RECHT UND KAPITALMARKT

Brexit-Wirbel in der Finanzmarktregulierung

Steuerbegleitgesetz der Bundesregierung soll Standort schützen - Kein Ersatz für EU-Pass in Sicht

Brexit-Wirbel in der Finanzmarktregulierung

Von Bernd Geier und Michael Magotsch *)Die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs endet nach aktuellem Stand mit Ablauf des 29. März 2019. Wenige Wochen vor dem Termin steigt die Gefahr eines “Hard Brexit” – eines Austritts ohne das über zwei Jahre verhandelte Abkommen. Um den harten Bruch abzufedern, hat die Bundesregierung im Brexit-Steuerbegleitgesetz (Brexit-StBG) ein Maßnahmenpaket geschnürt, das am 21. Februar vom Bundestag verabschiedet wurde. Das Gesetz soll vor allem den deutschen Finanzsektor vor den größten Risiken des Brexit schützen. Gleichzeitig will man den Standort Deutschland für Unternehmen, die Großbritannien den Rücken kehren, attraktiver machen.Zwar kann die britische Regierung vor dem 29. März 2019 den Brexit noch einseitig abwenden. Der Europäische Gerichtshof hatte Anfang Dezember 2018 entschieden, dass das Vereinigte Königreich nicht an den gestellten Austrittsantrag nach Art. 50 AEUV gebunden ist (Az.: C-621/18). Die Rücknahme des Antrags scheint innenpolitisch jedoch aktuell (noch) keine Option zu sein. Alle anderen Optionen – mit Ausnahme des Hard Brexit – sind nur im Verhandlungswege mit den verbleibenden EU-Mitgliedern (EU-27-Staaten) zu erreichen.Verlässt das Vereinigte Königreich die EU ohne Abkommen, wird es zum sogenannten Drittstaat. In der Finanzmarktregulierung ist der Drittstaatenzugang, also der Zugang von Unternehmen außerhalb der EU, nur fragmentarisch durch europäisches Recht bestimmt. Ein Hard Brexit eröffnet den EU-27-Staaten daher individuelle Gestaltungsspielräume. Diese werden durch das Brexit-StBG nun zum Schutz des Finanzstandorts Deutschland genutzt.Der EU-Gesetzgeber erkannte vor Monaten bereits das politische Potenzial erweiterter Drittstaatenregeln. So wurden zahlreiche Gesetzesinitiativen gestartet, so beispielsweise Verordnungen zur Anerkennung der Aufsicht zentraler Gegenparteien (CCP) über den Zugang von Wertpapierfirmen aus Drittstaaten. Diese umfassenden Initiativen werden jedoch bis zum aktuellen Austrittstermin nicht mehr rechtzeitig ihre Wirkungen entfalten. Punktuelle MaßnahmenDer aktuelle Schwerpunkt liegt daher nun auf punktuellen Maßnahmen zur Vermeidung schwerwiegender Nachteile für die EU-27-Staaten. Dies wird unter anderem dadurch gewährleistet, dass EU-27-Institute weiterhin Zugang zu englischen CCPs und CSDs erlangen sollen. Zudem soll die Übertragung von Derivaten aus Großbritannien in die EU-27-Staaten privilegiert werden.Insgesamt scheint die neue politische Strategie der EU – anders als noch letztes Jahr verlautbart – auf die partielle Nutzung des Äquivalenzregimes herauszulaufen, jedoch nur, sofern dies aus Sicht der EU-27-Staaten für deren Finanzmarktteilnehmer vorteilhaft ist. In diese Kerbe schlug die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zuletzt auch am 7. März 2019 mit ihrer Stellungnahme zur Mifid II – ein deutliches Zeichen für eine Trennung der Finanzmärkte.Der deutsche Gesetzgeber baut darauf auf und schafft mit dem Brexit-StBG einseitig Vorteile für deutsche Marktteilnehmer. So werden die Regeln der Anlageverordnung und zum Deckungsstock mit dem Ziel angepasst, britische Vermögenswerte im Sicherungsvermögen bzw. Deckungsstock weiterhin halten zu dürfen. Englische Handelsteilnehmer und deutsche Handelsplätze werden durch Einführung einer neuen Übergangsvorschrift für Freistellungsanträge geschützt. Die BaFin kann für eine Übergangszeit anordnen, dass UK-Handelsplätze weiterhin als Handelsplätze im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes gelten – eine Regelung, die in ihren Wirkungen vor allem in der Schweiz Erinnerungen wecken dürfte. Dort drohte die EU, Schweizer Börsen nicht (mehr) als gleichwertig anzuerkennen, mit der Folge, dass Liquidität aus Schweizer Aktien in die EU abzuwandern begann. Die Schweiz reagierte darauf mit dem