Aufgepasst bei Insiderwissen
Von Christian Cascante *) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 23. Dezember 2009 in der Sache Spector Photo Group (Rechtssache C-45/08) ein für Kapitalmarktteilnehmer wichtiges Urteil gefällt. Darin hat er die Auslegung des Insiderhandelsverbots konkretisiert und die seit der Stellungnahme der Generalanwältin in dieser Sache im September 2009 bestehende Unsicherheit beseitigt. Insidervergehen können nunmehr leichter verfolgt werden. Zugleich bleiben die legitimen Interessen von Akteuren in M & A-Transaktionen gewahrt.Ausgehend von einem Streit über einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot ersuchte das vorlegende belgische Gericht den EuGH um eine Klärung des Begriffs der “Nutzung einer Insiderinformation” in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie. Insbesondere wollte es geklärt wissen, ob es reicht, wenn eine Person, die über eine Insiderinformation verfügt, mit Insiderpapieren handelt, oder ob darüber hinaus nachgewiesen werden muss, dass diese Person die Insiderinformation bewusst genutzt hat. Verwenden und AusnutzenAuch wenn es im WpHG “unter Verwendung” und nicht “unter Ausnutzung” heißt – letztlich lief es damit auf die auch in Deutschland lange diskutierte Frage hinaus, ob jedes Handeln in Kenntnis einer Insiderinformation eine “Verwendung” dieser Information darstellt oder ob das Handeln durch die Information motiviert sein muss. Der Streit schien in Deutschland geklärt, denn die BaFin und die Mehrheit der juristischen Kommentatoren vertreten seit längerem die Auffassung, dass ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot nur vorliegt, wenn der Insider in Kenntnis der Insiderinformation handelt und diese auch in sein Handeln miteinfließen lässt.Diese gesicherte Grundlage schien der Schlussantrag der Generalanwältin in der Sache Spector Photo vom 10. September 2009 in Frage zu stellen. Denn dort hieß es, dass der Erwerb oder die Veräußerung in Kenntnis einer Insiderinformation im Regelfall bereits einen Insiderverstoß darstelle – es sei denn, es stehe von vornherein fest, dass die Insiderinformation nicht in das Handeln der betreffenden Person eingeflossen sei. Nachweisen und vermutenDer EuGH stellt fest, dass nach der Marktmissbrauchsrichtlinie kein Nachweis dafür erforderlich sei, dass die Insiderinformation für das getätigte Geschäft bestimmend war oder die handelnde Person sich des Insidercharakters bewusst war. Vielmehr erlaube die Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale die Vermutung, dass die betreffende Person mit Vorsatz gehandelt habe. Der Erwerb oder die Veräußerung einer Insiderinformation stellten daher zwar grundsätzlich, aber natürlich nicht immer und automatisch einen Insiderverstoß dar. Der Betroffene könne die implizite Vorsatz-Vermutung widerlegen. Insbesondere liege ein verbotenes Insidergeschäft nur dann vor, wenn das Verhalten im Widerspruch zur Zielsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie stehe.Man kann davon ausgehen, dass der Nachweis von Insidervergehen, die in Deutschland strafrechtlich sanktioniert sind und mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden können, in Zukunft leichter wird. Im Transaktionsbereich hingegen dürften sich die Änderungen durch das Urteil in Grenzen halten.Schon die Marktmissbrauchsrichtlinie selbst enthält eine ganze Reihe von Sachverhalten, bei denen ein Insidergeschäft keinen Insiderverstoß darstellt. So ist die Kenntnis einer Insiderinformation zum Zeitpunkt des Handelns unschädlich, wenn mit dem Handeln lediglich einer fälligen Verpflichtung zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten nachgekommen wird. Ausdrücklich weist der EuGH auch darauf hin, dass Market Maker oder Personen, die an der Börse Kundengeschäfte ausüben, selbst wenn sie über Insiderinformationen verfügen, keinen Verstoß begehen, wenn sie nur “ihr Geschäft gemäß den für sie geltenden Regeln ausüben”.Nach überwiegender Meinung waren bislang sogenannte Hedging-Geschäfte, bei denen es um die Absicherung von Risiken geht, vom Insiderhandelsverbot ausgenommen. Begründet wurde dies vor allem damit, dass die Transaktionen unabhängig von dem Wissen um eine Insiderinformation vorgenommen würden und die Information daher nicht in den Handlungsentschluss einfließe. Die EuGH-Entscheidung dürfte