ANLAGEPRODUKTE - IM INTERVIEW: CHRISTIAN GRABBE, BAADER BANK

"Anleger gehen sehr besonnen mit der Situation um"

Zertifikateexperte: Ein massiver Kapitalrückfluss ist nicht zu erkennen - Infrastruktur leidet unter starkem Produktwachstum

"Anleger gehen sehr besonnen mit der Situation um"

– Herr Grabbe, Josef Ackermann sieht in der aktuellen Situation Parallelen mit 2008, dem Jahr, in dem Lehman Brothers insolvent wurde. Sehen Sie auch Parallelen am Derivatemarkt?Parallelen lassen sich immer finden, wenn man nach ihnen sucht. Aber Geschichte wiederholt sich nicht. Wir können allerdings aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen. Darum sind unsere Antennen für ein Ereignis wie 2008 auch erheblich sensibler geworden. Das gilt für die Liquiditätsversorgung der Banken sowie auch im Markt für Derivate, beispielsweise den Credit Default Swaps. Interessant scheint mir aktuell die Verteilungskurve der impliziten Volatilität, also letztlich die Optionspreise. Diese zeigen auchfür einen mittelfristigen Zeitraum hohe Werte. Die Marktteilnehmer gehen folglich nicht von einer schnellen Beruhigung der bestehenden Sorgen aus. Von einer zu erwartenden Lösung ist fast nichts zu erkennen.- Die Credit Spreads bei den Banken und auch den Emittenten sind in den vergangenen Wochen kräftig angestiegen. Wie soll sich der Anleger verhalten?Die Credit Spreads stellen quasi als Versicherungsprämie das von den Marktteilnehmern eingeschätzte Risiko eines Ausfalls dar. Es ist gestiegen, aber noch lange nicht wahrscheinlich. Wird das höhere Risiko in Form von Rendite bezahlt, stimmt die finanzmathematische Bewertung wieder.- Was können Anleger tun?Sie sollten sich zuerst einmal sachlich über die Ausfallrisiken informieren. Das tun sie am einfachsten auf der Internetseite des Deutschen Derivate Verbands (DDV). Im Ergebnis kann man sich nun an den Anbietern mit dem geringsten Risiko orientieren. Oder aber man lässt sich das höhere Risiko anderer Anbieter bezahlen. Dann stimmt die finanzmathematische Bewertung auch wieder.- Verschläft die Branche wieder das Thema Bonität?Das glaube ich nicht. Es gibt einige Produkte, die mit Sicherheiten hinterlegt sind. Zugegeben, es sind nur sehr wenige. Aber sie weisen auch kaum Umsatz auf. Die höhere Sicherheit kostet, und anscheinend sind nur wenige Anleger bereit, diese Kosten zu bezahlen. Kurzum: Besicherte Produkte sind kaum marktfähig. Die Industrie wird sich aber immer an der Absetzbarkeit orientieren. Das kann man ihr schwerlich vorwerfen.- Kann ich als Anleger sicher sein, dass keiner der größeren Emittenten Insolvenz anmeldet?Für den Derivatemarkt kam die Situation 2008 doch sehr überraschend. Auch wenn das Emittentenausfallrisiko grundsätzlich bekannt war, gerechnet hat doch kaum jemand damit. Um diese Erfahrung sind wir nun reicher. Das Verhalten der Anleger ist insofern auch ein anderes. Wer allerdings in der Folge aktuell mit Panik bei den Anlegern rechnet, der täuscht sich. Anders als 2008, als es insbesondere bei den amerikanischen Produktanbietern einen Ausverkauf gab, gehen die Anleger nunmehr sehr besonnen mit der Situation um. Ein umfangreiches Meiden bestimmter Banken oder gar ein massiver Kapitalrückfluss ist nicht zu erkennen. Gleichwohl ist eine gewisse Konzentration auf die deutschen Anbieter offensichtlich. Sicherheit dafür gibt es aber nicht. Nur scheint es für viele Anleger sicherer. Diese Beurteilung ist mittels der Credit Default Swaps so nicht nachzuvollziehen. Die Realität ist doch ein wenig differenzierter, als das Risiko der Banken über deren Heimatländer abzuleiten. Maximal könnte man hier vermuten, dass einige Anleger im Fall der Fälle auf ein erneutes staatliches Eingreifen hoffen. Damit sind wir aber mitten in der aktuellen Diskussion: Sollten wir nicht, anstatt ein offensichtlich insolventes Griechenland zu stützen, die finanziellen Mittel lieber in eine Rekapitalisierung von Banken stecken?- Früher wurde der Anleger für das erhöhte Emittentenrisiko nur selten mit besseren Produktkonditionen belohnt. Geben die Emittenten mittlerweile einen Teil ihres Fundings an die Anleger weiter?Nicht jeder Emittent kann sein Funding als Vorteil an die Anleger weiterreichen. Oftmals behindern interne Strukturen diese naheliegende Lösung. Das Problem steckt aber im Detail. Die Funding-Kosten nehmen über die Laufzeit zu. Ein Emittent könnte seine Kosten beispielsweise für ein Zertifikat mit einer Laufzeit von drei Jahren als Renditevorteil an den Anleger weiterreichen. Nur kann der Investor jederzeit sein Zertifikat zurückverkaufen. Dann hat der Emittent auf einer völlig falschen Funding Rate kalkuliert. Erfahrungswerte kann er hier auch kaum anwenden, dafür verändert sich das Anlegerverhalten unter dem Einfluss der