Recht und Kapitalmarkt

BGH verhandelt über Stimmbindungsverträge

Mehrheitsklauseln im Lichte gesetzlich vorgeschriebener qualifizierter Mehrheitserfordernisse

BGH verhandelt über Stimmbindungsverträge

Von Maximilian Grub und Ulrich Thiem *) Stimmbindungsverträge sind in der gesellschaftsrechtlichen Praxis häufig anzutreffen. Sie werden in Joint-Venture-Vereinbarungen, in denen strategische Investoren ihr Stimmverhalten für bestimmte Situationen festlegen, vereinbart. Familiengesellschaften treffen Stimmbindungsverträge, um das einheitliche Stimmverhalten eines Familienstammes in der Gesellschafterversammlung sicherzustellen. Im Private-Equity-Bereich kommen Vereinbarungen zur gemeinsamen Stimmrechtsausübung beim Zusammenwirken mehrerer Finanzinvestoren oder im Zusammenhang mit Managementbeteiligungen vor. In all diesen Konstellationen sollen durch Stimmbindungsverträge Stimmrechte in Gesellschafterver-sammlungen des Beteiligungsunternehmens gebündelt werden. Zulässigkeit der VerträgeDie Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen unter Gesellschaftern oder gegenüber Dritten ist im Grundsatz von Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Als Zulässigkeitsgrenzen werden vor allem die Umgehung von Stimmverboten, die gesellschafterliche Treuepflicht und der Stimmenkauf angesehen. Der schuldhafte Verstoß gegen einen Stimmbindungsvertrag hat in erster Linie Schadenersatzansprüche des Berechtigten zur Folge. Der BGH hat in zwei Entscheidungen auch die Möglichkeit der Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen bejaht, die durch Stimmabgaben zustande gekommen waren, die gegen einen Stimmbindungsvertrag verstießen. Der Gesellschafterbeschluss selbst ist hingegen wirksam.Sind aber Regelungen in Stimmbindungsverträgen zulässig, die auch für Angelegenheiten, in denen das Gesetz zwingend eine qualifizierte Mehrheit vorgibt (zum Beispiel bei Kapitalerhöhungen), eine Bindung des Stimmverhaltens in der jeweiligen Gesellschafterversammlung der Beteiligungsgesellschaft durch einfache Mehrheiten im Stimmrechtskonsortium zulassen? Stand der DiskussionDiese Frage wurde in Rechtsprechung und Literatur bislang kaum erörtert. Soweit ersichtlich, liegt höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage noch nicht vor. Der BGH hatte erstmalig am 27. November über die Zulässigkeit einer Mehrheitsklausel in einem Stimmbindungsvertrag zu verhandeln. Die streitgegenständliche Klausel sieht eine – mit einfacher Mehrheit im Stimmrechtskonsortium festzulegende – Stimmbindung auch in den Fällen vor, in denen auf Ebene des Beteiligungsunternehmens eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist.Gegen die Zulässigkeit dieser Mehrheitsklauseln hat sich bisher vor allem Habersack ausgesprochen. Eine solche Mehrheitsklausel könne zur Folge haben, dass ein mit 26 % am Kapital der Beteiligungsgesellschaft und mit entsprechender Mehrheit auch am Stimmrechtskonsortium beteiligter Gesellschafter einen von der Mehrheit der Gesellschafter nicht gewollten strukturändernden Beschluss – in Umgehung der gesetzlich vorgesehenen Mehrheiten – herbeiführt. Eine völlige Verdrängung der für die Beschlussfassung innerhalb der Beteiligungsgesellschaft geltenden Voraussetzungen und der vollständige Verlust der Minderheitenrechte wären die Folge, obwohl qualifizierte Mehrheitserfordernisse zu den unabdingbaren Regelungen über die Organisation und die Willensbildung in der Gesellschaft gehören würden. Die gegenteilige Auffassung hat in erster Linie Noack vertreten, der einen Gleichlauf der Abstimmungsquoten in der Beteiligungsgesellschaft und im Stimmrechtskonsortium schon als wenig praktikabel ansieht. Ein Schutz der bei der Abstimmung innerhalb des Konsortiums unterlegenen Mitglieder sei nicht erforderlich, da diese den Konsortialvertrag mit der entsprechenden Mehrheitsklausel aus freien Stücken abgeschlossen hätten. Ferner gehöre das Stimmrecht nicht zu den unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten. Prozessgeschichte Verfahrensgegenstand des nun bis vor den BGH