Recht und Kapitalmarkt

Brüssel rüttelt am deutschen Steuerrecht

Körperschaftsteuerliches Sanierungsprivileg auf dem Prüfstand - Bei Negativentscheidung kann Verlustabzug rückwirkend entfallen

Brüssel rüttelt am deutschen Steuerrecht

Von Von Ulrich Soltész und Christian von Köckritz*)Die Europäische Kommission hat Ende Februar ein beihilferechtliches Prüfverfahren gegen Deutschland wegen des “Sanierungsprivilegs” eröffnet. Die Regelung im Körperschaftsteuergesetz (§ 8 c Abs. 1 a KStG) ermöglicht bei bestimmten Transaktionen zur Sanierung notleidender Unternehmen die unbeschränkte steuerliche Nutzung von Verlusten des Zielunternehmens. Nach Ansicht der Kommission werden sanierungsbedürftige Unternehmen hierdurch übervorteilt. Die Kommission hält das Sanierungsprivileg daher für eine unzulässige Beihilfe.Das Warnsignal aus Brüssel sollte potenzielle Erwerber sanierungsbedürftiger Unternehmen aufhorchen lassen. Denn bei einer Negativentscheidung der Kommission könnte die Verlustabzugsmöglichkeit rückwirkend entfallen. Beihilfen, die gegen EU-Recht verstoßen, sind nichtig und zurückzufordern. Eine Berufung der Unternehmen auf Vertrauensschutz ist dabei nach der Rechtsprechung grundsätzlich ausgeschlossen. Eine verbindliche Auskunft der Finanzbehörden hilft hier also nichts; das EU-Beihilferecht geht insoweit vor. Eine Negativentscheidung könnte für einige Transaktionen somit den nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage bedeuten. Unscharfe KriterienOb die Kommission das Sanierungsprivileg nach Abschluss des Prüfverfahrens tatsächlich als rechtswidrige Beihilfe einordnet, ist allerdings derzeit nicht absehbar. Grund für diese Unsicherheit sind die überaus unscharfen Kriterien für die Beantwortung der Frage, wann eine steuerliche Vergünstigung eine Beihilfe darstellt.Nach der Rechtsprechung begründet eine selektive steuerliche Vergünstigung bestimmter Unternehmen gegenüber anderen, die sich in vergleichbarer Situation befinden, einen Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Beihilfe. Mit anderen Worten stellt jede steuerliche Ausnahmeregelung, die bestimmte Unternehmen begünstigt, prima facie eine Beihilfe dar. Der betroffene Mitgliedstaat kann diesen Verdacht ausräumen, wenn er nachweist, dass die steuerliche Begünstigung durch die “innere Logik des Steuerrechts” gerechtfertigt ist. Diese Formel ist an Unbestimmtheit kaum zu überbieten, was der Kommission erhebliche Beurteilungsspielräume bietet. Der Ausgang von Beihilfeverfahren über nationale Steuervergünstigungen ist daher kaum zu prognostizieren. Schwerer StandBei der Rechtfertigung einer steuerlichen Vergünstigung durch die innere Logik des Steuerrechts haben solche Mitgliedstaaten einen schweren Stand, in deren unverständlichem und verästeltem Steuerrecht eine Logik nur mit Schwierigkeiten ausgemacht werden kann. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade deutsche Steuerregelungen besonders häufig in das Visier der Kommission geraten. Man kann sich bisweilen aber auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kommission deutsche Regelungen besonders häufig unter Beihilfeverdacht stellt und das Beihilferecht zunehmend als Instrument dafür nutzt, bestimmte politische Ziele durchzusetzen. Staaten mit einem besonders komplizierten Steuersystem sind hier ein leichtes Opfer.Die beihilferechtliche Überprüfung des Sanierungsprivilegs ist ein Musterbeispiel hierfür. So ist zwar sicher nicht von der Hand zu weisen, dass sanierungsbedürftige Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen begünstigt werden. Allerdings dürfte dies allein kaum ausreichen, um die Regelung als “selektive Begünstigung” anzusehen, so wie die Kommission dies tut.Grundsätzlich kann schließlich jede Gesellschaft zu einem Sanierungsfall werden und dann von der Anwendung des Sanierungsprivilegs profitieren. In zahlreichen Mitgliedstaaten gibt es zudem ähnliche oder sogar weiterreichende steuerliche Vergünstigungen für Sanierungsfälle, die von der Kommission – aus welchem Grund auch immer – bislang nicht als rechtswidrige Beihilfen überprüft wurden. Es liegt also nahe, dass zusätzliche Motive die besonders kritische Haltung der Kommission in diesem Fall beeinflusst haben.So