Märkte zu stark. Somit bleibt dem Emittenten lediglich, das Risiko des vorzeitigen Rückkaufs über den Spread abzubilden. Das aber akzeptiert der Anleger wiederum nicht. Es ist also nicht so ganz einfach, das offensichtlich Notwendige tatsächlich in der Praxis umzusetzen. Immerhin aber ist ein Trend zu erkennen, auch wenn nicht alle Anbieter diesem Prinzip Rechnung tragen. Bei den Garantieprodukten ist es oftmals zu erkennen, bei den anderen Produkten entsprechend weniger. Bei den Indexprodukten gab es jüngst einen Vorstoß, indem beispielsweise ein Dax-Indexzertifikat neben der Entwicklung des deutschen Leitindex zusätzlich einen jährlichen Kupon von 1 % zahlt. Das geht in die richtige Richtung und bietet dem Anleger attraktive Alternativen.- Es gibt mittlerweile deutlich mehr als 800 000 Produkte. Ist dieses große Angebot an Produkten denn überhaupt noch sinnvoll?Grundsätzlich gilt: je größer das Angebot, desto attraktiver für den Anleger. Wir haben aber nunmehr eine Menge erreicht, in der die Übersichtlichkeit leidet. Börsen und Vendoren haben vermehrt Schwierigkeiten, die Anzahl der Produkte und vor allem die Unmenge an Kursen zu verarbeiten. Dabei hat die Börse in einer jüngsten Preiserhöhung für Neuemissionen die Chance verpasst, dieses Verhalten stärker zu beeinflussen. Die Emittenten dagegen glauben hier eine Differenzierung im Wettbewerb zu erkennen. Daher wird kaum einer freiwillig sein Angebot verknappen.- Ist die IT-Infrastruktur der Emittenten überhaupt ohne Probleme in der Lage, die Menge an Quotes in volatilen Marktphasen zu verarbeiten?Machbar ist das, es bedarf nur entsprechender Investitionen in die IT. Das stellt kein technisches Problem dar, aber zeitnah ein wirtschaftliches. Nur umsatzstarke Emittenten können sich eine solche Infrastruktur leisten. Die anderen werden in diesem Wettlauf nicht mithalten können. Das muss aber nicht zwingend einen Nachteil darstellen. Ich empfinde es durchaus als attraktiv, wenn sich ein Emittent viele Gedanken über eine Emission und deren Akzeptanz im Markt macht. Das sollte im Ergebnis zudem auch zu einer Konzentration der Umsätze führen. Das ist ein Vorteil im Handel gegenüber der Fragmentierung über viele Produkte.- Der Hochfrequenzhandel ist derzeit ein großes Thema am Markt und bei den Politikern. Ihm wird eine Mitschuld an dem Abwärtstrend an den Aktienmärkten gegeben. Beeinflusst der Hochfrequenzhandel mittlerweile auch den Zertifikatemarkt?Der Hochfrequenzhandel ist für uns kein neues Phänomen. Wir erdulden ihn leider schon seit vielen Jahren. Anfänglich hat er uns wirklich in unserer Arbeit behindert. Wenn im Sekundentakt Orders eingestellt und wieder gelöscht werden, ist das insbesondere für eine Parkettbörse mit Skontroführern bzw. Spezialisten stark einschränkend. Wir haben uns aber darauf eingerichtet und kommen mittlerweile ganz gut damit klar. Der Mehrwert dieser Marktteilnehmer bleibt mir aber weiterhin verschlossen.- Hat die Mifid den börslichen Handel wieder attraktiver gemacht?Die Mifid hat lediglich den börslichen Handel weiter reguliert. Die OTC-, also außerbörslichen Systeme blieben von der Neuregelung unberührt. Darum konnten und können die Börsen aus Mifid kaum Vorteile erzielen. Müssen sie aber auch nicht. Der Handel an den Börsen ist attraktiv. Die Marktmodelle unterscheiden sich vorteilhaft von den OTC-Systemen. Die Spezialisten sorgen für zusätzliche Liquidität, was die Handelbarkeit von Produkten erhöht. Börsenhandel ist reguliert und transparent, er wird überwacht und schützt den Anleger in hohem Maße. Die Gebühren an den Börsen sind dramatisch gesunken und somit durchaus wettbewerbsfähig. Daran hat Mifid nichts geändert.- Das Anlegerschutzgesetz ist als großer Fortschritt gefeiert worden. Wie haben sich die Regularien auf den Zertifikatemarkt ausgewirkt?Mir ist keine Industrie bekannt, die so viel Aufklärung für Anleger betreibt wie die Branche der Zertifikate – und gleichzeitig wohl nie genug tun kann. Der Wettbewerb unter den Emittenten hat dabei erheblich zur heutigen Transparenz beigetragen. Das Anlegerschutzgesetz hat nun nochmals einige zusätzliche Punkte eingefordert. Diese behandeln im Wesentlichen das Thema Beraterhaftung und Produktinformation. Letztere soll regelmäßig um aktuelle Kennzahlen adjustiert werden. Anders als bei Publikumsfonds, für die der Gesetzgeber eine mindestens jährliche Aktualisierung vorgibt, wurden für Derivate keine zeitlichen Vorgaben erteilt. Auch hier hat es die Industrie maximal umgesetzt. Die Emittenten bieten auf Anfrage quasi eine Real-Time-Aktualisierung der Produktinformationen an. Das ist vorbildlich und schafft mehr Transparenz als vom Gesetzgeber gefordert. Darüber kann er dann auch gerne feiern.—-Das Interview führte Armin Schmitz.