Recht und Kapitalmarkt

Anleihegläubiger haben kaum Rechtsschutz vor Raidern

Märkte von ISS-Übernahme aufgeschreckt - Wirksame Sicherungsmöglichkeiten über Anleihebedingungen

Anleihegläubiger haben kaum Rechtsschutz vor Raidern

Von Christoph Schücking *)Als die schwedische Private-Equity-Gruppe EQT und Goldman Sachs Capital Partners am 29. März 2005 ein Übernahmeangebot von 3 Mrd. Euro für die ISS A/S aus Kopenhagen, die Holding einer weltweit tätigen Dienstleistungsgruppe, veröffentlichten, löste dies eine böse Überraschung für die Inhaber der von ISS begebenen Unternehmensanleihen aus. Das bisher größte Buy-out eines europäischen Emittenten ließ nämlich das Standard- & -Poor’s-Rating der 2010 und 2014 fälligen ISS-Anleihen um sechs Stufen auf “B+” fallen. Damit war ein Kursrutsch um fast 20 % verbunden, der den Spread, also den Renditeunterschied zu Papieren erstklassiger Schuldner, von 75 auf 350 Basispunkte erhöhte. Hatten einzelne Anleger noch gehofft, die 2010 fällige ISS-Anleihe werde im Rahmen des LBO von ISS vorzeitig getilgt, weil der mit ihrer planmäßigen Tilgung verbundene Geldabfluss im Jahr 2010 vermutlich die Liquiditätsplanung störe, auf der die Akquisitionsfinanzierung der Investoren und ihrer Banken beruhe, sehen sie sich nun in dieser Hoffnung getäuscht. Vor kurzem kündigte eine Gruppe 30 institutioneller Investoren mit entsprechender Begleitmusik in der europäischen Wirtschaftspresse an, vor dänischen Gerichten wegen der erlittenen Kursverluste gegen EQT und Goldman Sachs vorgehen zu wollen. Institutionelle Anleger fragen sich, wie sie sich vor dem Risiko einer Übernahme der Emittenten von Industrieanleihen durch Finanzinvestoren schützen können. Wie steht es eigentlich in Deutschland um den Schutz der Anleger vor Kursverlusten, die dadurch ausgelöst werden, dass ein Anleiheemittent von einem anderen Unternehmen übernommen wird? Dabei geht es nicht nur um die Übernahme durch Finanzinvestoren. Denn auch die Übernahme des Emittenten durch ein anderes Industrieunternehmen könnte die Risikobeurteilung seiner Schuldverschreibungen auf das niedrigere Niveau senken, mit dem die Märkte den neuen Eigentümer beurteilen. Und es geht auch nicht nur um den Schutz institutioneller Investoren, sondern gerade auch um denjenigen privater Anleger. Die Frage gewinnt dadurch an Brisanz, dass immer größere Unternehmen zum Ziel von Übernahmen von Finanzinvestoren werden.Negative Auswirkungen von LBOs auf Anleihekurse sind seit langem bekannt, hatte doch die Übernahme von RJR Nabisco durch KKR im Jahr 1989 das Rating von RJR Nabisco um ebenfalls sechs Stufen von “A-” auf “BB-” abrutschen lassen. Gleichwohl gibt es bei uns keine speziellen gesetzlichen Regeln zum Schutz der Anleger vor plötzlich veränderten Risikoeinstufungen von Anleihen als Folge einer Übernahme des Emittenten. Das Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG) befasst sich ausschließlich mit dem Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft und regelt nicht den Schutz von deren Gläubigern. Change-of-Control-KlauselEin ebenso naheliegender wie wirksamer Schutz der Anleihegläubiger vor den unerwünschten Auswirkungen einer Übernahme kann durch eine Change-of-Control-Klausel in den Anleihebedingungen erzielt werden. Solche Klauseln sind in den USA in langfristigen Verträgen aller Art und in Anleihebedingungen üblich, bei denen sie auch als Event Risk Covenants bezeichnet werden. In Deutschland sind Change-of-Control-Klauseln seit langem bekannt und etwa in Joint-Venture-Verträgen üblich. In letzter Zeit haben sie sich weiter verbreitet, und zwar am stärksten in Finanzierungsverträgen. In Anleihebedingungen waren sie in neuerer Zeit nur bei High Yield Bonds üblich. In den durch den “ISS-Schock” aufgeschreckten Märkten ließen sich nun allerdings kürzlich auch gewöhnliche Unternehmensanleihen wie die Emissionen der Schweizer Syngenta AG oder der österreichischen Wienerberger AG nur mit Change-of-Control-Klauseln platzieren. Schon früher gab es Klauseln, die etwa bei Emissionen von Staatsunternehmen eine Besicherung für den Fall vorsahen, dass der betreffende Staat die Emittentin privatisieren sollte.Change-of-Control-Klauseln