Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Manuel Lorenz

"Anschleichen" wird erschwert

Gesetzentwurf hat weitreichende Folgen und verunsichert Investoren - Aufsicht noch stärker gefragt als bisher

"Anschleichen" wird erschwert

– Herr Dr. Lorenz, warum werden die Meldepflichten für Aktienderivate verschärft?Sie erinnern sich: Vor einiger Zeit waren VW-Stammaktien einmal so knapp, dass der Aktienkurs kurzzeitig auf über 1 000 Euro schoss. Zur Vorbereitung eines Erwerbs einer Mehrheit von 75 % an Volkswagen hatte sich Porsche – für den Markt nicht erkennbar – mit Optionen eingedeckt, bei denen keine Lieferung von Aktien, sondern nur ein Barausgleich geschuldet war. Ähnlich hatte Schaeffler die Übernahme von Continental durch Equity-Swaps mit Barausgleich vorbereitet. Die Gegenparteien solcher Geschäfte decken sich mit Aktien ein, um die Zahlungspflicht abzusichern. Damit werden die Aktien unsichtbar aus dem Markt genommen. Wird das Geschäft dann abgewickelt, wird die Gegenpartei die gehorteten Aktien verkaufen. Vielfach bleibt als Käufer faktisch nur der Bieter übrig.- Und das bekommt der Markt nicht mit?Nicht wenn man die Position langsam und mit mehreren Spielern aufbaut und jede Gegenpartei weniger als 3 % der Aktien hält. Solange für die Aktien keine Lieferpflicht besteht, unterliegt das Geschäft keiner Meldepflicht.- Und woran liegt das?Das war bislang ein Hase-und-Igel-Spiel. Natürlich hat der Gesetzgeber die Lücken gesehen und mehrfach versucht, sie mit neuen Vorschriften zu stopfen. Aber dann wird eben ein neues Schlupfloch gefunden.- Wird denn mit dem neuen Gesetzentwurf alles anders?Der Diskussionsentwurf des Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts, kurz AnsFuG genannt, wendet sich vom bisherigen System eines Katalogs von Meldetatbeständen ab. Mit einer Generalklausel will man künftig alle Geschäfte greifen, die nach ihrer Ausgestaltung einen Aktienerwerb ermöglichen.- “Möglich” ist bekanntlich vieles im Leben . . .Der Entwurf enthält auch zwei Regelbeispiele, aber die sind auch sehr breit formuliert. So soll es genügen, dass sich die andere Geschäftspartei durch das Halten von Aktien absichern “könnte”. Man muss dann aber schon die Gesetzesbegründung lesen, um zu verstehen, dass damit Geschäfte mit Barausgleich gemeint sein sollen. Und es fällt alles Mögliche darunter, zum Beispiel auch Basket-Zertifikate oder Indexfonds.- Soll das auch gelten, wenn die Aktie nur einen ganz geringen Anteil am Basket oder Index hat?Die einzige Grenze ist, dass man sich damit mindestens 5 % der stimmberechtigten Aktien sichert. Wenn der Anteil der Aktie am Index sehr klein ist, müsste man natürlich eine extrem große Position in dem Indexfonds aufbauen. Doch ist nach dem Entwurf nicht ganz klar, wie man in solchen Fällen errechnen soll, ob die Meldeschwelle erreicht wird.- Welche Aktienderivate sind noch erfasst?Komplexe Call-Optionen, Put-Optionen, Wertpapierleihe und Repo-Geschäfte kommen auch unter die Meldepflicht. Auch das kann man allerdings überwiegend erst der Gesetzesbegründung entnehmen. Die Befürchtung ist, dass so viele Meldungen kommen werden, dass man die Übersicht verliert. Theoretisch kann ein Mehrfaches des Grundkapitals gemeldet werden, weil praktisch alle Aktienderivate erfasst werden.- Wie soll ein Marktteilnehmer wissen, ob ein Geschäft eine Meldepflicht auslöst?Angesichts der vagen Formulierungen wird man viel öfter als in der Vergangenheit die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorab befragen müssen. Das gibt der BaFin die Möglichkeit, sich einen Überblick über die in der Praxis üblichen Gestaltungen zu verschaffen. Und: Es erlaubt der Behörde die Entscheidung im Einzelfall. Man darf also viele Diskussionen mit der BaFin erwarten, ob ein ins Auge gefasstes Geschäft einen Aktienerwerb “ermöglicht”. Nach der Gesetzesbegründung kommt es auf die “wirtschaftliche Logik” an. Ob das subjektiv oder objektiv gemeint ist, bleibt aber völlig offen. Und: Wer muss das beweisen oder darlegen? Allerdings soll noch eine Verordnung kommen, die als “sicherer Hafen” Geschäfte rausfiltern soll, die auf keinen Fall meldepflichtig sind. Außerdem sind Geschäfte von Market Makern ausgenommen.- Was ist denn nun von den neuen Meldepflichten zu halten?Deutschland nimmt damit nur einen Trend auf, den es auch schon in der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und den USA gab. In Portugal und den Niederlanden wird auch an solchen Regeln gebastelt. Alle bisherigen Ansätze haben aber gemeinsam, dass man an einer Generalklausel arbeitet, was erhebliche Auslegungsspielräume lässt. Bei Meldepflichten ist so etwas unschön. Gesetze anderer Länder haben das Regelungsprinzip wenigstens klarer und weniger umständlich formuliert als der deutsche Entwurf. Wenn die EU-Transparenzrichtlinie reformiert wird, kommt ohnehin eine einheitliche Vorgabe aus Brüssel.- Das dauert.So lange wollte man nicht warten, weil es in Deutschland erheblichen Druck aus der Wirtschaft gab. Aber das geschieht derzeit auch in anderen Gebieten der Finanzmarktregulierung: Einzelne Länder preschen vor, und später muss alles wieder harmonisiert werden. Effiziente Gesetzgebung ist das nicht. Und es ist ein Alptraum für international agierende Investoren, wenn die Meldepflichten in jedem Land unterschiedlich sind. Es bleibt abzuwarten, ob der Entwurf in dieser Form Gesetz wird. Die Anhörung in Berlin ist am 31. Mai.—-Dr. Manuel Lorenz ist Partner bei Baker & McKenzie in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.