Recht und Kapitalmarkt

Börsenkurs sollte für Barabfindungen entscheidend sein

Am Marktwert orientierte Entschädigung von Minderheiten würde Transaktionssicherheit schaffen und Anreize für Klagen beseitigen

Börsenkurs sollte für Barabfindungen entscheidend sein

Von Christian E. Decher *) Deutschland ist kein gutes Pflaster, wenn es darum geht, einfach und mit hoher Transaktionssicherheit Unternehmenszusammenschlüsse durch Aktientausch herbeizuführen oder im Anschluss an eine Übernahme wesentliche Strukturmaßnahmen (z. B. einen Beherrschungsvertrag oder Squeeze-out) durchzusetzen. Ein wesentlicher Grund ist, dass der Schutz von Minderheitsaktionären hierzulande traditionell auf eine Blockade der entsprechenden Maßnahmen in Form von Anfechtungsklagen ausgerichtet ist.Im Ausland hingegen werden Minderheitsaktionäre eher durch eine ggf. auch schadenersatzbewehrte Kontrolle der Unternehmensorgane geschützt. Die Nachteile des deutschen Schutzsystems erkannte auch der Gesetzgeber. Schrittweise wurde die Verantwortung der Unternehmensorgane gestärkt und im Gegenzug die Blockademöglichkeit seitens der Aktionäre eingeschränkt. Es wurde ein Eilverfahren zur Überwindung der mit Anfechtungsklagen verbundenen Blockade eingeführt, und Bewertungsrügen im Zusammenhang mit Strukturmaßnahmen wurden vielfach in ein gerichtliches Spruchverfahren zur Bewertungsüberprüfung verwiesen, welches erst nach Wirksamkeit der Maßnahme eingeleitet werden kann. In der Praxis erweisen sich diese Maßnahmen jedoch noch als unzureichend. ReformbestrebungenDer Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) machte deshalb kürzlich den Vorschlag, die Anwendbarkeit des Spruchverfahrens auf alle Fälle eines Unternehmenszusammenschlusses durch Aktientausch (Verschmelzungen, Kapitalerhöhungen) auszuweiten. Das Bundesjustizministerium denkt laut über weitere Reformmaßnahmen nach. Denn allzu oft werden wichtige Hauptversammlungsbeschlüsse durch Aktionäre blockiert, obwohl sie nur eine verschwindend geringe Beteiligung halten. Deshalb wird die Forderung erhoben, die Erhebung von Anfechtungsklagen an ein Mindestquorum zu knüpfen. Diesen Reformbestrebungen wird von Minderheitsaktionären entgegengehalten, Anfechtungsklagen seien notwendig, um eine Übervorteilung der Minderheitsaktionäre durch Großaktionäre zu vermeiden. Die Verfahren endeten häufig in Vergleichen, welche eine Erhöhung der Barabfindung vorsähen. Dies liege im Interesse aller Kleinaktionäre. Unstrittig ist daran zunächst, dass das Spruchverfahren keine befriedigende Alternative zur Anfechtungsklage darstellt. Solch ein Verfahren kann über zehn Jahre dauern, woran auch das neue Spruchverfahrensgesetz nichts Wesentliches ändern wird. Richtig ist ferner, dass viele Anfechtungs- und Spruchverfahren mit einem Vergleich enden. Ein wesentlicher Grund für diese beiden Befunde ist in der Reformdiskussion bislang zu kurz gekommen. Bei der Ermittlung eines angemessenen Umtauschverhältnisses oder einer angemessenen Barabfindung wird in Deutschland – anders als im Ausland – traditionell auf den inneren Unternehmenswert abgestellt. Dieser wird mit Hilfe von Wirtschaftsprüfern auf der Grundlage der sogenannten Ertragswertmethode ermittelt. Vereinfacht gesagt werden bei der Ertragswertmethode die für die Zukunft prognostizierten Ertragsströme auf den Zeitpunkt der Hauptversammlung diskontiert, welche über die Maßnahme entscheidet. Bei der Ermittlung des Diskontierungszinssatzes wird aufgrund neuerer Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung eine kapitalmarktgestützte Betrachtung herangezogen. Bei dieser bestehen jedoch eine Vielzahl strittiger Punkte, etwa die sachgerechte Ermittlung eines Basiszinssatzes, eines Risikozuschlages oder eines Wachstumsabschlages. Noch größer ist naturgemäß die Unsicherheit der Unternehmensplanung. Selbst bei Beachtung ordnungsgemäßer Bewertungsgrundsätze vermag die Ertragswertmethode Wertdivergenzen von über 100 % zu rechtfertigen. Aufgrund dieser Unsicherheiten sehen sich Gerichte regelmäßig außer Stande, die Unternehmensbewertung aus eigener Anschauung zu beurteilen. Stattdessen kommt es regelmäßig nach Bestellung eines Sachverständigen zu einem langwierigen Streit mit ungewissem Ausgang, wobei das Unternehmen typischerweise unabhängig vom Verfahrensausgang die Kosten auferlegt