dazu führen, dass der Aufwand der Betroffenen für Dokumentation und Organisation steigt, da sie letztlich werden darlegen müssen, warum kein unerlaubtes Verwenden von Insiderinformationen vorliegt.Ebenfalls aus der Marktmissbrauchsrichtlinie ist zu entnehmen, dass die Umsetzung des eigenen Erwerbs- oder Veräußerungsentschlusses von Finanzinstrumenten keinen verbotenen Insiderhandel darstellt. Dem Erwerb bzw. der Veräußerung gehe nämlich notwendigerweise eine entsprechende Entscheidung der handelnden Person voraus. So ist zum Beispiel die feste Absicht, ein größeres Aktienpaket über die Börse zu erwerben, regelmäßig eine Insiderinformation. Müsste der Erwerber oder Veräußerer eines größeren Aktienpakets zunächst den Kapitalmarkt über seine Absichten informieren, bevor er die Handlung vornimmt, würde das aber ein faktisches Umsetzungsverbot begründen.Auch der Erwerb von Aktienpaketen außerhalb der Börse in sogenannten Face-to-Face-Geschäften wird weiter zulässig sein. Bei diesen Transaktionen verfügen die Parteien über denselben Kenntnisstand im Hinblick auf etwaige Insiderinformationen. Der EuGH macht in seinem Urteil klar, dass wesentliches Merkmal des Insidergeschäfts der ungerechtfertigte Vorteil ist, den der Insider im Vergleich zu anderen aus seinem Informationsvorsprung zieht. Beim Face-to-Face-Geschäft kommt aber die Insiderinformation nicht nur einer Partei zugute. Mangels Informationsvorsprungs kann die Gegenpartei bei der Preisbildung der Aktien nicht übervorteilt werden. Außerbörslich und öffentlichVon ganz besonderer Bedeutung für die Praxis ist die Frage, inwieweit im Rahmen einer Due Diligence erlangte Insiderinformationen in der anschließenden Transaktion unzulässigerweise “verwendet” werden. Dabei ist zu unterscheiden: — Beim außerbörslichen Erwerb eines Aktienpakets zwischen zwei gleich gut informierten Parteien gilt die Face-to-Face-Ausnahme. — Für öffentliche Übernahmeangebote im Anschluss an eine Due Diligence existiert in der Marktmissbrauchsrichtlinie eine Ausnahme vom Insiderhandelsverbot. Der EuGH nennt in diesem Zusammenhang auch den “Fusionsvorschlag” und führt aus, dass die Verwendung von Insiderinformationen, die man von der Zielgesellschaft erlangt hat, kein verbotenes Insidergeschäft begründen könne, wenn man anschließend ein öffentliches Kaufangebot mache zu einem Preis, der über dem Marktkurs liege. Entscheidend ist, dass der Informationsvorsprung allen Aktionären zugute kommt.Problematischer ist der Erwerb von Finanzinstrumenten über die Börse nach einer Due Diligence. Anders als beim Paketerwerb liegt kein Face-to-Face-Geschäft vor und die ausdrückliche Ausnahme in der Marktmissbrauchsrichtlinie bezieht sich nur auf öffentliche Übernahmeangebote mit dem Ziel, die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erwerben, nicht aber auf den Erwerb einer (Minderheits-)Beteiligung über die Börse. Hier wird der Erwerber in besonderer Weise darlegen müssen, dass die Insiderinformation nicht in sein Handeln miteingeflossen ist. Jeder Investor ist daher gut beraten, den Beteiligungsaufbau nach einem klar definierten Plan zu initiieren und diesen Plan möglichst detailliert zu dokumentieren, bevor er Zugang zu Insiderinformationen über die Zielgesellschaft erhält. Dokumentieren und darlegenDurch den erleichterten Nachweis verbotener Insidergeschäfte erlangt eine gewissenhafte Dokumentation von Entscheidungen noch größere Bedeutung. Schließlich erhalten Entscheidungsträger in der Praxis häufig Insiderinformationen, nachdem sie eine damit zusammenhängende unternehmerische Entscheidung bereits getroffen haben. In solchen Fällen werden sie voraussichtlich noch mehr als bisher darlegen müssen, dass die unternehmensinterne Entscheidung bereits vor Kenntnis der Insiderinformation getroffen und ohne Abweichung von dem zuvor aufgestellten Plan umgesetzt wurde. Nur so wird man die Vermutung einer “Verwendung” der Insiderinformation widerlegen können.Das Urteil des EuGH führt nicht zu einer grundlegenden Veränderung der insiderrechtlichen Beurteilung wichtiger M & A- und Kapitalmarkttransaktionen. Die Spielräume werden im Großen und Ganzen erhalten bleiben. Insbesondere beim Aufbau einer Beteiligung über die Börse dürften sich die Anforderungen aber weiter erhöhen.—-*) Dr. Christian Cascante ist Partner bei Gleiss Lutz in Stuttgart.