RECHT UND KAPITALMARKT

Bundesgerichtshof schränkt Haftung der Banken immer weiter ein

Abkehr von einer ursprünglich anlegerfreundlichen Rechtsprechung

Bundesgerichtshof schränkt Haftung der Banken immer weiter ein

Von Klaus Nieding *)Es hatte sich in vergangenen Verfahren bereits angedeutet, doch die jüngste Urteile machen es nun ganz klar: Der Bundesgerichtshof (BGH) rückt in Sachen Transparenzpflichten bei Vertriebsvergütungen Stück für Stück von seiner ursprünglich anlegerfreundlichen Rechtsprechung ab. In dieser Woche entschieden die Richter gleich in zwei Verfahren im Zusammenhang mit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers gegen die Interessen betroffener Privatanleger (vgl. u. a. BGH, Urteil vom 16.10.2012, Aktz.: XI ZR 367/11).In beiden Fällen hatten die Kläger Schadenersatzforderungen gegen die beteiligten Banken im Zusammenhang mit dem Kauf von Zertifikaten der niederländischen Lehman-Tochtergesellschaft geltend gemacht. Die Bank hatte die Papiere zunächst selbst erworben und dann an die Privatanleger im Wege eines so genannten Festpreisgeschäftes weiterverkauft. Über die dabei erzielte Provision von 3,5 % erfuhren die Bankkunden allerdings nichts. Der für Bankenrecht zuständige XI. Zivilsenat des BGH urteilte nun, dass diese Aufklärung auch nicht nötig gewesen sei. Die Richter unterscheiden in ihrer Begründung klar zwischen klassischem Kommissionsgeschäft und dem hier vorliegenden Festpreisgeschäft. Die Vorinstanz, das OLG Frankfurt am Main (17. Zivilsenat, Urteil vom 29.06.2011, Aktz.: 17 U 213/10), hatte eine Aufklärungspflicht über die Gewinnmarge noch bejaht und die Bank wegen fehlerhafter Anlageberatung bei Lehman-Zertifikaten zur Rückabwicklung der Investments verurteilt.Im Dezember 2006 sah die Welt noch anders aus. Damals urteilte der BGH erstmals, dass eine Bank einen Anleger bei der Beratung grundsätzlich darüber aufzuklären habe, ob und in welcher konkreten Höhe sie Rückvergütungen des Emittenten aus Anlass des Vertriebs von Wertpapieren erhalte. Dies begründete der BGH damit, dass der Kunde wissen müsse, wie hoch der Vertriebsanreiz der Bank ist. Erst auf dieser Grundlage sei der Kunde in der Lage, das Eigeninteresse der Bank einschätzen zu können. Dieser Entscheidung folgten weitere Urteile des BGH, in denen die Aufklärungspflichten für Rückvergütungen detailliert abgestuft wurden. Im Zuge der Lehman-Krise forderten sodann zahlreiche Zertifikate-Anleger unter Verweis auf diese Rechtsprechung des BGH mangels Aufklärung über jegliche Provisionen von ihren Banken die Rückabwicklung des Erwerbs. Zwölf EntscheidungenMit dem aktuellen Urteil hat der BGH jedoch erneut deutlich gemacht, dass er die Aufklärungspflicht der Banken über Vertriebsanreize nur eingeschränkt gelten lassen will. Offenkundig wollen die Bundesrichter jetzt die Geister wieder einfangen, die sie mit ihrer Entscheidung 2006 riefen. Inzwischen wurden in Sachen “Kickbacks”, “Rückvergütungen” und “Vertriebsanreize” insgesamt zwölf höchstrichterliche Entscheidungen getroffen. Dabei lässt sich neuerdings eine Tendenz erkennen, dass der Grundsatz der Aufklärungspflichten zugunsten der Kreditinstitute stark aufgeweicht wird. Eine Tendenz, die Anlegerschützer mit Sorge betrachten, zieht sie sich doch durch mehrere Bereiche der BGH-Rechtsprechung.Nachdem mit den ersten Lehman-Urteilen klargestellt wurde, dass Gewinnmargen der Banken im Gegensatz zu Rückvergütungen keine offenlegungspflichtigen Vertriebsvergütungen seien, schafft der BGH nunmehr auch bei aufklärungspflichtigen Rückvergütungen Freiräume zugunsten der Banken. Mit Urteil vom 19.7.2012 (Aktz.: III ZR 308/11) stellte der dritte Zivilsenat des BGH klar, dass eine Aufklärung über Rückvergütungen dann entfällt, wenn eine ausgelagerte Tochtergesellschaft einer Bank (hier einer Sparkasse) Anlageberatung betreibt. Denn die Tochtergesellschaft sei gerade nicht als bankmäßig gebundener Vermittler anzusehen.Damit kann jede Bank ihre Aufklärungspflicht leicht umgehen, indem sie die Anlageberatung einer Tochter überträgt. Dass der Kunde dort beraten wird und sich quasi in einem anderen Rechtsraum (baulich dabei aber sicher im gleichen Gebäude) befindet, ist ihm vielleicht gar nicht bewusst – was ihm im Streitfall aber nicht hilft. Eine weitere Einbuße mussten die Privatanleger beweisrechtlich hinnehmen. So stellte der BGH mit Urteil vom 8.5.2012 (Aktz.: XI ZR 262/10) fest, dass ein Anleger gegen sich gelten lassen müsse, ein positiv verlaufendes Investment nicht rückgängig zu machen, wenn er nach dem Kauf erfährt, dass die Bank hieraus aufklärungspflichtige Rückvergütungen erhalten hat. Hier fordert der BGH vom Anleger mehr Konsequenz, als er für gewöhnlich an den Tag legt. Schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass der Kunde rechtliche Schritte eben in der Regel nur dann erwägt, wenn er Verluste zu verzeichnen hat.Insgesamt verliert der Vorwurf der unterbliebenen Aufklärung über Rückvergütungen für den Anleger mit diesen Entscheidungen an Gewicht. Obwohl die Praxis zeigt, dass mangelhafte Aufklärung von Privatanlegern immer noch an der Tagesordnung ist, die Banken also so weitermachen wie bisher, entzieht die neue Rechtsprechung den betroffenen Anlegern hier ein scharfes Schwert. Fachjuristen, Verbraucher- und Anlegerschützer sehen das gleichermaßen sehr kritisch.—-*) Klaus Nieding, Vorstand der Nieding + Barth Rechtsanwaltsaktiengesellschaft, ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.