RECHT UND KAPITALMARKT

Berlin will Kollektivklagen beschleunigen

Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes - Erweiterte Anwendung - Vermindertes Kostenrisiko - Falsche Anreize

Berlin will Kollektivklagen beschleunigen

Von Wolf Bussian *)—- Den Finanzplatz Deutschland zu stärken ist seit Jahren erklärtes Ziel der Politik. Das Vertrauen der Anleger wurde dabei als wichtige Grundlage erkannt. Um dieses Vertrauen zu fördern, hatte der Gesetzgeber 2005 das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) eingeführt. Grundkonzept ist es, Sach- und Rechtsfragen, die sich für eine Vielzahl anhängiger Klagen stellen, durch ein Musterverfahren zu klären. Als “schlagkräftiges kollektives Rechtsverfolgungsinstrument” sollten KapMuG-Verfahren den individuellen Rechtsschutz verbessern, die Gerichte entlasten und präventiv zur Einhaltung kapitalmarktrechtlicher Vorschriften beitragen. Keine KlageindustrieGleichzeitig hat die Politik erkannt, dass jede Neuregelung zur kollektiven Rechtsdurchsetzung strikt darauf achten muss, nicht durch falsche Weichenstellungen den Missbrauch von “Class Actions” zu ermöglichen. Die häufig zitierten “US-Verhältnisse” mit einer Klageindustrie, die unabhängig von inhaltlicher Berechtigung der Vorwürfe Vergleichsdruck aufbauen kann und letztlich nur sich selbst, nicht aber den Anlegern hilft, sind nicht gewollt.Auch wegen dieses Spannungsverhältnisses wurde das KapMuG als Versuchsmodell auf fünf Jahre befristet. Bis dahin sollte evaluiert werden, ob sich das neue Verfahren in der Praxis bewährt hat, um es dann abzuschaffen oder auszuweiten. Nachdem der Gesetzgeber diese Entscheidung um weitere zwei Jahre aufgeschoben hatte, ist die Zukunft des KapMuG jetzt bis zum 31.10.2012 zu klären. Das parlamentarische Verfahren läuft derzeit auf Hochtouren. Auf den Referentenentwurf aus dem vergangenen Sommer folgte kurz vor Jahresende ein Regierungsentwurf, zu dem inzwischen auch der Bundesrat ausführlich Stellung genommen hat.Zumindest zahlenmäßig waren Musterverfahren für Kapitalmarktstreitigkeiten kein Erfolgsmodell. Ausweislich der vom Bundesministerium für Justiz in Auftrag gegebenen Evaluation des KapMuG wurden in den ersten vier Jahren seit Einführung gerade einmal zwölf Musterverfahren eröffnet. Zwar betrifft jedes Musterverfahren naturgemäß eine Vielzahl zugrunde liegender Ausgangsverfahren. Zudem haben einige dieser Musterverfahren erhebliche Bedeutung. Das Gros der zehntausenden von Anlegerklagen der letzten Jahre jedoch wurde bzw. wird ohne ein Musterverfahren bewältigt. Privatanleger reichen ihre Klagen häufig als wortgleiche Parallelklagen ein, während institutionelle Anleger ihre Ansprüche zunehmend in Rechtsverfolgungsgesellschaften sammeln.KapMuG-Verfahren haben sich häufig als langwierig und sperrig erwiesen. Der Regierungsentwurf möchte deswegen durch eine Reihe technischer Änderungen das Verfahren beschleunigen. Die Richter sollen zudem an Entscheidungsfristen gebunden werden, die sie nur mit Begründung überschreiten dürfen.Ferner soll es leichter werden, ein Musterverfahren durch Vergleich zu beenden. Bisher wäre hierfür die – praktisch nahezu ausgeschlossene – Zustimmung aller Beteiligten erforderlich. Künftig soll ein Vergleich der Musterparteien, der bestimmte Kriterien erfüllt und vom Gericht als angemessen genehmigt wurde, für alle Beteiligten gelten, sofern diese nicht innerhalb eines Monats austreten. Größerer RahmenErheblich ausgeweitet werden soll der Anwendungsbereich von Musterverfahren. Namentlich Ansprüche gegen Anlageberater und -vermittler sollen erfasst werden. Entsprechende Klagen machen einen Großteil der derzeitigen Klageflut im Kapitalmarktbereich aus. Diese Ausweitung ist nicht unproblematisch. