BGH widmet sich Fallstricken des Aktienrechts
Von Andreas Merkner und Marco Sustmann *)—-Fallstricke und Unzulänglichkeiten des deutschen Aktienrechts sind jüngst wieder mit aller Deutlichkeit dadurch zutage getreten, dass sich die Deutsche Bank aufgrund anhängiger Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung 2012 veranlasst sah, einige der gefassten Beschlüsse – darunter auch die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern – auf einer außerordentlichen Hauptversammlung bestätigen zu lassen.Denn in der Tat: Das Aktiengesetz bestimmt zwar, dass ein Wahlbeschluss im Falle einer erfolgreichen Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist, schweigt aber zu der Frage, welche Konsequenzen dies für etwaige Beschlüsse des Aufsichtsrats hat, die bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage – möglicherweise ein Zeitraum von mehreren Jahren – gefasst werden. Die Meinungen gehen daher in dieser Frage auseinander – für die Unternehmenspraxis ein Zustand der Rechtsunsicherheit, den die Deutsche Bank verständlicherweise nicht hinnehmen wollte.In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Februar 2013 (Az. II ZR 56/12) von großem Interesse, in welcher der BGH umfangreiche und beinahe lehrbuchartige Ausführungen zu der oben skizzierten Thematik macht.Dies ist umso bemerkenswerter, als sich der BGH im Hinblick auf die von ihm eigentlich zu entscheidende Frage auch deutlich kürzer hätte fassen können. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass der BGH nicht nur dem Berufungsgericht, an das die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen wurde, konkrete “Segelanweisungen” geben wollte, sondern darüber hinaus – ggf. insbesondere auch im Hinblick auf den prominenten Fall Deutsche Bank – für Rechtssicherheit sorgen wollte.Im Ausgangspunkt hatte der BGH die Frage zu entscheiden, ob das Rechtsschutzbedürfnis für eine erhobene Anfechtungsklage gegen die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds entfällt, wenn das betreffende Aufsichtsratsmitglied später zurücktritt. Diese Frage bejaht der BGH, vorausgesetzt, dass die Nichtigerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben kann. GegenpositionIm Hinblick auf die Auswirkungen auf nachfolgend gefasste Aufsichtsratsbeschlüsse stellt der BGH zunächst allgemein fest, dass die Nichtigerklärung eines Wahlbeschlusses grundsätzlich beachtlich ist, wenn die Beschlussfähigkeit oder das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Stimme eines Aufsichtsratsmitglieds abhängt, dessen Wahl für nichtig erklärt wird. Ein solches Aufsichtsratsmitglied sei für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln.Damit wendet sich der BGH gegen zahlreiche Stimmen, die aus Gründen der Rechtssicherheit für eine umfassende Anwendung der Lehre von der fehlerhaften oder faktischen Organstellung plädieren. Nach dieser Lehre soll ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl angefochten wird, bis zur Rechtskraft des Anfechtungsurteils wie ein wirksam bestelltes Organmitglied zu behandeln sein. Während sich der BGH dieser Lehre für Fragen der Pflichtenstellung, Haftung und Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern anschließt, lehnt er deren Erstreckung auf die Teilnahme an und Stimmabgabe bei Aufsichtsratsbeschlüssen ab. Ein solch weitreichendes Verständnis ist nach Auffassung des BGH nicht mit der gesetzlich im Grundsatz angeordneten Rückwirkung einer erfolgreichen Anfechtung von Wahlbeschlüssen vereinbar. Dies hat zur Folge, dass – wann immer die Stimme eines faktischen, rechtlich aber als Nichtmitglied zu behandelnden Aufsichtsratsmitglieds für die Beschlussfassung ursächlich geworden ist – der in Rede stehende Beschluss nicht zustande gekommen ist bzw. es ggf. sogar zu einer Umkehrung des Beschlussergebnisses kommen kann.Die Brisanz dieser Auffassung zeigt sich insbesondere an dem Beispiel, dass sich die Anfechtungsklage auf die Wahl sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder erstreckt, denn hier müssten im Falle des