RECHT UND KAPITALMARKT

Brüssel strafft die Zügel in der Fusionskontrolle

EU-Kommission verfolgt konsequent Verfahrensverstöße

Brüssel strafft die Zügel in der Fusionskontrolle

Von Silvio Cappellari *)Ende Juni verhängte die EU-Kommission ein Bußgeld in Höhe von 28 Mill. Euro gegen das japanische Unternehmen Canon. Das Unternehmen hatte den Erwerb eines Wettbewerbers nach Ansicht der Kommission zum Teil schon vor Anmeldung und Freigabe vollzogen.”Gun Jumping” wird dieser verfahrensrechtliche Verstoß in der Fusionskontrolle genannt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob ein Käufer bereits vor der behördlichen Freigabe den Wechsel der Kontrolle über das Zielunternehmen eingeleitet hat. Der EuGH hatte hierfür 2018 in seinem KPMG-Urteil grundlegende Regeln aufgestellt. Der Bußgeldrahmen bei Gun Jumping beträgt bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes. Bisher hat das die Kommission bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Sorgfältige Prüfung ratsamBrüssel hat aber die Zügel für verfahrensrechtliche Verstöße deutlich angezogen. So achtet die Kommission unter Margrethe Vestager nicht nur auf Gun-Jumping-Fälle, sondern verfolgt konsequent auch falsche oder irreführende Angaben in der Anmeldung. Sie geht zudem dagegen vor, wenn Unternehmen später die Auflagen fehlerhaft oder unzureichend umsetzen. Die Vielzahl – und Vielfalt – der verfahrensrechtlichen Beanstandungen ist ein weiterer Beleg dafür, dass mit Margrethe Vestager nicht nur im Bereich der Missbrauchsaufsicht, sondern auch in der Fusionskontrolle ein schärferer Wind weht – mit der Folge, dass Unternehmen die relevanten kartellrechtlichen Fragen im Vorfeld von anmeldepflichtigen Transaktionen noch sorgfältiger prüfen müssen. Dies gilt für die Vorbereitung der Anmeldung, aber auch für jeglichen Informationsaustausch oder gar weitergehende Kooperationen mit dem Zielunternehmen vor einer Anmeldung bis zum Abschluss der Transaktion.Beispiel Gun Jumping: 2018 hat die Kommission das Telekommunikationsunternehmen Altice nach dem Erwerb von Portugal Telecom mit einem Bußgeld in Höhe von 124,5 Mill. Euro belegt. Altice hatte offensichtlich bereits vor Freigabe Einfluss auf die Ernennung und Entlassung des Top-Managements genommen. Auch die Preisstrategie von Portugal Telecom bestimmte der spätere Käufer bereits mit. Im aktuellen Canon-Fall geht es um eine komplexe, zweistufige Warehousing-Struktur. Diese ist nach Ansicht der Wettbewerbshüter als einheitliche Transaktion anzusehen. Sie hätte daher vom Käufer schon angemeldet werden müssen, bevor dieser den ersten Schritt der Transaktion vollzogen hat.Beispiel Fehlinformationen: Für erhebliches Aufsehen sorgte ein Bußgeld in Höhe von 110 Mill. Euro gegen Facebook im Zusammenhang mit dem Erwerb von Whatsapp im Jahre 2017. Auch hier ging es um Verfahrensverstöße. Die Kommission hatte “zumindest fahrlässige” Fehlinformationen seitens Facebook moniert im Hinblick auf die automatische Zusammenführung der Benutzerkonten beider Plattformen. Diese sollte laut Facebook technisch nicht möglich sein. Kurz nach Vollzug der Transaktion erfolgte sie dann aber doch.Im April 2019 beanstandete die Kommission, dass die Anmeldung von General Electric zum geplanten Erwerb von LM Wind unvollständig war. Die Transaktion war 2017 angemeldet worden. Zwar hatte General Electric die Anmeldung damals unmittelbar nach einem Hinweis der Wettbewerbshüter zurückgenommen und eine nunmehr vollständige Fassung nur einen Tag später eingereicht. Dennoch verhängte die Kommission ein Bußgeld in Höhe von 52 Mill. Euro. Eine vergleichbare Untersuchung gegen die Merck KGaA im Zusammenhang mit dem Erwerb von Sigma-Aldrich ist noch anhängig. Bußgelder für derartige Verstöße können bis zu einem Prozent des weltweiten Konzernumsatzes betragen.Schließlich geht die Kommission jetzt erstmals auch gegen die möglicherweise fehlerhafte oder unzureichende Umsetzung von Auflagen vor, die mit der Freigabe eines Vorhabens verknüpft waren. Betroffen sind die Telekommunikationsunternehmen Telefónica und E-Plus. Telefónica hatte die Auflage erhalten, allen interessierten Marktteilnehmern 4G-Vorleistungen “zu den günstigsten Preisen unter Benchmark-Bedingungen” anzubieten. Im Februar 2019 versandten die Wettbewerbshüter ausführliche Beschwerdepunkte. Darin rügen sie, dass Telefonica dieser Verpflichtung nicht umfassend nachgekommen sei. Die Entscheidung in diesem vielbeachteten Verfahren wird noch im Laufe des Jahres erwartet. GrundsatzentscheidungenVorbilder für das straffere Vorgehen findet die Kommission bei den nationalen Wettbewerbsbehörden. Die Gun-Jumping-Maßstäbe in Deutschland sind sogar noch strenger als auf EU-Ebene. Der Bundesgerichtshof hat in zwei Grundsatzentscheidungen – zuletzt Edeka/Kaiser’s Tengelmann II im Juli 2018 – deutlich gemacht, dass jegliche Handlung, die eine mit dem Vorhaben erstrebte Integration teilweise vorwegnimmt, bereits unter das Vollzugsverbot der deutschen Fusionskontrolle fällt. Im Unterschied zur Kommission kommt es hierzulande nicht einmal darauf an, ob mit den Aktivitäten ein Kontrollerwerb verbunden ist.*) Silvio Cappellari ist Partner von SZA Schilling, Zutt & Anschütz in Brüssel.