RECHT UND KAPITALMARKT

Anwälte warnen vor Welle von Anfechtungsklagen

Widerstand gegen Kodex-Neuerungen - Industrie wünscht mehr Klarheit

Anwälte warnen vor Welle von Anfechtungsklagen

swa Frankfurt – Die geplanten Änderungen im Corporate Governance Kodex stoßen im Deutschen Anwaltverein (DAV) auf harsche Kritik. In einer Stellungnahme warnen die Juristen vor einer Prozessflut, falls die neuen Unabhängigkeitskriterien für Aufsichtsräte umgesetzt würden. Die neuen Regeln seien in Teilen so unbestimmt gefasst, dass sie geeignet seien, “eine Welle von Anfechtungsklagen gegen Entlastungs- und Wahlbeschlüsse auszulösen”, heißt es im Schreiben des Handelsrechtsausschusses. Vorsitzender des Gremiums ist der Düsseldorfer Rechtsanwalt Michael Hoffmann-Becking, der als Kodex-Kritiker bekannt ist und mit dem Vorwurf der Überregulierung schon eine Auflösung der Kodex-Kommission zur Diskussion stellte. Erstmals KommentierungAuch die deutsche Industrie äußert Bedenken zu den Kodex-Vorschlägen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Aufsichtsräte, wie aus der Stellungnahme des Bundesververbandes der Deutschen Industrie (BDI) hervorgeht.Die Kodex-Kommission unter Leitung von Commerzbank-Aufsichtsratschef Klaus-Peter Müller hatte in diesem Jahr erstmals die Öffentlichkeit eingeladen, die vorgeschlagenen Anpassungen zu kommentieren. Die Frist lief bis 2. März. Die Möglichkeit ist dem Vernehmen nach rege genutzt worden. Es sollen mehr als 40 Briefe eingegangen sein, darunter zahlreiche von Wissenschaftlern und Kanzleien. Die Kommission will die endgültigen neuen Kodex-Vorschläge nach Diskussion der Eingaben dann im Mai präsentieren.Der Deutsche Anwaltverein stellt der Kommission generell ein schlechtes Zeugnis aus und betont, dass der Kodex zunehmend in die Kritik geraten sei – “insbesondere wegen der immer zahlreicheren und immer stärker ins Detail gehenden ,Soll`-Vorschriften”. “Der Kommission ist dringend zu empfehlen, den Kodex nicht immer noch weiter auszubauen, sondern erheblich zu kürzen”, fordert der DAV. Die Kodex-Kommission hat in der Vergangenheit allerdings schon selbst das Ziel geäußert, das Regelwerk von Ballast befreien zu wollen.Die Juristen des DAV regen zudem an, Änderungsvorschläge zu begründen. Auch der BDI fordert, die vorgesehenen Anpassungen deutlich ausführlicher zu fassen, um sie der Öffentlichkeit besser verständlich zu machen.Im Zentrum der diesjährigen Kodex-Neuerungen stehen erweiterte Regeln, um Interessenkonflikte in Aufsichtsräten einzudämmen. Der DAV charakterisiert die Vorschläge als “gravierende Verschärfungen”, die inhaltlich durchweg nicht überzeugten. Wenn der Kodex fordere, dass dem Aufsichtsrat eine “angemessene” Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören solle, lasse sich nicht objektiv einschätzen, was dies genau bedeute. Ähnliche Bedenken hegen der BDI sowie der Anwalt Hans-Ulrich Wilsing, Leiter Gesellschaftsrecht/Mergers & Acquisitions der Kanzlei Linklaters, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erläutert (siehe nebenstehendes Interview). Anfechtungsklagen würden Tür und Tor geöffnet, mahnt der DAV.Der Katalog von Regelbeispielen, der Orientierung in der Beurteilung der Unabhängigkeit von Aufsichtsräten geben soll, stößt auf geteiltes Echo. Während der BDI die Auflistung grundsätzlich begrüßt, spricht sich der DAV dagegen aus. Aus Sicht der Anwälte steht der Katalog in weiten Teilen “im Widerspruch zu grundlegenden Wertungen des Aktiengesetzes und stellt insgesamt eine unangemessene Überregulierung dar, die noch dazu für die Unternehmen mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden wäre”.Stein des Anstoßes ist für den DAV die Einordnung des Vertreters eines Aktionärs ab einem Anteilsbesitz von 10 % als nicht mehr unabhängig; das hält auch der BDI für nicht sachgerecht. Die Gefahr eines Interessenkonflikts besteht aus Sicht des DAV nur, wenn der Großaktionär anderweitige wirtschaftliche Interessen habe, was aber nicht der Fall sein müsse. Das Regelbeispiel kollidiere zudem mit den Grundprinzipien des Aktiengesetzes. Das Gesetz lasse es zu, dass der Großaktionär den Aufsichtsrat mit eigenen Vertrauenspersonen besetze und die ihm zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten nutze, um die Gesellschaft als Konzerngesellschaft einheitlich zu leiten.Auch der BDI hält potenzielle Interessenkonflikte mit Minderheitsaktionären durch das Konzernrecht für umfangreich geregelt. Zudem seien auch die Vertreter von Mehrheits- oder Großaktionären in Aufsichtsräten weisungsunabhängig und allein dem Gesellschaftsinteresse des Unternehmens verpflichtet. Bankenvertreter gefährdetAuf Widerstand trifft auch das Fallbeispiel, wonach Aufsichtsräte nicht unabhängig sind, wenn sie in “wesentlichen” Geschäftsbeziehungen in “bedeutendem Umfang” zu dem Unternehmen stehen – direkt oder indirekt als Partner, Anteilseigner, Vorstand oder Geschäftsführer einer Unternehmung. Danach wären laut BDI Vertreter von Banken oder Versicherungen im Aufsichtsrat nicht unabhängig, was der Verband für nicht sachgerecht hält.Bei den Anpassungen zur Aufsichtsratsvergütung hält es der BDI für erfreulich, dass die Kommission keine Empfehlung pro oder kontra variable Bestandteile vorsieht. Die Vorgabe, wonach eine Tantieme an langfristigen Erfolgskriterien ausgerichtet sein soll, wünscht sich der Verband aber nur als Anregung.