Erfolgs der Anfechtungsklage sämtliche vom Aufsichtsrat in der Folgezeit gefassten Beschlüsse als rechtlich nicht existent angesehen werden.Interessanterweise hat es der BGH bei diesen allgemeinen Ausführungen aber nicht bewenden lassen, sondern hat im Weiteren noch diverse Fallgruppen diskutiert, bei denen sich die Frage nach den Auswirkungen einer erfolgreichen Anfechtung von Wahlbeschlüssen stellt. Hintergrund hierfür ist, dass das Berufungsgericht infolge der Zurückverweisung nun prüfen muss, ob die Nichtigerklärung der in Rede stehenden Aufsichtsratswahl noch Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben kann.Dem Berufungsgericht gibt der BGH dann seine rechtliche Einschätzung zu den in Betracht kommenden Rechtsbeziehungen weitestgehend vor. Ebendarin liegt die enorme Bedeutung, die das Urteil für die Unternehmenspraxis haben wird. Zwei der vom BGH diskutierten Aspekte seien hier herausgegriffen.Als für den Rechtsverkehr absolut zentraler Gesichtspunkt stellt sich natürlich die Frage nach den Auswirkungen auf die Bestellung des Vorstands. Der BGH führt hier aus, dass die von ihm eingenommene Position zu interessengerechten Ergebnissen führe, denn der Vorstand sei hinsichtlich seiner Vergütung und der Befugnis zur Geschäftsführung seinerseits durch die Grundsätze über die fehlerhafte Bestellung geschützt. Der später rechtmäßig zusammengesetzte Aufsichtsrat könne daher die fehlerhafte Bestellung bestätigen oder aber mit sofortiger Wirkung beenden, ohne dass es hierfür eines wichtigen Grundes bedürfe.Von erheblichem Interesse ist auch, ob Hauptversammlungsbeschlüsse ihrerseits anfechtbar sind, wenn ihnen Beschlussvorschläge zugrunde liegen, die der Aufsichtsrat unter ursächlicher Mitwirkung eines Aufsichtsratsmitglieds, dessen Wahl später erfolgreich angefochten wird, der Hauptversammlung unterbreitet hat.Im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung führt der BGH hier aus, dass mit einem Beschlussvorschlag eines nicht ordnungsgemäß besetzten Organs grundsätzlich ein Bekanntmachungsmangel vorliege, der aufgrund seiner Relevanz zur Anfechtung führen könne. Angesichts der vorangegangenen Ausführungen ist die vom BGH sodann gezogene Schlussfolgerung allerdings überraschend. Da der Wahlbeschluss bis zur Nichtigerklärung nämlich wirksam sei und erst rückwirkend unwirksam werde, habe der Aufsichtsrat zu dem fraglichen Zeitpunkt überhaupt keinen Beschlussvorschlag in anderer “richtiger” Besetzung machen können.Augenscheinlich bewegt sich der BGH damit dann doch wieder stark auf die zuvor abgelehnte umfängliche Geltung der Lehre von dem fehlerhaften Organmitglied zu, um eine Infizierung später gefasster Hauptversammlungsbeschlüsse zu verhindern. Denn völlig zu Recht betont der BGH, dass die Anerkennung der Rückwirkung der Anfechtung hier dem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zuwiderlaufe, eine Hauptversammlung einzuberufen und dort wirksam Beschlüsse fassen zu können.Mit der gleichen Argumentation gelangt der BGH zu dem Ergebnis, dass die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen nicht darauf gestützt werden kann, dass die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden, dem in den allermeisten Fällen kraft Satzung die Versammlungsleitung zukommt, im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens rückwirkend für nichtig erklärt wird. Fragen bleibenFazit: Während die Ausführungen des BGH im Hinblick auf spätere Hauptversammlungsbeschlüsse erkennbar von dem Willen getragen sind, die Auswirkungen für nichtig erklärter Wahlbeschlüsse zu begrenzen und insofern für Rechtssicherheit zu sorgen, hat er einen solch großen Schritt bei der Beurteilung von Aufsichtsratsbeschlüssen nicht getan. Hier wird die Praxis unverändert prüfen müssen, ob die Mitwirkung des rückwirkend als Nichtmitglied zu behandelnden Mandatsträgers für die Beschlussfassung im Aufsichtsrat ursächlich geworden ist.—-*) Dr. Andreas Merkner und Dr. Marco Sustmann sind Rechtsanwälte und Partner in der Sozietät Glade Michel Wirtz in Düsseldorf.