BGH urteilt über Bemessung der Abfindung in Spruchverfahren
Von Petra Mennicke *)Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte kürzlich eine der wenigen Gelegenheiten zu einer Entscheidung über die Abfindungsbemessung in einem Spruchverfahren. Es ging um die bei Strukturmaßnahmen relevante Frage der Bemessung der angemessenen Barabfindung für die Minderheitsaktionäre bei einem Squeeze-out, wenn bei der Gesellschaft ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) besteht. Genauer ging es um die noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen (Garantiedividende gemäß § 304 Aktiengesetz) der Mindestwert für die Barabfindung ist, wenn er den fundamentalen Unternehmenswert je Aktie übersteigt. Diese Frage hat der BGH nun im Beschluss vom 15.9.2020 (II ZB 6/20) grundsätzlich bejaht.Der BGH hatte 2016 (II ZB 25/14) schon einmal Gelegenheit, sich zur Bemessung der Squeeze-out-Barabfindung bei einem bestehenden BGAV zu äußern. Damals erteilte er der Auffassung eine Absage, dass sich bei einem bestehenden BGAV die später zu ermittelnde Squeeze-out-Abfindung allein über den Barwert der Ausgleichszahlungen bestimme. Ob der Barwert ähnlich dem Börsenwert als Mindestwert der angemessenen Abfindung zugrundezulegen ist, hatte der BGH mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich offengelassen. Der BGH stellte in einem obiter dictum nur fest, dass der Barwert eine Untergrenze sei, wenn er dem Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung entspreche.Die offen gebliebene Frage nach dem Barwert als Mindestwert hat der BGH nun beantwortet. Die angemessene Squeeze-out-Abfindung könne nach dem Barwert der Ausgleichszahlungen bestimmt werden, wenn dieser höher als der auf die Aktie entfallende anteilige Unternehmenswert sei, der BGAV zum maßgeblichen Stichtag des Squeeze-out bestehe und von seinem Fortbestand auszugehen sei (Leitsatz).Im Kern sieht der BGH im schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch eine vermögenswerte Position des Minderheitsaktionärs. Dieser Anspruch würde ihm unmittelbar durch den Squeeze-out mit dem Verlust der Aktionärsstellung entzogen. Dafür sei er zu entschädigen, indem der Verlust des Ausgleichsanspruchs in der Squeeze-out-Abfindung abgebildet werde. Andernfalls würde die verfassungsrechtliche Vorgabe der vollen wirtschaftlichen Kompensation verfehlt. Dabei stelle der Barwert in der Regel nur den Mindestwert der Abfindung dar, weil er nur den Anspruch auf Dividende ersetze, nicht aber den Anteil an der Vermögenssubstanz umfasse, auf den bei Auflösung und Liquidation der Gesellschaft ein Anspruch bestehe. “Gerechtigkeitsargument”Den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Entschädigungsgedanken unterfüttert der BGH mit einem dogmatisch zweifelhaften “Gerechtigkeitsargument”, indem er auf die Verhinderung einer ungerechtfertigten Bereicherung des Mehrheitsaktionärs abstellt. Dieser dürfe nicht davon profitieren, dass er die Ausgleichszahlungen infolge des Squeeze-out “einsparen” würde. Deshalb müssten die Minderheitsaktionäre mindestens den Betrag erhalten, den der Mehrheitsaktionär einsparen würde.Die Argumentation des BGH erscheint auf den ersten Blick schlüssig und wegen des der Bemessung von Abfindungen zugrundeliegenden Entschädigungsgedankens nachvollziehbar. Dennoch bleiben Zweifel, ob der Schutz der Minderheitsaktionäre mit der Anerkennung des Barwerts der Ausgleichszahlungen als Mindestwert nicht überdehnt wird. Im Ergebnis führt dies zu einer Meistbegünstigung der Minderheitsaktionäre, die sonst in der Rechtsprechung abgelehnt wird. In der Praxis werden nun der Ertragswert, der Barwert der Ausgleichszahlungen und – bei Börsennotierung – der Börsenwert zu ermitteln sein.Für die Ermittlung des Barwerts muss aus Sicht des Bewertungsstichtags eine Prognose erfolgen, wie lange der BGAV laufen würde, wenn es den Squeeze-out nicht gäbe. Dabei könne, so der BGH, bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine Vertragsbeendigung vereinfachend von einer ewigen Laufzeit ausgegangen werden. Damit wird die ewige Dauer zur Regel-Annahme. Ist der Barwert höher als der Ertragswert, muss er, vorbehaltlich eines höheren Börsenkurses, grundsätzlich als Abfindung zugrundegelegt werden. Das bislang aus Vorsichtsgründen übliche Vorgehen, den Barwert der Ausgleichszahlungen zumindest als zusätzliche interne Entscheidungsgrundlage zu ermitteln, wird damit notwendige Voraussetzung der Festsetzung einer angemessenen Abfindung.Nachdem der BGH 2016 ausgeführt hatte, dass der Barwert jedenfalls dann eine Untergrenze bilde, wenn er dem Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung entspreche, hätte man sich klare Kriterien gewünscht, wann dies der Fall sein soll. Die entsprechenden Ausführungen des BGH sind wenig befriedigend. Es soll sich um eine Frage des Einzelfalls handeln, für die offenbar die voraussichtliche Dauer des BGAV entscheidend sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein BGAV nicht dauerhaft von Bestand sei, wenn der anteilige Ertragswert deutlich unter dem Barwert liege. Obwohl dies im entschiedenen Fall so war, hat der BGH dennoch die Abfindung anhand des Barwerts ermittelt. *) Dr. Petra Mennicke ist Counsel bei Hengeler Mueller in Düsseldorf.