gelangten Rechtsstreits war der Feststellungsantrag der Geschäftsführerin einer Schutzgemeinschaft aus Aktionären. Die beklagten Mitglieder der Schutzgemeinschaft hatten in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft gegen Anträge gestimmt, obwohl in der Schutzgemeinschaft vorher beschlossen worden war, den Anträgen zuzustimmen. Die Klägerin beantragte die Feststellung, dass die gemäß der zwischen den Mitgliedern der Schutzgemeinschaft bestehenden Stimmrechtsvereinbarung mit einfacher Mehrheit gefassten Beschlüsse über die Stimmabgabe in der Hauptversammlung auch dann wirksam sind, wenn dort eine größere Mehrheit gesetzlich vorgeschrieben ist. Beide Instanzgerichte entschieden im Sinne der Klägerin. Die Mehrheitsklausel des Schutzgemeinschaftsvertrags würde demnach nicht gegen spezielle Bestimmungen des Aktiengesetzes verstoßen. Das Aktiengesetz erkenne die Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen grundsätzlich an, da es Stimmbindungsverträge nur in ganz wenigen – hier nicht einschlägigen – Ausnahmefällen verbiete. Unabdingbare Regelungen über die Organisation und die Willensbildung in der Aktiengesellschaft würden gerade nicht umgangen. Da die Abstimmung in der Schutzgemeinschaft das Erfordernis der Dreiviertelmehrheit in der Hauptversammlung unberührt lasse, sei die institutionelle Ordnung des Mehrheitserfordernisses gewahrt. Als rein schuldrechtlicher Vertrag würde ein Stimmbin-dungsvertrag freiwillig eingegangen und wirke nicht anders als die mögliche Übertragung des Stimmrechts auf einen Dritten, der sogar Nichtgesellschafter sein kann. Zumindest dieses Argument dürfte kaum mit dem im Aktienrecht geltenden Abspaltungsverbot (kein Stimmrecht ohne Aktie) vereinbar sein. Unwidersprochen bleibt jedoch das vom OLG gebildete Beispiel, dass eine Übertragung der in dem Beteiligungsunternehmen geltenden Mehrheitsverhältnisse auf Abstimmungen im Stimmrechtskonsortium dazu führen kann, dass ein Gesellschafter, der in der Gesellschafterversammlung des Beteiligungsunternehmens allein nicht die erforderliche Sperrminorität besitzt, diese aufgrund einer überproportionalen Berücksichtigung in einem – nicht aus allen Gesellschaftern bestehenden – Stimmrechtskonsortium erlangt. Dies zeigt, dass eine Umgehung der Mehrheitserfordernisse in dem Beteiligungsunternehmen zwar faktisch und im Einzelfall möglich ist, jedoch nicht durch andere Mehrheitserfordernisse für die Beschlussfassung im Stimmrechtskonsortium verhindert werden kann. Der BGH äußerte in der Verhandlung ebenfalls keine grundsätzlichen Zweifel an der Zulässigkeit einfacher Mehrheitsklauseln in Stimmbindungsverträgen. Der Senatsvorsitzende verwies auf die grundsätzliche Anerkennung von Stimmbindungsverträgen und äußerte auch keine wesentlichen Bedenken gegen die in diesen Verträgen regelmäßig vorgesehenen Mehrheitsklauseln. Das vom OLG herangezogene Beispiel des im Stimmrechtskonsortium überproportional repräsentierten Minderheitsgesellschafters, der bei Übertragung der qualifizierten Mehrheitserfordernisse ein – ihm bisher nicht zustehendes – Vetorecht erlangen könnte, griff auch er auf. Als mögliche Grenze der Zulässigkeit solcher Mehrheitsklauseln zog der Senatsvorsitzende eine sogenannte Ausübungskontrolle heran, die er jedoch nicht näher konkretisierte. Gegenstand dieser Ausübungskontrolle wäre nach seiner Auffassung vor allem die Beachtung der gesellschafterlichen Treuepflicht auf Ebene des Stimmrechtskonsortiums. Damit zieht der BGH keine bisher unbekannte Zulässigkeitsgrenze für Stimmbindungsverträge heran. AusblickEs bleibt abzuwarten, ob der BGH diese Ausübungskontrolle in der anstehenden Entscheidung näher konkretisieren wird. Schon jetzt kann festgehalten werden, dass es – weiterhin – den rechtlichen Beratern obliegen wird, Stimmbindungsverträge auch im Hinblick auf die – derzeit schon als Zulässigkeitsgrenze bestehende – gesellschafterliche Treuepflicht auszugestalten. *) Dr. Maximilian Grub ist Partner, Dr. Ulrich Thiem Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle in Stuttgart.