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Musterverfahren für solche Ansprüche bisher mit gutem Grund abgelehnt. Individuelle Umstände spielen in diesen Fällen eine viel größere Rolle als in den bisher erfassten Konstellationen. Musterverfahren werden hier häufig keinen Effizienzvorteil bringen, sondern unnötig verzögern. Kernforderung des Abschlussberichts der Evaluation ist der erleichterte Zugang zu Musterverfahren. Anleger sollten sich demnach als “einfache Teilnehmer” auch ohne das Kostenrisiko einer eigenen Klage beteiligen können. Eine schlichte schriftliche Anzeige soll genügen. Der Regierungsentwurf hat die Entscheidung über diesen Vorschlag aufgeschoben. Im weiteren parlamentarischen Verfahren sei zu prüfen, “ob und in welcher Ausgestaltung die Aufnahme eines solchen neuen Instruments des Rechtsschutzes in das KapMuG angesichts möglicher Missbrauchsrisiken verantwortet werden kann”. Der Bundesrat hat eine erleichterte Teilnahme jüngst mit Nachdruck befürwortet.Eine solche Änderung birgt nicht unerhebliche Gefahren. Das deutsche Rechtssystem schützt sich sowie seine Wirtschaftsteilnehmer vor ungerechtfertigten Klagen vornehmlich dadurch, dass der Kläger die Kosten eines erfolglosen Angriffs zu tragen hat, und zwar nicht nur die eigenen Anwaltskosten (infolge des Verbots reiner Erfolgshonorare), sondern auch die des zu Unrecht in Anspruch genommenen Gegners sowie die Gerichtskosten (“loser pays”).Durch dieses Risiko werden von vornherein aussichtslose und damit auch nicht schützenswerte Klagen herausgefiltert. Dieser Filter funktioniert aber nur, wenn der Kläger auch erhebliche eigene Kosten zu befürchten hat. Die Idee der “einfachen Teilnahme” hingegen ist es, dem Anleger das Kostenrisiko im Wesentlichen abzunehmen. Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung. VergleichsdruckDer Schutz vor ungerechtfertigten Klagen ist zudem besonders wichtig, wenn die Nachteile des Beklagten weit über die Kosten des Verfahrens hinausgehen. Ein Musterverfahren mit Hunderten oder gar Tausenden “einfachen Teilnehmern” würde aber unabhängig von der Berechtigung der inhaltlichen Vorwürfe enormen Vergleichsdruck aufbauen. Hinzu kommen zahlreiche technische Schwierigkeiten bei einer “einfachen Teilnahme”, die zu einer weiteren Überlastung der Gerichte führen würden.Falsche Anreize setzt der Regierungsentwurf auch durch eine neue Sondervergütung allein für den Anwalt des Musterklägers. Bisher löst die Vertretung in einem Musterverfahren keine gesetzliche Anwaltsgebühr aus. Künftig hingegen soll der Mehraufwand erstattungsfähig sein, allerdings nur für den Vertreter des Musterklägers. Obsiegt der Musterkläger, sind ihm diese Anwaltskosten künftig vom Beklagten zu ersetzen. Gewinnt hingegen der Beklagte, hätte er keinen entsprechenden Erstattungsanspruch, obwohl auf seiner Seite faktisch der gleiche Aufwand entsteht. Das untergräbt ebenfalls den zur Kontrolle der Klagewut wichtigen Grundsatz des “loser pays”. Einfluss aus EuropaZudem darf die Reform des KapMuG nicht losgelöst von den aufsichtsrechtlichen und europarechtlichen Entwicklungen betrachtet werden. So sind beispielsweise Ausforschungsmöglichkeiten, die einen großen Anteil an den Ausuferungen von Class Actions in den USA haben, zwar in der KapMuG-Reform nicht vorgesehen. Ständig neue aufsichtsrechtliche Dokumentationsanforderungen sowie gesetzliche und richterliche Vermutungsregelungen zugunsten der Kläger können aber zu ähnlichen Ergebnissen führen.Schließlich überschneiden sich die deutschen Reformbemühungen zum KapMuG mit breiter angelegten Überlegungen zu neuen Instrumenten kollektiven Rechtsschutzes auf EU-Ebene. Die Inhalte dieser europäischen Vorgaben sind noch völlig offen. Für das Kartellrecht lag bereits die automatische Einbeziehung aller Betroffenen bis zu deren Widerspruch (“Opt-out-Klage”) konkret auf dem Tisch. Sollte diese Idee wieder aufleben und infolge des breiteren Ansatzes für alle Verbraucheransprüche – einschließlich Anlegeransprüche – vorgegeben werden, käme auch Deutschland den US-amerikanischen Klageverhältnissen sehr viel näher. Weder dem Anlegervertrauen noch dem Finanzplatz wäre damit gedient.—-*) Dr. Wolf Bussian ist Partner im Frankfurter Büro von Hogan Lovells und leitet den Bereich Financial Services Litigation.