Recht und Kapitalmarkt

BGH-Urteil bringt Innenfinanzierung ins Wanken

Deutlicher Eingriff in die Praxis - Viele ungeklärte Fragen - Rechtliche Unsicherheit durch Wirtschaftsprüfer vergrößert

BGH-Urteil bringt Innenfinanzierung ins Wanken

Von Andreas Biegel und Götz Eilmann *)Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 24. November 2003 (AZ: II ZR 171/01) die Strukturen der Innenfinanzierung in Deutschland ansässiger Konzerne in Frage gestellt. Die bislang üblichen, zum Teil grenzüberschreitenden Cash-Pool-Systeme mussten und müssen gründlich überarbeitet werden; mögliche Lösungen sehen sich aber vielen offenen Fragen ausgesetzt. Seit langem ermöglichen Cash-Pool-Systeme den effektiven Umgang mit Finanzmitteln, um die Liquidität im Gesamtkonzern zu erhöhen. Üblich ist das “Zero Balancing Verfahren”: Dabei werden Habensalden auf Quellkonten der Tochtergesellschaften meist täglich abgeführt – entweder an die Muttergesellschaft oder eine eigens für diesen Zweck bestehende Cash-Pool-Trägergesellschaft. Mehrstufige SystemeUmgekehrt verpflichtet sich die Mutter- oder die Zweckgesellschaft, bestehende Sollsalden von Cash- Pool-Gesellschaften täglich auszugleichen. In größeren Konzernen finden sich in der Regel mehrstufige Cash-Pool-Systeme, an die Tochter- und Enkelfirmen angeschlossen sind. Rechtlich handelt es sich dabei um Darlehensverhältnisse zwischen den teilnehmenden Gesellschaften. Bilanziell wurden Darlehen, die eine GmbH an ihren Gesellschafter oder ein anderes Konzernunternehmen ausgereicht hat, bisher als reiner Aktivtausch und damit als bilanzneutraler Vorgang betrachtet. Dies war nach den Kapitalerhaltungsvorschriften des GmbH-Gesetzes (GmbHG) grundsätzlich zulässig. Nach § 30 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen grundsätzlich nicht an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. Für die Aktiengesellschaft gelten diese Grundsätze nach §§ 57, 62 Aktiengesetz (AktG) gleichermaßen.Nach dem BGH-Urteil sind jedoch Kredite an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zulasten des Stammkapitals der GmbH erfolgen, grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen zu bewerten – selbst wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte. Die Aussagen des Urteils dürften auch für AGs gelten, denn die Kapitalerhaltungsvorschriften des Aktienrechts sind sogar noch strenger als die des GmbH-Rechts.Der BGH hat ausdrücklich offen gelassen, ob eine Darlehensgewährung ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn die Darlehensvergabe im Interesse der Tochtergesellschaft erfolgt, die Darlehensbedingungen einem Drittvergleich standhalten und die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht oder die Rückzahlung des Darlehens durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet ist. Die ersten beiden Voraussetzungen sind in der Regel erfüllbar. Das Interesse der am Cash Pool teilnehmenden Töchter kann mit der Weitergabe der konzernweiten Einsparung von Finanzierungskosten an die einzelnen Gesellschaften und mit einem möglicherweise verbesserten Außenfinanzierungsspielraum begründet werden; die Darlehensbedingungen halten üblicherweise dem Drittvergleich stand. Weitestgehend unklar ist allerdings, wann auch “bei Anlegung strengster Maßstäbe die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers außerhalb jedes vernünftigen Zweifels stehen” soll. Ein erstklassiges Rating der Muttergesellschaft (z. B. “AAA”) weist kaum ein deutsches Unternehmen auf, so dass dies vernünftigerweise auch nicht gefordert sein kann. Also dürfte als Kriterium ausreichen, dass die Mutter ungesicherte Darlehen von außenstehenden Dritten (z. B. Banken) ohne erheblichen Risikoaufschlag erhält – was einem Rating im Investment-Grade-Bereich entspricht. Doch auch diese Kreditwürdigkeit weisen nicht alle Unternehmen auf, die Cash-Pool-Systeme unterhalten. UnternehmensverträgeZur Entschärfung der Problematik empfiehlt sich innerhalb eines Cash-Pool-Verbundes der Abschluss von Unternehmensverträgen. Denn § 291 Abs. 3 AktG bestimmt ausdrücklich, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht als Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften gelten. Dies dürfte auch für die GmbH im Vertragskonzern gelten. Da die Rechtsprechung diesen Fall aber noch nicht abschließend entschieden hat, verbleibt für die beherrschte GmbH ein Restrisiko.Die rechtliche Unsicherheit ist durch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) vergrößert worden. Dessen Hauptfachausschuss erläuterte in einem Schreiben vom Dezember 2004 die Auswirkungen des BGH-Urteils auf die Abschlussprüfung. Dabei sind die Formulierungen zum Teil so gewählt, dass sie dem Prüfer Entscheidungsspielraum lassen, ob die zu prüfende Gesellschaft das BGH-Urteil im Lichte der Abschlussprüfung richtig umgesetzt hat. Danach soll die Geschäftsführung der GmbH verpflichtet sein, Darlehen bei eingetretener oder konkret absehbarer Verschlechterung der Vermögenslage des Gesellschafters zurückzufordern. Auch hat der Prüfer zu klären, ob die Geschäftsführung, die an einen Gesellschafter einen Kredit vergeben hat, der nicht durch frei verfügbares Eigenkapital gedeckt ist, die rechtliche Problematik kennt und warum sie von der Zulässigkeit der Kreditgewährung ausgeht. Die Beurteilung durch die Geschäftsführung ist angemessen zu dokumentieren. Vertritt sie unter Beachtung der Rechtsprechung des BGH die Ansicht, die Darlehensgewährung sei mit dem § 30 GmbHG vereinbar, ist dies im Prüfungsbericht begründet darzulegen. Soweit mit dem Gesellschafter ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag besteht und die Geschäftsführung die Ansicht vertritt, § 30 GmbHG sei nicht einschlägig, ist dies vom Prüfer in der Regel nicht zu beanstanden. Aber Vorsicht: folgt der Abschlussprüfer der Auffassung der Geschäftsführung nicht, wird dieser den Sachverhalt als schwerwiegenden Gesetzesverstoß im Sinne des § 321 HGB bewerten. Trotz des IDW-Schreibens fehlen den Prüfern allerdings ausreichende Vorgaben: Wie sind zum Beispiel Fälle zu bewerten, in denen aus bestimmten Gründen gerade kein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag geschlossen worden ist? In dieser rechtlichen Unsicherheit müssen Unternehmen, die weiterhin von den Vorteilen eines Cash-Pool-Systems profitieren wollen, handhabbare Lösungen suchen. Eine Gewährung von Geldmitteln nur aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen ist dabei häufig kein praktisch gangbarer Weg. Im Ergebnis müsste die Geschäftsleitung dazu jeden Tag eine Bilanz aufstellen und feststellen, ob sie noch Upstream-Darlehen gewähren darf.Bleiben die vom BGH angedeuteten Ausnahmekriterien, deren Umsetzung zudem von den Abschlussprüfern akzeptiert werden müsste. Wenn überhaupt möglich, sind dazu in jedem Fall spezielle Regelungen in die Cash-Pool-Verträge aufzunehmen: strenge Informationspflichten für die Konzerngesellschaft über den finanziellen Zustand des Konzerns, insbesondere die Liquidität des Cash Pool, offene Kreditlinien gegenüber Banken und eine drohende Vermögensverschlechterung; außerdem ein außerordentliches Kündigungsrecht für die teilnehmenden Gesellschaften, wonach die Geschäftsführung die gewährten Geldmittel in einem solchen Fall jederzeit sofort zurückfordern kann. Durch diese Klauseln wird die Gefahr minimiert, dass die teilnehmenden Gesellschaften ihre Geldmittel nicht zurückerhalten, selbst wenn zuvor durch die Darlehensbegebung das Stammkapital angegriffen war. StandortnachteilDie durch das BGH-Urteil verursachte Unsicherheit trifft auf ein Umfeld, in dem ausländische Rechtsformen zunehmend rechtlich möglich werden. Um die GmbH und mit ihr den (gesellschaftsrechtlichen) Standort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten, müsste der Gesetzgeber gravierendere Reformen unternehmen als eine Absenkung des Mindeststammkapitals. Noch hilfreicher wäre eine baldige Klarstellung durch die Gerichte.*) Dr. Andreas Biegel ist Syndikus bei der Deutschen Lufthansa AG, Frankfurt, Dr. Götz Eilmann Partner von Linklaters Oppenhoff & Rädler in Frankfurt. Die Autoren sind Mitglieder im Arbeitskreis Cashpool, dem viele deutsche Konzerne angehören.