wurde mit der Prüfung des Sanierungsprivilegs im Zusammenhang mit dem Opel-Beihilfeverfahren begonnen, weil die neue Opel/Magna-Gruppe angeblich hauptsächlicher Nutznießer dieser Regelung gewesen wäre. Es drängt sich also der Verdacht auf, dass die überaus kritische Haltung der Kommission zu den Opel-Beihilfen, die sich in zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Auftritten von Kommissarin Neelie Kroes niederschlug, eine gewisse Rolle gespielt hat.Unabhängig hiervon stellt sich die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber bei der Einführung von Steuervergünstigungen immer mit dem gebotenen Geschick agiert. Andere Mitgliedstaaten haben hierbei oft ein glücklicheres Händchen. Die Ausgestaltung des Sanierungsprivilegs ist ein gutes Beispiel hierfür, denn der Verdacht eines Spezialgesetzes für bestimmte Transaktionen stand der Regelung in einem gewissen Sinne auf die Stirn geschrieben. Hürden zu überwindenSo sollte das Sanierungsprivileg ursprünglich nur für Transaktionen zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 31. Dezember 2009 gelten. Außerdem gilt das Sanierungsprivileg nicht unterschiedslos für alle Sanierungstransaktionen, sondern erfasst nur Fälle, in denen der Erwerber die “wesentlichen Betriebsstrukturen” des erworbenen Unternehmens fortführt. § 8 c Abs. 1 a S. 3 KStG schreibt abschließend die Fälle vor, in denen hiervon auszugehen ist. Allerdings sind die dort geregelten Kriterien (Durchführung einer geschlossenen Betriebsvereinbarung, keine Unterschreitung einer bestimmten Lohnsumme oder Zuführung wesentlichen Betriebsvermögens) nicht unbedingt geeignet, alle Fälle der “Erhaltung der wesentlichen Betriebsstrukturen” zutreffend zu erfassen. Sie muten also durchaus einzelfallorientiert an. § 8 c Abs. 1 a. S. 3 KStG legt somit das Vorliegen einer “selektiven Begünstigung” nahe.Die entscheidende Frage wird daher sein, ob die Bundesregierung die Kommission davon überzeugen kann, dass das Sanierungsprivileg durch die innere Logik des Steuerrechts gerechtfertigt werden kann. Hierbei gibt es gewisse Hürden zu überwinden. Denn mit der Einführung des Verlustabzugsverbots in § 8 c Abs. 1 a KStG hat der Gesetzgeber eine allgemeine Grundentscheidung gegen den Verlustabzug getroffen. Jede Abweichung von dieser Grundentscheidung gewährt den dadurch begünstigten Unternehmen einen finanziellen Vorteil, der vor der Kommission besonders zu rechtfertigen ist – und zwar durch dem Steuersystem immanente, allgemeine Gründe und nicht durch finanz- oder wirtschaftspolitische Interessen.Im Lichte dieser Grundentscheidung gegen den Verlustabzug hat die Kommission im vorigen Jahr die geplante Erweiterung der Verlustabzugsmöglichkeiten für Risikokapitalgesellschaften als rechtswidrige Beihilfe untersagt. Eine ähnliche Entscheidung zum Sanierungsprivileg ist daher nicht auszuschließen.Inzwischen wurde die Grundentscheidung gegen den Verlustabzug zwar durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz teilweise revidiert: Verluste sind nun wieder bis zur Höhe der auf den erworbenen Anteil entfallenden (inländischen) stillen Reserven abziehbar. Wie eine dar-über hinausgehende Besserstellung gerade der besonderen, in § 8 c Abs. 1 a S. 3 KStG geregelten Sanierungsfälle durch die innere Logik des Steuerrechts gerechtfertigt werden kann, muss jedoch auch nach dieser Gesetzesänderung gesondert begründet werden. Deutsche BesonderheitenIn taktischer Hinsicht wäre der deutsche Gesetzgeber künftig wohl besser beraten, das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei Steuervergünstigungen umzukehren. Andere Mitgliedstaaten, die von vornherein eine geringere Besteuerung festschreiben, aber nur wenige Ausnahmen hiervon zulassen, bieten der Kommission eine geringere beihilferechtliche Angriffsfläche. Das deutsche System ist hingegen durch eine hohe Steuerlast geprägt, die durch zahlreiche unsystematische Ausnahmen durchbrochen wird. Diese Ausnahmen kann die Kommission leicht als beihilferechtlich problematische Sonderbegünstigung brandmarken, was zu erheblicher Planungsunsicherheit bei den betroffenen Unternehmen führt.—-*) Dr. Ulrich Soltész ist Partner, Christian von Köckritz Associate der Sozietät Gleiss Lutz in Brüssel.