Recht und Kapitalmarkt

BGH-Urteil erleichtert Konzernen das Cash Pooling

Gericht schafft praktikable Anforderungen für Cash-Management-Systeme und Darlehen an Gesellschafter

BGH-Urteil erleichtert Konzernen das Cash Pooling

Von Thorsten Kuthe *) In der Praxis kommt es regelmäßig in Konzernsituationen vor, dass Tochtergesellschaften im Rahmen eines Cash Pooling oder auch unabhängig davon Darlehen an ihre Muttergesellschaft gewähren. Diese weit verbreitete Praxis hatte sich seit dem sogenannten November-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahre 2003 mit erheblichen Problemen konfrontiert gesehen. Nach dem November-Urteil lag nämlich in vielen Fällen der Darlehensgewährung durch eine GmbH oder AG ein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften vor, der insbesondere zu einer persönlichen Haftung der Geschäftsleitung im Falle der Uneinbringlichkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs führte. Praktische ProblemeDer BGH hatte gefordert, dass die jeweils Gesellschaftern gewährten Darlehen entweder besichert sein müssten oder aber die Bonität des Gesellschafters über jeden denkbaren Zweifel erhaben. Da Letzteres in der Praxis für kaum eine Gesellschaft anzunehmen war, ergab sich bei allen nicht besicherten Darlehen an Gesellschafter das Risiko der Haftung der Geschäftsleitung. Bei der GmbH war dies immer dann der Fall, wenn das bilanzielle Eigenkapital unter die Höhe des Stammkapitals fiel, wobei der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter außer Acht zu lassen war. Darlehensgewährungen waren also in Höhe der freien Rücklagen möglich. Bei der AG bestand dieses Risiko bereits dann, wenn die Höhe des Gesellschafterdarlehens die Höhe des Bilanzgewinns überstieg. Die vorgenannte Rechtsprechung führte zu erheblichen praktischen Problemen und Unsicherheiten. Teilweise wurde zum Beispiel angenommen, dass Aktiengesellschaften an einem Cash Pool gar nicht mehr teilnehmen dürfen. Der Gesetzgeber hat sich dieses Problems im Rahmen der Reform des GmbH-Rechts durch das MoMiG angenommen. Seit November vergangenen Jahres gilt, dass Darlehensgewährungen an Gesellschafter, die durch einen vollwertigen Rückgewehranspruch gedeckt sind, grundsätzlich zulässig sind. Damit wollte der Gesetzgeber ausdrücklich von dem November-Urteil abrücken.Nunmehr hat der BGH in einem Urteil vom 1. Dezember 2008 (Az II ZR 102/2007) erneut zu der Frage der Anforderung an die Gewährung von Gesellschafterdarlehen Stellung genommen. Der entschiedene Fall bezog sich dabei im Gegensatz zum November-Urteil nicht auf eine GmbH, sondern auf eine Aktiengesellschaft. Der Fall betraf Darlehensgewährungen vor Inkrafttreten des MoMiG. Der BGH hat dabei seine sogenannte November-Rechtsprechung aufgegeben und auch für Altfälle anerkannt, dass die Vergabe eines ungesicherten Darlehens jedenfalls an Mehrheitsgesellschafter bei Vorliegen eines vollwertigen Rückzahlungsanspruchs in der Aktiengesellschaft (und damit auch in der GmbH) zulässig ist. Das Urteil hat damit Bedeutung zunächst für die zahlreichen Altfälle vor Inkrafttreten des MoMiG. Darüber hinaus gibt der BGH auch Hinweise dafür, was konkret bei der Gewährung von Darlehen oder der Ausgestaltung eines Cash-Pool-Systems sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage zu beachten ist. Zunächst beschäftigt der BGH sich mit der Frage, wann eine Darlehensforderung gegen Gesellschafter als vollwertig anzusehen ist. Die entsprechende Prüfung ist zeitlich im Moment der Darlehensgewährung vorzunehmen. Maßstab für die Frage, ob der Rückzahlungsanspruch vollwertig ist, ist eine vernünftige kaufmännische Beurteilung, wie sie auch bei der Bewertung von Forderungen aus Drittgeschäften im Rahmen der Bilanzierung (§ 253 HGB) maßgeblich ist. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Darlehensrückzahlung, wie früher gefordert, ist ausdrücklich nicht mehr erforderlich. Wenn zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung also kein konkretes Ausfallrisiko besteht, ist der Rückzahlungsanspruch als vollwertig anzusehen. Im entschiedenen Fall hatte der Abschlussprüfer der Tochtergesellschaft im Rahmen der Abschlussprüfung festgestellt, dass nach Prüfung des Jahresabschlusses der Muttergesellschaft von einer Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs auszugehen ist. Entsprechende sachverständige Erklärungen dürften das Risiko für Vorstände hier erheblich reduzieren.Der BGH stellt des Weiteren fest, dass das Darlehen an den Gesellschafter angemessen verzinst sein muss. Allerdings führt allein die fehlende Angemessenheit der Verzinsung nicht dazu, dass die Darlehensgewährung insgesamt als unzulässig angesehen wird, mit der Folge, dass der Vorstand gegebenenfalls Schadenersatz in Höhe des kompletten Ausfalls der Darlehensforderung zu gewähren hat. Vielmehr bezieht sich ein eventueller Schadenersatzanspruch in diesem Fall nur auf die Höhe der Zinsdifferenz. Das leuchtet unmittelbar ein, wurde aber früher häufig anders gesehen. Auch diese Auffassung der Rechtsprechung stellt eine deutliche Erleichterung für die Praxis dar, lässt sich über die Höhe eines angemessenen Zinssatzes doch sicherlich streiten. Noch offen ist die Frage, ob im Rahmen eines Cash Pool eine Verzinsung eventuell entfallen kann, weil die Tochtergesellschaft durch den Cash-Management-Vertrag die Möglichkeit hat, auch unverzinste Darlehen zu erhalten. FrühwarnsystemIm nächsten Schritt stellt der Bundesgerichtshof fest, dass die Verwaltungsorgane der abhängigen Gesellschaft laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos prüfen müssen. Hierzu müssen bei umfangreichen langfristigen Darlehen oder bei einem Cash-Pooling-System geeignete Informations- oder Frühwarnsysteme eingerichtet werden. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen eines etwa erforderlichen Informationssystems und dessen sachgerechte Ausgestaltung sind die Organmitglieder.Schließlich weist der BGH noch darauf hin, dass ein solches Frühwarnsystem sinnvollerweise mit einer kurzfristigen Kündigungsmöglichkeit des Darlehens an den Gesellschafter kombiniert werden sollte, damit die Möglichkeit besteht, auf Änderungen der Bonität des Großaktionärs zu reagieren. Im entschiedenen Fall waren die Darlehen jeweils zum Monatsende kündbar.Zu beachten ist noch, dass Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Darlehensgewährung an Gesellschafter nicht nur Vorstände und Geschäftsführer, sondern auch Aufsichtsräte treffen. In dem entschiedenen Fall ging es letztlich um die Haftung der Aufsichtsräte. Die Vorinstanz hatte diese zu Schadenersatz verurteilt. Der BGH hält fest, dass die Aufsichtsräte im Rahmen der Überwachung des Vorstands prüfen müssen, ob dieser sich an die vorstehenden Kriterien gehalten hat, und sonst gegebenenfalls auf eine Besicherung der Darlehen hinwirken müssen. Dies bedeutet für den Aufsichtsrat zum einen, dass die Gewährung sämtlicher Darlehen an Gesellschafter über eine Geschäftsordnung einer Pflicht zur Zustimmung durch den Aufsichtsrat unterworfen werden sollte, da andernfalls bei der Darlehensvergabe nicht kontrolliert werden kann, ob die Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs ordnungsgemäß überprüft wurde. Des Weiteren sollte der Aufsichtsrat im Rahmen des für den Vorstand festzulegenden Reporting-Systems die Vorlage der Informationen aus der Überwachung der Kreditwürdigkeit des Gesellschafters verlangen, um gegebenenfalls eingreifen zu können, wenn sich die Bonitätssituation ändert.Insgesamt ist das Urteil deutlich zu begrüßen. Es stellt nunmehr wieder praktikable Anforderungen für Cash-Management-Systeme und sonstige Darlehensgewährungen an Gesellschafter auf und gibt konkrete Hinweise für die praktische Handhabung. Die wie ein Damoklesschwert über vielen auch ehemaligen Organen liegende Last der November-Rechtsprechung ist damit nunmehr beseitigt. Für Fälle der zweifelhaften Bonität des Gesellschafters verbleiben Risiken sowohl der Geschäftsleitung als auch der Aufsichtsräte, die im Zweifel zu einer restriktiveren Handhabung führen werden. Auswege in solchen Situationen können etwa die Gewährung von Sicherheiten oder der Abschluss eines Beherrschungsvertrags darstellen.*) Dr. Thorsten Kuthe ist Rechtsanwalt und Partner im Kölner Büro von Heuking Kühn Lüer Wojtek.