukturierte Bieterprozess mit der für Investoren bestehenden Transaktionsunsicherheit aufgrund des Wettbewerbs, die Schnelligkeit des Prozesses und die oftmals intransparenten Entscheidungswege im Zusammenspiel der beteiligten Stakeholder (Verwalter oder Eigenverwalter, gegebenenfalls Sachwalter, Gläubigerausschuss, M&A-Berater etc.) sind bei einem Notverkauf vor einem Insolvenzverfahren nicht gegeben; oftmals wird sogar Exklusivität vereinbart.Eine Möglichkeit ist der Erwerb aller Anteile des notleidenden Unternehmens (Share Deal). Der Vorteil ist der Übergang des gesamten Unternehmens als Einheit mit allen Rechten und Pflichten ohne irgendwelche “Aufräumarbeiten”. Der Kaufpreis für ein notleidendes Unternehmen beträgt oft nur 1 Euro oder es wird sogar ein negativer Kaufpreis vereinbart. Aus Investorensicht ist der Share Deal insbesondere dann interessant, wenn das notleidende Unternehmen für die Zukunft genügend Ertragspotenzial bietet. Zudem kann es für Käufer interessant sein, von Fördermitteln zu profitieren, soweit der Erwerb den Fördermittelbedingungen nicht widerspricht oder entgegensteht. Ratsam ist es in diesem Zusammenhang übrigens für einen Investor, genau zu prüfen, ob gewährte Fördermittel überhaupt rechtmäßig gewährt wurden. Das kann insbesondere fraglich sein, wenn das Unternehmen bereits vor der Pandemie zum 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten war.Der Käufer nimmt beim Share Deal aber auch erhebliche wirtschaftliche Risiken in Kauf: Er kann – zumal unter Zeitdruck – schwer abschätzen, wie hoch die neben dem Kaufpreis einzuplanenden Mittel für die Sanierung sein werden. Spätestens nach dem Vollzug der Transaktion muss die Liquidität wiederhergestellt bzw. die Überschuldung beseitigt und die Fortführungsprognose positiv sein, damit der Käufer nicht in dieselbe Situation gerät wie der Verkäufer zuvor.Alternativ bietet sich die Übertragung von ausgewählten Vermögensgegenständen oder eines abgetrennten Geschäftsbereichs des notleidenden Unternehmens an (Asset Deal). Der Käufer hat damit die Möglichkeit, für ihn interessante Vermögensgegenstände, Verträge, Know-how etc. getrennt von den Verbindlichkeiten oder sonstigen Haftungsrisiken des notleidenden Unternehmens zu erwerben. Sofern dies zu einem sogenannten Betriebsübergang führt, werden allerdings auch die zugehörigen Arbeitsverhältnisse übernommen und sämtliche Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern mit auf den Käufer übertragen. Beim Asset Deal bestehen im Gegensatz zum Share Deal zudem erhöhte Anfechtungsrisiken: Fällt der Verkäufer nach Abschluss der Transaktion in die Insolvenz, droht dem Kaufvertrag oder bestimmten Einzelübertragungen die Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung. Das Risiko besteht nur dann nicht, wenn die Vermögensgegenstände zeitnah und zu einem marktgerechten Preis übertragen wurden. Privilegierte SanierungBei beiden vorgenannten Konstellationen ist unter zeitlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter ein Erfüllungswahlrecht hat, wenn der Kaufvertrag bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht erfüllt ist. Vor diesem Hintergrund und auch zur Vermeidung der Anfechtungsrisiken können Käufer und Verkäufer auch unter Einplanung des einzuleitenden Insolvenzverfahrens einen Share Deal oder Asset Deal (Pre-packaged Insolvency) mit dem Ziel verhandeln, dass die Transaktion nach Antragstellung als sogenannte privilegierte übertragende Sanierung mit dem Segen des Insolvenzverwalters durchgeführt werden kann. Dieses Vorgehen gewährleistet Verhandlungen in Ruhe, ohne Dritteinfluss und gegebenenfalls unter Ausnutzung der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht, und erspart einem Käufer das Bieterverfahren. Können der Insolvenzverwalter bzw. insbesondere ein etwaig einzurichtender (vorläufiger) Gläubigerausschuss aber nicht davon überzeugt werden, dass der ausgehandelte Deal der bestmöglichen Masseverwertung entspricht, hat der Kaufinteressent unter Umständen erhebliche Kosten umsonst aufgewendet. Abschneiden der AltschuldenSchließlich kann als eine weitere Möglichkeit des Investments in ein notleidendes Unternehmen die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (Debt Equity Swap) in Erwägung gezogen werden, wenn ein interessierter Investor Forderungen gegen das Krisenunternehmen hat und diese im Wege einer Kapitalerhöhung aus Sacheinlagen ganz oder teilweise als Eigenkapital einbringt. Attraktiv ist diese Vorgehensweise vor allem dann, wenn das notleidende Unternehmen dauerhaft wieder profitabel sein kann, der Vorteil einer Equity-Beteiligung gegenüber einer Berücksichtigung als Drittgläubiger nach Insolvenzquote also nicht nur kurzfristiger Natur zu sein verspricht.Welche der genannten Varianten gewählt wird, hängt vor allem von zeitlichen Gegebenheiten, Interessen der Beteiligten, der Zahl potenzieller Mitbewerber und den Ergebnissen der Due Diligence ab. Große Bedeutung werden aber auch weiter die bestehenden Altverbindlichkeiten des Targets haben, welche gegebenenfalls mittels eines Insolvenzverfahrens abgeschnitten werden könnten – ein Vorteil der Insolvenz, der trotz aller Erleichterungen für beteiligte Verkäufer und Investoren durch Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bestehen bleibt. *) Mike Danielewsky und Dr. Mathias Schulze Steinen sind Partner, Kristin Vogt-Schories ist Senior Associate im Frankfurter Büro von DLA Piper.