Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Joachim Englisch

"BMF-Anweisung ist Aufforderung zu gesetzwidrigem Handeln"

Neuregelung des Kapitalertragsteuer-Abzugs von Dividenden 2011 problematisch

"BMF-Anweisung ist Aufforderung zu gesetzwidrigem Handeln"

– Herr Prof. Englisch, wie bewerten Sie die geplante gesetzliche Neuregelung des Kapitalertragsteuer-Abzugs von Dividenden?Die beabsichtigte Neuregelung von 2012 an ist aus steuerjuristischer Warte sinnvoll und gut nachvollziehbar. Problematisch ist aber die Übergangsregelung für 2011. Danach können die besonders im Fokus des Bundesfinanzministeriums (BMF) stehenden Investmentvermögen eine Erstattung abweichend von der bisherigen Rechtslage nur noch erhalten, wenn sie im Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses zivilrechtliche Eigentümer der ausschüttungsberechtigten Aktien sind.- Darin liegt eine Abweichung von der allgemeinen Regel?Ja, denn dieser zufolge ist stets schon derjenige anrechnungs- und erstattungsberechtigt, der am Dividenden stichtag zumindest bereits “wirtschaftliches Eigentum” erworben hat.- Was sind die Folgen der Übergangsregelung?Bislang berechtigten Börsentrades kurz vor dem Stichtag – Erwerb cum Dividende, Lieferung ex Dividende, aber mit Dividendenkompensationszahlung – ohne weiteres zur Kapitalertragsteuer-Erstattung, weil schon mit Abschluss des Geschäfts am Handelstag das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien auf den Erwerber übergeht. Für Investmentvermögen droht hier eine Steuerfalle – und für ihre Verwalter eine Haftungsfalle: Das zivilrechtliche Eigentum wird nämlich erst mit der Lieferung erworben, sodass bei “Cum/Ex-Trades” die Depotbank künftig keine KapErtSt-Erstattung mehr gewähren darf. Das gilt auch dann, wenn die Aktien unter Berücksichtigung der regulären Lieferzeit – je nach Börse zwei bis vier Handelstage – an sich rechtzeitig vor dem Stichtag gekauft wurden, aber aus vom Investmentvermögen nicht zu vertretenden Gründen verspätet ins Depot geliefert werden.- Was bedeutet das für Investmentvermögen?Sie sind de facto damit in den Tagen vor der jeweiligen Hauptverhandlung vom Aktienhandel ausgeschlossen, mit unabsehbaren Folgen für die Preisbildung. Ob die Übergangsregelung im Lichte dieser ganz erheblichen Kollateralschäden noch verhältnismäßig ist, muss bezweifelt werden.- Sehen Sie auch die Finanzverwaltung in der Kritik?Die Vorgehensweise der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit der geplanten Übergangsregelung halte ich in der Tat für rechtsstaatlich inakzeptabel. Das BMF hat die Übergangsregelung in die OGAW-IV-Gesetzesinitiative hineingeschrieben, wohl wissend, dass die Neuregelung dann erst weit nach der Eröffnung der Dividendensaison 2011 Gesetz werden würde. Um dennoch schon von Jahresbeginn an gegen Cum-Ex-Trades vorgehen zu können, hat die Finanzverwaltung zum Ende 2010 ohne gesetzliche Grundlage das Vorziehen der Übergangsregelung angeordnet.- Was heißt das?Durch Verwaltungserlass werden die Depotbanken darauf “hingewiesen”, dass vom 1. Januar 2011 an bei Cum/Ex-Trades von Investmentvermögen keine KapErtSt-Erstattung mehr vorzunehmen ist. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihnen die Inhaftungnahme angedroht.- Womit wird das begründet?Mit Bezugnahme auf die anstehende gesetzliche Neuregelung, die nach dem Gesetzesentwurf rückwirkend zum Jahresbeginn in Kraft treten soll. Die Finanzverwaltung gibt also vor, nur die gesetzliche Rückwirkung zu antizipieren. Dagegen aber bestehen rechtsstaatliche Einwände: Es ist höchst fraglich, ob der Gesetzgeber selbst die betreffende Regelung mit einer Rückwirkung versehen darf, die eine gesetzliche Verpflichtung der Depotbank nachträglich in ihr Gegenteil verkehrt.- Und was gilt jetzt?Dessen ungeachtet bleibt die bisherige Rechtslage jedenfalls so lange maßgeblich, bis die Neuregelung durch Verkündung des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes wirksam wird. Bis dahin haben die Investmentvermögen also einen gesetzlich verankerten Anspruch auf KapErtSt-Erstattung gegenüber der Depotbank. Die Anweisung des BMF ist damit nichts anderes als eine Aufforderung zu gesetzwidrigem Handeln. Das lässt sich auch nicht unter Bezugnahme auf künftiges Gesetzesrecht legitimieren. Denn dessen Inkrafttreten darf im gewaltenteiligen demokratischen Rechtsstaat von der Verwaltung nicht unterstellt werden.—-Prof. Dr. Joachim Englisch, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht Universität Münster. Die Fragen stellte Walther Becker.