bekommt. Deshalb finden sich Unternehmen oftmals bereit, ein Verfahren gegen Erhöhung der Barabfindung vergleichsweise zu erledigen.Im Ausland sind diese Probleme weitgehend unbekannt. Dort steht neben der bereits angesprochenen stärkeren Kontrolle der Unternehmensorgane für die Ermittlung einer angemessenen Barabfindung bzw. eines Umtauschverhältnisses ein einfacher Parameter zur Verfügung: der Börsenkurs. In Deutschland hat man die Beachtlichkeit des Börsenkurses für die Unternehmensbewertung jahrzehntelang geleugnet. Es bedurfte schon einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1999, wonach der Börsenkurs bei der Ermittlung einer angemessenen Barabfindung oder Garantiedividende regelmäßig nicht unterschritten werden darf. Keine Bedenken hatte das Bundesverfassungsgericht naturgemäß dagegen, dass zusätzlich auch die traditionell angewendete Ertragswertmethode berücksichtigt werden kann, sofern sie zu einem höheren Wert führt. Dementsprechend ist es in der Praxis zu einer zweigleisigen Vorgehensweise gekommen: Es wurde nach wie vor der Unternehmenswert gemäß der Ertragswertmethode ermittelt und alsdann dieser Wert mit dem Börsenwert verglichen.Verfassungsrechtlich besteht für dieses Nebeneinander aber keinerlei Anlass. Der Börsenwert bildet bei börsennotierten Gesellschaften den Marktwert des Unternehmens ab. Er ist damit auch geeignet, den Maßstab für die Festlegung einer fairen Abfindung oder eines angemessenen Umtauschverhältnisses festzulegen. Der Gesetzgeber hat diese Erkenntnis bereits zutreffend auf den Punkt gebracht: “Auf einem funktionierenden Kapitalmarkt liefert der Markt die richtige Unternehmensbewertung” (Bundestagsdrucksache 13/9712). Zur Ermittlung eines angemessenen Angebotspreises bei öffentlichen Übernahmen wird dementsprechend grundsätzlich nur auf den Börsenkurs abgestellt. Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen (insbesondere bei einer extremen Marktenge oder einer Marktmanipulation) wird eine anderweitige Wertermittlung zugelassen. Was für das Übernahmerecht gilt, sollte auch für alle aktien- und umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen maßgeblich sein.Nachdem man Jahrzehnte dafür brauchte, den Börsenkurs überhaupt als einen tauglichen Parameter für den Wert eines Unternehmens in Deutschland anzuerkennen, erscheint es an der Zeit, die Ertragswertmethode bei der Ermittlung von Barabfindung bzw. Umtauschverhältnis über Bord zu werfen. Dem Finanzplatz Deutschland wäre damit gedient, weil Investoren von vornherein eine größere Planungssicherheit hätten. Sie wären dann auch in größerem Maße wieder geneigt, Beherrschungsverträge mit gerade übernommenen Unternehmen abzuschließen und damit die Konzernleitung, auch im Interesse der Minderheitsaktionäre, auf eine gesicherte Grundlage zu stellen. Die schlagzeilenträchtigen Auseinandersetzungen um solche Unternehmensverträge und ihre Bewertung wie bei Wella/Procter & Gamble oder Celanese/Blackstone würden der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig wären auf einen Schlag fast alle Probleme des Spruchverfahrens beseitigt. Die verbliebenen Fragen zum Börsenkurs – etwa welcher Zeitraum für seine Ermittlung maßgeblich ist – können von den Gerichten in kurzer Zeit entschieden werden. Und schließlich und nicht zuletzt würde sich die Aufgabe der Ertragswertmethode auch dämpfend auf die Erhebung von Anfechtungs-klagen auswirken. Die Motivation, eine angemessene Barabfindung für die Kleinaktionäre herauszuholen, lässt sich dann jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten, weil über die Angemessenheit der Barabfindung kaum mehr Streit bestehen kann. Und für die Unternehmen gibt es dann auch keine Rechtfertigung mehr, vergleichsweise die Barabfindung zu erhöhen, weil keine langwierigen, teuren und unsicheren Spruchverfahren mehr drohen. Gesetzgeber gefragtDer fällige Abschied von der Ertragswertmethode für börsennotierte Unternehmen bedarf jedoch der Hilfe des Gesetzgebers. Investoren werden sich scheuen, beim Abschluss eines Verschmelzungsvertrages oder eines Beherrschungsvertrages – entgegen der bislang verbreiteten Praxis – auf die Ertragswertmethode zu verzichten, da ihnen eine Blockade der Maßnahme durch Anfechtungsklagen droht. *) Dr. Christian E. Decher ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt/Main.