RECHT UND KAPITALMARKT

Bundesgerichtshof stärkt Gläubigerschutz

Rechtssicherheit bei M&A-Sachkapitalerhöhungen - Entscheidung im Fall Babcock Borsig - Dokumentationsaufwand steigt

Bundesgerichtshof stärkt Gläubigerschutz

Von Christoph H. Seibt *)Zuweilen hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Gelegenheit, zur rechten Zeit Rechtssicherheit im M & A-Transaktionsgeschäft durch die Entscheidung offener Rechtsfragen herzustellen. So hat der BGH vor kurzem sein bedeutsames Urteil vom 6.12.2011 zur Sachkapitalerhöhung bei Babcock Borsig mit Einbringung verschiedener Unternehmensbeteiligungen durch Preussag veröffentlicht (Az. II ZR 149/10). Und gerade jetzt planen viele Unternehmen liquiditätsschonende Zusammenführungen mit Drittunternehmen. Sie können nun die BGH-Entscheidung und die durch das ARUG (Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie) 2009 eingeführten transaktionsbegünstigenden Regelungen zur Gerichtskontrolle von Sachkapitalerhöhungen (Stichworte: Freigabeverfahren beim OLG mit modifizierter Interessenabwägung) nutzen.Im Ergebnis stärkt der BGH jetzt einerseits den Gläubigerschutz durch ein weites Verständnis der Differenzhaftung zulasten des Einlageschuldners (Inferenten), andererseits gibt er auch Hinweise für die Risikominimierung des Inferenten durch entsprechende Vertragsgestaltung.Streitgegenstand des BGH-Urteils war ein Aspekt der bis heute in vielen Foren diskutierten Restrukturierung der ehemaligen Preussag mit Zusammenführung von deren Anlagebauaktivitäten mit Babcock Borsig. In diesem Rahmen vereinbarten die Beteiligten mit einem Transaktionsvertrag vom Mai 1999 eine Sachkapitalerhöhung bei der Babcock Borsig AG, bei der die Preussag jeweils 99,9 % der Geschäftsanteile an der Preussag Noell GmbH und der Preussag Wasser- und Rohrtechnik GmbH sowie 25 % der Aktien an der Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) gegen Erhalt von 33,29 % an Babcock Borsig einbrachte (1. Tranche). Ferner verpflichtete sich Babcock Borsig, weitere 25 % der HDW-Aktien für 325 Mill. DM von Preussag zu erwerben (2. Tranche).Nach Kartellrechtsfreigabe und Durchführung der Kapitalerhöhung rügte Babcock Borsig die finanzielle Entwicklung der Preussag-Anlagebauaktivitäten und weigerte sich, den Kaufpreis für die zweite Tranche zu bezahlen. Mit zwei Vereinbarungen vom Juni und September 2000 verglichen sich die Streitparteien und vereinbarten einerseits die Zahlung eines Restrukturierungs- und Verlustzuschusses durch Preussag von 325 Mill. DM und andererseits die Verrechnung der jeweiligen Zahlungsverpflichtungen; Babcock Borsig erklärte sich ferner bereit, aus dem ursprünglichen Transaktionsvertrag keinerlei Rechte mehr geltend zu machen. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen von Babcock Borsig (Helmut Schmitz) verklagte die jetzige Tui auf Zahlung von ca. 170 Mill. Euro mit der Begründung, der Wert der von der Preussag eingebrachten Sacheinlage habe die Höhe des festgesetzten Ausgabebetrages nicht erreicht. Fünf Fragen geklärtDer BGH klärt nun fünf wichtige Fragen: (1) Die Transaktion ist kein einheitlicher und unteilbarer Kapitalaufbringungsvorgang mit nur einer gemischten Sacheinlage. Vielmehr unterliegt kraft Parteivereinbarung nur die erste Tranche dem strengen Kapitalaufbringungsrecht mit der Differenzhaftung des Inferenten, während die zweite Tranche eine Aktionärsleistung ist, die nur am Maßstab des Verbots der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) und damit anhand eines Fremdvergleiches zu prüfen ist. Für die Unternehmenspraxis bedeutet dies, dass in den Fällen, in denen die Zielgesellschaft neben den Neuaktien auch Barmittel oder andere Vermögenswerte (z. B. Lizenzen, Lieferzusagen) gewährt, eindeutig vertraglich geregelt werden kann (und muss), welche Leistung Teil der Kapitalerhöhung und welche Leistung Umsatzgeschäft sein soll.