Erlass einer Notverordnung, und die EU verlängerte die von ihr gesetzte Frist.Sehr restriktiv wird künftig in Deutschland der künftige Zugang von Banken, Wertpapierfirmen und Zahlungsdienstleistern aus Großbritannien gehandhabt. Das Vereinigte Königreich hält dagegen seine Tore für Finanzmarktteilnehmer aus den EU-27-Staaten im Rahmen des Brexit zur Freude deutscher Marktteilnehmer geöffnet. Zumindest für eine Übergangszeit wird den EU-27-Staaten faktisch ein dem EU-Pass vergleichbarer Zugang gewährt (mit wenigen Anpassungen, unter anderem für UK-Zweigniederlassungen).Deutschland schlägt einen anderen Weg ein: So ermächtigt das Brexit-StBG die BaFin zwar durch Allgemeinverfügung für bis zu 21 Monate, UK-Instituten die Fortführung des Bestandsgeschäfts mit deutschen Kunden zu ermöglichen. Die Verfügung darf jedoch nur Bestandsgeschäfte “zur Vermeidung von Nachteilen für die Funktionsfähigkeit oder die Stabilität der Finanzmärkte” erfassen. Neugeschäfte sind nur zulässig, wenn sie “in engem Zusammenhang mit zum Zeitpunkt des Austritts bestehenden Verträgen” stehen. Der Bericht des Finanzausschusses des Bundestags stellt zudem klar, dass die Regelung lediglich der “Fortführung des Bestandsgeschäfts” dienen soll – anders als entsprechende, in Großbritannien getroffene Maßnahmen.Die Regelung ist Teil eines Maßnahmenpakets, das mehr oder weniger deutlich den Umzug von Marktteilnehmern nach Deutschland (bzw. in die EU-27-Staaten) schmackhaft machen soll. Dabei geht es auch darum, zumindest langfristig Arbeitsplätze gerade in den EU-27-Staaten zu schaffen. So stellte die ESMA jüngst klar, dass EU-27-Institute aus UK-Zweigniederlassungen grundsätzlich nur dann Dienstleistungen zurück in die EU-27-Staaten erbringen dürfen (sogenannter “reverse Pass”), wenn dafür rechtfertigende Gründe vorliegen. Gleichzeitig soll die BaFin die Bearbeitung von Freistellungsanträgen für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen aus Drittstaaten nach Deutschland wegen des Brexit suspendiert haben. Bereits 2018 schränkte die ESMA die Voraussetzungen ein, unter denen Institute auf Anfrage von EU-Kunden Wertpapierdienstleistungen grenzüberschreitend unreguliert erbringen dürfen.Der Gesetzgeber nutzt das Brexit-StBG auch, um Standortnachteile zu beseitigen. Dies gilt insbesondere für den im Verhältnis zu Großbritannien sehr viel strengeren deutschen Kündigungsschutz. Die geplante Neuregelung stellt Risikoträger in bedeutenden Instituten den “leitenden Angestellten” im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes gleich. Risikoträgern ab einem Jahresbruttofixum von derzeit 241 000 Euro (West) kann dann ohne soziale Rechtfertigung und Begründung gekündigt werden. An die Stelle des Kündigungsschutzes und etwaiger Wiedereinstellung rückt ein Abfindungsanspruch von maximal 18 Monatsgehältern.Die Neuregelung gilt für Alt- und Neuverträge bei Kündigungen ab dem 29.11.2019, bei einem Brexit zum 29.3.2019. Offen bleibt, ob die Regelung mit dem im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist, denn sie erfasst nur bedeutende Banken. Mitarbeiter innerhalb der Institute werden zudem unterschiedlich behandelt. Rechts- und Personalabteilungen sind bis dahin gefordert, nicht nur die Auswirkungen des Brexit nebst begleitender Gesetzgebung, sondern auch den geänderten Kündigungsschutz im Auge zu behalten. Für Ausstieg gerüstetInsgesamt betrachtet hat die Bundesregierung sehr spät, aber dafür umso weitreichender auf den drohenden Hard Brexit reagiert. Das Brexit-StBG bleibt aber eine primär den deutschen Markt schützende Maßnahme, die nur punktuell wirkt. Standortvorteile werden erreicht und grobe Schäden für die deutsche Wirtschaft vermieden. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesrat dem Gesetz in der kommenden Woche zustimmen wird. Es wird aber sicherlich nicht die letzte Anstrengung bleiben, um die gravierenden Folgen eines Hard Brexit für Deutschland abzufedern.—-*) Bernd Geier ist Partner, Michael Magotsch Of Counsel von Bryan Cave Leighton Paisner in Frankfurt.