können verschieden ausgestaltet sein. Bei Finanzierungsverträgen verpflichten sie den Emittenten, einen Kontrollwechsel bekannt zu geben, und knüpfen daran sowie an die Verletzung der Bekanntgabepflicht ein Sonderkündigungsrecht der Gläubiger, das bisweilen mit der Verpflichtung zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung gekoppelt wird. Diese Lösungen bieten sich auch für Anleihebedingungen an. Emittenten sollten die Auswirkungen von Change-of-Control-Klauseln für ihr Unternehmen sorgfältig bedenken. Solche Klauseln wirken einerseits als Poison Pills, die Übernehmer abschrecken können. Andererseits können sie die Bildung strategischer Allianzen erschweren, wenn der Emittent von sich aus Anschluss an ein anderes Unternehmen sucht.Im deutschen Recht gibt es keine Ansprüche der Anleihegläubiger gegen den Übernehmer oder die Investorenpools und ihre Managementgesellschaften, die bei Finanztransaktionen hinter dem Übernehmer stehe. Etwas anderes gilt nur in extremen Ausnahmefällen, in denen es zur vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Anleihegläubiger oder gar zu Straftaten kommt. ProspekthaftungDagegen kommen Ansprüche der Anleger in Betracht, wenn der Verkaufs- oder Börsenzulassungsprospekt einer Anleihe unrichtig oder unvollständig war und sie dadurch Schaden erleiden. In Fällen wie jetzt bei ISS lässt sich eine Prospekthaftung indes nur dann bejahen, wenn der Emittent oder eine der Banken, die die Prospekthaftung übernehmen, bei der Herausgabe des Prospekts schon von der bevorstehenden Unternehmensübernahme wissen und sie sie im Prospekt verschweigen. Solche Konstellationen werden selten bleiben. Eine andere und keineswegs eindeutig zu beantwortende Frage ist es, ob ein Prospekt lückenhaft ist, wenn er unter den Risikofaktoren nicht auf die Möglichkeit eines Kontrollwechsels, damit verbundene Kursrisiken und das Fehlen einer Change-of-Control-Klausel hinweist. Nach heutigem Stand sind solche Angaben zwar empfehlenswert, aber noch nicht zwingend geboten. Dies mag sich aufgrund der Erfahrungen bei ISS rasch ändern. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass es Emittenten gibt, bei denen ein Kontrollwechsel aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur (wie z. B. bei VW) oder des starken Einflusses einer Eigentümerfamilie (wie z. B. bei Porsche) sehr viel weniger wahrscheinlich ist als bei anderen Unternehmen.Zur Aufklärung über die Risiken einer Anleihe ist auch derjenige verpflichtet, der sie einem anderen im Rahmen einer Geschäftsverbindung zur Geldanlage empfiehlt. Dies gilt vor allem gegenüber Privatanlegern, kommt aber auch bei institutionellen Investoren in Betracht, wenn ein starkes Informationsgefälle zwischen dem Anlageberater und dem Anleger besteht. Auch hier stellt sich die Frage, ob der Berater den Investor über die mit einer möglichen Übernahme des Anleiheemittenten verbundenen Risiken und das Fehlen einer Change-of-Control-Klausel aufklären muss. Es gilt dasselbe wie bei der entsprechenden Aufklärung im Prospekt. Sie ist derzeit zwar zu empfehlen, aber noch nicht von Rechts wegen geboten, wobei sich der rechtliche Standard rasch ändern kann. GesellschaftsrechtEine scharf negative Reaktion der Märkte auf ein LBO vernachlässigt möglicherweise den Schutz, den das für den Emittenten maßgebliche Gesellschaftsrecht den Gläubigern vor dem Zugriff der Eigentümer auf Gesellschaftsvermögen bietet. Dieser Schutz ist international unterschiedlich stark ausgebaut. Letztlich ist aber das Aktienrecht fast überall zuerst auf den Schutz der Gläubiger und nur mit Rang danach auf den Schutz der Minderheitsaktionäre ausgerichtet. In Deutschland ist der Gläubigerschutz des Aktienrechts so perfekt ausgebaut wie kaum woanders. Ratingagenturen und Marktteilnehmer sollten bei der Risikoanalyse von Anleihen nicht nur auf kommerzielle Gesichtspunkte, sondern auch auf das für den Emittenten maßgebliche Gesellschaftsrecht abstellen. Dabei könnte sich die mit Blick auf den Gläubigerschutz immer weiter ausgebaute Komplexität des Aktienrechts als ein positiver Standortfaktor für deutsche Emittenten bewähren.*) Dr. Christoph Schücking ist Partner bei CMS Hasche Sigle.