Recht und Kapitalmarkt

Braucht Europa weitere Gesellschaftsform?

Europäische Privatgesellschaft soll Alternative nicht nur für den Mittelstand werden

Braucht Europa weitere Gesellschaftsform?

Von Stephan Morsch *) Im September hat das Europäische Parlament den “Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen an die Kommission zum Statut der Europäischen Privatgesellschaft” vorgelegt. Die EPG könnte als gemeinsame Gesellschaftsform für kleine und mittlere Unternehmen dienen, aber auch als Baustein in den Strukturen großer Konzerne. Die Initiative gewinnt an Fahrt in einer Zeit, da innerhalb der EU immer mehr Rechtsformen grenzüberschreitend zum Einsatz kommen. Der Erfolg der EPG wird maßgeblich davon abhängen, wie einheitlich ihr Regelungswerk ausgestaltet werden kann. Zahlreiche StudienBereits 1973 hatte die Pariser Industrie- und Handelskammer den Vorschlag für eine europäische Gesellschaftsform nach Art der GmbH vorgestellt, der jedoch nur recht eingeschränkte Aufmerksamkeit fand. Gleichwohl geriet die Idee nicht in Vergessenheit: 1997 legte wiederum die Pariser Industrie- und Handelskammer den gemeinsam mit europäischen Rechtswissenschaftlern erarbeiteten Entwurf einer Verordnung über die EPG vor. Er war in den Folgejahren Gegenstand zahlreicher Studien und Stellungnahmen, ehe das Europäische Parlament die politische Initiative ergriff und nach einer positiven öffentlichen Anhörung jetzt den Berichtsentwurf vorlegte. Der endgültige Bericht soll nach abschließender Behandlung im Rechtsausschuss Anfang 2007 vom Europäischen Parlament als “legislativer Initiativbericht” verabschiedet werden und die Europäische Kommission zum Handeln zwingen. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf ihre EU-Ratspräsidentschaft bereits Unterstützung für die EPG angekündigt.Die EPG soll nach dem Willen ihrer Befürworter eine in allen EU-Mitgliedstaaten geltende Gesellschaftsform bilden, die in erster Linie den Bedürfnissen der kleinen und mittleren Unternehmen in Europa gerecht werden soll. Insoweit ergibt sich eine klare Abgrenzung der EPG zu der bereits existierenden Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE), die primär auf große, europaweit tätige Unternehmen zugeschnitten ist. Die enorme Verbreitung der GmbH (und der vergleichbaren Gesellschaftsformen in anderen Mitgliedstaaten) bei großen Unternehmen wird jedoch als ein Argument dafür angeführt, dass die EPG auch als Baustein in den Strukturen großer Konzerne ihren Platz finden könnte.Das im Berichtsentwurf lediglich skizzierte Regelungswerk der EPG weist recht deutliche Parallelen zur GmbH auf: So soll die EPG durch eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen gegründet werden können, Rechtspersönlichkeit besitzen und ihren Gläubigern grundsätzlich nur mit dem Gesellschaftsvermögen haften. Als Mindestkapital sieht der Berichtsentwurf 10 000 Euro vor. Für Vertriebstöchter Vergleichsweise ausführlich befasst sich der Entwurf mit der Geschäftsführerhaftung, die im Fall von Pflichtverstößen und unrechtmäßigen Vermögensminderungen (einschließlich Ausschüttungen) greifen soll. Hinsichtlich der Organisationsstruktur lehnt sich der Entwurf an die SE an und schlägt eine monistische oder dualistische Struktur vor. Bemerkenswert ist der Vorschlag, der EPG-Verordnung Anhänge mit Mustersatzungen beizufügen, an denen sich die Gesellschafter orientieren können (aber nicht müssen).Die Befürworter der EPG erhoffen sich von ihrer Verwirklichung erhebliche Erleichterungen für die grenzüberschreitende Tätigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen und daraus resultierende wirtschaftliche Wachstumsimpulse. Als Anwendungsfall werden zum Beispiel häufig die ausländischen Vertriebstochtergesellschaften eines in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens genannt – sie könnten nach dem Willen des Europäischen Parlaments jeweils in der Rechtsform der EPG und damit in den anderen Mitgliedstaaten “idealerweise” nach denselben Regeln gegründet und geleitet werden. Auslegung entscheidendDer praktische Nutzen und damit der Erfolg der EPG werden in der Tat maßgeblich davon abhängen, ob das Regelungswerk einheitlich ausgestaltet werden kann. Als