(2) Aus der mit der Zeichnung von Neuaktien zwangsläufig verbundenen Kapitaldeckungszusage und dem Verbot, Aktien für einen geringeren Betrag als den (rechnerischen) Nennbetrag des Grundkapitals auszugeben, folgt anerkannterweise, dass der Inferent bei einer Überbewertung von Sacheinlagen den Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Wert der Sacheinlage und dem Ausgabebetrag in Geld zu leisten hat (Differenzhaftung). Nun stellt der BGH fest, dass dieser gesetzliche Differenzhaftungsanspruch – anders als bei der GmbH – nicht nur den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG), sondern auch das festgesetzte Aufgeld (§ 9 Abs. 2 AktG) umfasst.Das Gericht begründet dies zum einen mit der gesetzlichen Konzeption, nach der auch das Aufgeld Teil des Ausgabebetrages und der mitgliedschaftlichen Leistungspflicht der Aktionäre ist, von der sie grundsätzlich nicht befreit werden können. Zum anderen weisen die Richter auf die weite Fassung der EU-Kapitalrichtlinie 1976 hin. Aus Inferentensicht wird es daher zur Haftungsbegrenzung wichtig sein, den Ausgabebetrag einschließlich Aufgeld so niedrig wie möglich festzusetzen und die übrige Leistung des Inferenten eindeutig als schuldrechtliche sonstige Leistung in die Kapitalrücklage zu regeln, die von der Differenzhaftung weiter nicht erfasst wird. Die Unternehmensleitung der Zielgesellschaft wird allerdings nur mit hinreichender Begründung und ausnahmsweise den gesetzlichen Differenzhaftungsanspruch durch diese Gestaltung begrenzen dürfen.(3) Potenziell herausragende Bedeutung hat die weitere Feststellung des Gerichts, dass ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch zulässig und nicht durch das Befreiungs- und Aufrechnungsverbot des § 66 Abs. 1 AktG gesperrt ist. Der Vergleich muss indes wegen tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Differenzhaftungsanspruchs geschlossen werden und es darf sich dahinter nicht nur eine Befreiung in der Form eines Vergleichs verbergen. Während im Gerichtsfall offenbar eine typische Vergleichssituation mit einem Streit über den Einlagewert deutlich nach Transaktionsabschluss vorlag, ist in der Praxis häufig bereits bei den Verhandlungen vor Transaktionsabschluss die Bewertung der Sacheinlage strittig und die herangezogenen sachverständigen Prüfer kommen zu unterschiedlichen Bewertungen.Diese Bewertungsunsicherheit gilt im besonderen Maße bei Debt-Equity-Swaps, bei denen zur Refinanzierung und Bestandssicherung der Zielgesellschaft ausstehende Forderungen eingebracht werden. Denn hier sind die Bewertungsmethoden noch nicht hinreichend standardisiert. Die vom BGH anerkannte Vergleichsmöglichkeit sollte es den Parteien in der Zukunft erlauben, sich bereits vor Durchführung der Kapitalerhöhung zur Transaktionsabsicherung und bei Gewährung einer zusätzlichen Gegenleistung durch den Inferenten über mögliche Differenzhaftungsansprüche zu vergleichen. Die zusätzliche Gegenleistung wirkt wirtschaftlich wie eine Haftungsversicherung. Der Vergleich mit seinen jeweiligen Voraussetzungen und der Gegenleistung des Inferenten sollte ausdrücklich und vom Kapitalerhöhungsvorgang getrennt geregelt werden.(4) Der Abschluss eines Vergleichsvertrages bedarf nicht der Zustimmung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft. Ein solches Zustimmungserfordernis ergibt sich weder aus einer Gesamtanalogie zu bestimmten aktienrechtlichen Sondervorschriften noch nach der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung.(5) Die Beweislast für den Minderwert des Einlagegegenstandes trägt nach einer jüngeren Entscheidung des OLG Düsseldorf (Az. I-6 U 70/10) die Zielgesellschaft, allerdings trifft hiernach den Inferenten eine gesteigerte Darlegungslast. Der BGH stellt schließlich klar, dass eine gegenüber der normalen Verjährung verlängerte Frist von fünf Jahren ab Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister analog § 9 Abs. 2 GmbHG gilt. Diese Verjährung ist zwingend und kann durch den Transaktionsvertrag nicht verkürzt werden. Sicheres FundamentSumma summarum: Das BGH-Urteil zu Babcock Borsig/Preussag stärkt zwar einerseits durch die Erweiterung des Differenzhaftungsumfangs den Gläubigerschutz, gibt aber vor allem auch der zukünftigen Transaktionspraxis in wesentlichen Punkten ein sicheres Fundament für liquiditätsschonende Unternehmens- und Asset-Erwerbe. Der jetzt erhöhte Gestaltungsspielraum bei solchen Erwerbsstrukturen geht allerdings mit einem deutlich erhöhten Dokumentations- und Argumentationsaufwand der Beteiligten einher.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor an der Bucerius Law School, Hamburg.