Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Matthias Schüppen

"Besserer Schutz bei Übernahmen wünschenswert"

Fall ACS/Hochtief: Wer über 30 Prozent hält, sollte bei Hinzuerwerb neue Pflichtangebote abgeben müssen

"Besserer Schutz bei Übernahmen wünschenswert"

– Die Bundesregierung hat klargestellt, sie werde ins Übernahmeverfahren ACS/Hochtief nicht per Gesetz eingreifen. Doch bleibt die Frage nach Reformbedarf des Übernahmerechts. Herr Dr. Schüppen, ist das deutsche Recht im internationalen Vergleich zu übernahmefreundlich?Spektakuläre Übernahmen der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass aus der Sicht der Streubesitzaktionäre wie auch der Unternehmen ein besserer gesetzlicher Schutz durchaus wünschenswert wäre. Persönlich sehe ich deshalb Reformbedarf. Zu klären ist zunächst, welchem Zweck das Übernahmerecht dienen soll. Aus Verlautbarungen der EU-Kommission ergibt sich, dass Brüssel den Zweck des europäischen Rechts darin sieht, Übernahmen zu erleichtern.- Worauf beruht das?Auf der empirisch nicht belegbaren Prämisse, dass Übernahmen im Allgemeinen volkswirtschaftlich sinnvoll sind. Der theoretische Überbau, ein angeblicher “Market for Corporate Control”, ist eine Schimäre. Fälle wie jetzt ACS/Hochtief zeigen, dass es nicht etwa um Ablösung eines unfähigen Managements geht, sondern um Financial Engineering und Arbitrage durch Abpassen eines börsenmäßig günstigen Zeitpunktes.- ACS hat von der Aufsicht BaFin eine Fristverlängerung für die Angebotsabgabe bekommen. Wird damit nicht der Zeitpunkt verfälscht?Nach dem Gesetz kann die Frist verlängert werden, wenn der Bieter die vier Wochen wegen erforderlicher Kapitalmaßnahmen nicht einhalten kann. Inwiefern die Fristverlängerung gewährt wird, liegt im Ermessen der BaFin. Bereits mit Veröffentlichung der Absicht, ein Übernahmeangebot abzugeben, hätte ACS klar sein müssen, dass dies ohne Kapitalerhöhung unzulässig ist. Der Bieter muss nämlich die vollständige Erfüllung des Angebots sicherstellen, auch wenn er möglicherweise nur mit einer geringen Annahmequote rechnet. Da offensichtlich einige Wochen verstrichen sind, ohne dass ACS eine Kapitalerhöhung vorbereitet hätte, kann man an einer berechtigten Fristverlängerung durchaus zweifeln. Immerhin stellt das Gesetz auch eine von der BaFin durchzusetzende Forderung an den Bieter auf, das Verfahren rasch durchzuführen, um die Belastung für den laufenden Betrieb des Zielunternehmens möglichst gering zu halten.- Woran könnte das Übernahmeangebot dann überhaupt noch scheitern?Neben den bereits öffentlich ausführlich erörterten Maßnahmen scheinen mir die Bewertungsgrundsätze vernachlässigt. Die Hochtief-Aktionäre sollen als Gegenleistung junge Aktien aus einer Kapitalerhöhung erhalten, die nicht börsennotiert sind bzw. bisher nicht einmal existieren. Hier die Börsenkurse zugelassener Aktien der gleichen Gattung heranzuziehen, ist problematisch, weil es in der maßgeblichen Angebotsverordnung nicht vorgesehen ist. In Fällen, in denen keine zur Ermittlung eines Referenzkurses taugliche Börsennotierung existiert, ist vielmehr eine Unternehmensbewertung durchzuführen. Es wäre verwunderlich, wenn eine Kapitalerhöhung um bis zu 50 % ohne massive Auswirkungen auf den vorherigen Börsenkurs bliebe.- Welche Rolle spielt hier die Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats?Die Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat muss vor allem auf Art und Höhe der angebotenen Gegenleistungen eingehen. Die dazu bisher von der BaFin gebilligte Praxis ist allerdings lückenhaft. Denn zum einen begnügen sich manche Stellungnahmen mit dem Hinweis darauf, dass das Angebot den gesetzlichen Vorschriften entspricht, also nicht unterhalb des ohnehin auf der Website der BaFin mitgeteilten Mindestpreises liegt.- Das hat der Gesetzgeber aber sicherlich nicht gemeint . . .Genau. Damit die Stellungnahme dem Aktionär hilft, das Angebot zu beurteilen, muss er in die Lage versetzt werden, einen auf der Basis von durchschnittlichen Börsenkursen errechneten Angebotspreis in Relation zu einem betriebswirtschaftlich fundierten Unternehmenswert zu setzen.- Und der zweite Punkt?Er betrifft den umgekehrten Fall, dass Vorstand und Aufsichtsrat plausibel begründen, warum sie eine angebotene Gegenleistung für unangemessen niedrig halten. Das ist dann nur einer von vielen Faktoren für die Verkaufsentscheidung der Aktionäre; einen besonderen Einfluss auf das Angebotsverfahren hat die Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat aber nicht.- Ist hier nach Ihrer Ansicht Kritik am Gesetz oder an der Gesetzesanwendung zu üben?Ich sehe durchaus bisher nicht ausgeschöpfte Spielräume in der Anwendung, vor allem mit Blick auf die Frage der Angemessenheit der Gegenleistung. Zwar sieht das Gesetz die Berücksichtigung der durchschnittlichen Börsenkurse der Aktien der Zielgesellschaft vor, was auch der Praxis der BaFin entspricht. Das Gesetz lässt aber ohne weiteres eine andere Auslegung zu, wonach der Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat hier auch de lege lata eine größere Bedeutung eingeräumt werden könnte. Klarheit würde hier aber wohl nur eine Gesetzesänderung bringen.- Einige Stimmen fordern, nach der Schwelle von 30 % weitere Beteiligungsschwellen einzuführen, die ein Pflichtangebot auslösen, zum Beispiel bei 50%. Wäre das aus Ihrer Sicht sinnvoll?Wird der Schutz der Aktionäre nicht grundlegend geändert, würde eine 50 %-Schwelle die derzeit bei der Annäherung und dem Überschreiten der 30 %-Schwelle bestehenden Probleme wohl nur duplizieren. Eher diskutabel erscheint mir eine Regelung, wonach Aktionäre, die zwischen 30 und 50 % des Stimmrechtsanteils halten, bei jedem weiteren Hinzuerwerb erneut ein Pflichtangebot abgeben müssen. Das macht das möglichst unauffällige und möglichst billige Überschreiten der Marke von 30 % unattraktiver. Zudem hat es sein Vorbild im englischen City Code on Takeovers, der ja auch sonst gerne als vorbildlich herangezogen wird.—-Dr. Matthias Schüppen ist Partner bei Graf Kanitz, Schüppen & Partner in Stuttgart. Die Fragen stellte Walther Becker.