Negativbeispiel nennt der Berichtsentwurf des Parlaments mit überraschender Deutlichkeit ausgerechnet den regulatorischen Rahmen für die SE, der aufgrund seiner vielen Verweise in das nationale Recht “Stückwerk” geblieben sei. Der EPG-Gesetzgeber wird sich jedoch starkem Gegenwind aus den Mitgliedstaaten ausgesetzt sehen. Sie haben in der Vergangenheit wenig Neigung zur Aufgabe ihrer nationalen Gesellschaftsrechte gezeigt. Die Orientierung der EPG an den Bedürfnissen kleiner und mittlerer Unternehmen mag zwar dazu führen, dass hier den politisch besonders heiklen Themen wie dem Anlegerschutz keine oder der Mitbestimmung (wegen der typischerweise geringeren Mitarbeiterzahl) nur eine geringe Bedeutung zukommt. Dennoch gibt es Konfliktpotenzial; das verdeutlichen der häufig titulierte “Siegeszug” der mit einem Mindestkapital von 1 Pfund ausgestatteten englischen Limited in Deutschland einerseits und die im Rahmen der Diskussion über die deutsche GmbH-Reform mit großem Ernst geführte Auseinandersetzung über die künftige Mindesthöhe des Stammkapitals andererseits (derzeit geplant sind 10 000 Euro). Praktisches Bedürfnis?Immer wieder wird das praktische Bedürfnis nach einer EPG hinterfragt. Dabei stützen sich die Skeptiker insbesondere auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes zur Niederlassungsfreiheit, die für Gesellschaften mit nationaler Rechtsform größere Mobilität innerhalb Europas geschaffen haben. So ist es z. B. möglich, verschiedene Gesellschaften in England in der Rechtsform der Limited zu gründen und den tatsächlichen Geschäftssitz der Gesellschaften in verschiedene Mitgliedstaaten außerhalb des Gründungsstaates zu verlegen, ohne dass dadurch die (englische) Rechtsform der Gesellschaften berührt wird. Im Ergebnis kann bereits jetzt ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen seine Tochtergesellschaften in den anderen Mitgliedstaaten jeweils in der Rechtsform der Limited betreiben – die als großer Vorteil der EPG gepriesene Einheitlichkeit der für die Unternehmensverfassung maßgeblichen Regelungen ist jedenfalls teilweise bereits Wirklichkeit. Allerdings sind die ausländischen Gesellschaftsformen in der Regel überhaupt nicht in das Recht des Aufnahmestaates integriert. Daraus resultiert für das Mutterunternehmen, das in verschiedenen Mitgliedstaaten mit Tochtergesellschaften einer einzigen nationalen Rechtsform operiert, ein erheblicher Grad an Rechtsunsicherheit, wenn es etwa um die Frage der Anwendbarkeit der nationalen Insolvenz- oder Arbeitsrechte geht. Hier bietet eine supranationale Rechtsform wie die EPG klare Vorteile, da sie in die Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten integriert werden dürfte. Ein künftiges EPG-Statut soll nach dem Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments möglichst den Charakter einer Vollregelung haben und auf Verweise ins nationale Recht verzichten. Dennoch werden in zahlreichen wichtigen Bereichen wie dem Insolvenz- oder Arbeitsrecht nationale Rechtsvorschriften weiterhin Anwendung finden. Bemerkenswert ist, dass alle bislang existierenden Entwürfe von EPG-Verordnungen aus der Hand von Wissenschaftlern und Lobbyisten stammen und damit rein privater Natur sind. Die sonst um gesetzgeberische Initiativen nicht verlegene Kommission zeigt sich hingegen auffallend reserviert und überlässt das Feld dem Europäischen Parlament. Dahinter steht augenscheinlich die Sorge, dass sich bei der Schaffung der EPG ähnliche Schwierigkeiten ergeben könnten wie bei der SE. Deren Verwirklichung gingen mehr als 30 Jahre zäher Verhandlungen voran, und sie ist aufgrund der zahlreichen nationalen Besonderheiten nicht unbedingt Vorbild für eine einheitliche Gesellschaftsform. Auch darum stellt die EPG einen großen Testfall für die Kompromiss- und Reformfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten dar. Sie kann erfolgreich sein, wenn es tatsächlich gelingt, ihren Rechtsrahmen einheitlich zu gestalten und zügig umzusetzen. Weitere 30 Jahre bis zur Schaffung der nächsten europäischen Gesellschaftsform können sich die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen jedenfalls nicht leisten.*) Dr. Stephan Morsch ist Partner im Münchner Büro von Linklaters.