RECHT UND KAPITALMARKT

Bürokratisches Monster

Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen verursacht immensen Aufwand für Wirtschaft und Verwaltung

Bürokratisches Monster

Von Rainer Stadler und Christian Hundeshagen *)Die Bundesregierung hat ihren Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen am 9. Oktober 2019 veröffentlicht (RegE). Mit dem geplanten Gesetz soll die Richtlinie zur sechsten Änderung der EU-Amtshilferichtlinie (DAC 6) umgesetzt werden. Nach der im RegE enthaltenen Begründung sollen mit dem geplanten Gesetz grenzüberschreitende Steuervermeidungspraktiken und Gewinnverlagerungen zeitnah identifiziert und verringert werden, um die Erosion des Steuersubstrats zu verhindern. Der RegE verfolgt ausdrücklich sowohl das rechtspolitische Ziel, den Gesetzgeber frühzeitig über mögliche Lücken in den bestehenden Rechtsvorschriften zu informieren, als auch den veranlagungsbegleitenden Zweck, den Steuerverwaltungen eine gezieltere Prüfung zu ermöglichen. In den Erwägungsgründen der DAC 6 wird darüber hinaus auch die abschreckende Wirkung beziehungsweise die Wirksamkeit dieser Richtlinie bei der Abschreckung aggressiver Steuerplanungspraktiken betont.Die neuen Regelungen sollen vom 1. Juli 2020 an anwendbar sein. Von der Mitteilungspflicht erfasst werden allerdings bereits Gestaltungen, bei denen der “erste Schritt” zwischen dem 25. Juni 2018 und dem 1. Juli 2020 umgesetzt wurde beziehungsweise wird. Insbesondere vor diesem Hintergrund sind Steuerpflichtige und Berater aufgerufen, sich zügig mit der Thematik sorgfältig auseinanderzusetzen.Eine grenzüberschreitende Steuergestaltung liegt vor, wenn eine Gestaltung (i) eine oder mehrere Steuern zum Gegenstand hat, auf die das EU-Amtshilfegesetz anzuwenden ist (z. B. Einkommen-, Körperschaft- und Grunderwerbsteuer; nicht aber Zölle und Umsatzsteuer), (ii) zumindest zwei EU-Mitgliedstaaten beziehungsweise einen Mitgliedstaat und einen Drittstand betrifft, mithin einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, sowie (iii) bestimmte Kennzeichen mit beziehungsweise ohne sogenannte Main-Benefit-Test erfüllt.Fraglich ist bereits, in welchen Fällen überhaupt eine Gestaltung vorliegt. Weder die DAC 6 noch der RegE definieren den Begriff “Gestaltung”. In Erwägungsgrund 9 der DAC 6 wird lediglich erwähnt, dass es wirksamer sei, potenziell aggressive Steuerplanungsgestaltungen anhand einer Liste von Merkmalen und Elementen von Transaktionen zu erfassen, anstatt den Begriff der aggressiven Steuerplanung zu definieren. In der RegE-Begründung liest man allerdings, dass eine Steuergestaltung ein Schaffensprozess sei, bei dem durch den Nutzer oder für den Nutzer eine bestimmte Struktur, ein bestimmter Prozess oder eine bestimmte Situation bewusst und aktiv herbeigeführt oder verändert wird und dem Ganzen dadurch eine steuerrechtliche Bedeutung zukommt, die ansonsten nicht eintreten würde. Ob das zur Klärung beiträgt und Rechtssicherheit schafft, darf bezweifelt werden. Verschiedene KennzeichenUm eine Mitteilungspflicht zu begründen, muss die Gestaltung bestimmte Kennzeichen (“HallMarks”) erfüllen. Unterschieden werden Kennzeichen, die nur in Verbindung mit dem Main-Benefit-Test zu einer Mitteilung führen und solche Kennzeichen, die per se eine Mitteilungspflicht auslösen.Zu den Kennzeichen mit Main-Benefit-Test gehören insbesondere (i) Vertraulichkeitsklauseln, die die Offenlegung der Steuergestaltung, gegenüber anderen, an der Gestaltung beteiligten Intermediären oder den Finanzbehörden verbietet, (ii) eine vom Steuervorteil abhängigen Vergütung, wobei standesrechtlich zulässige Erfolgshonorare unschädlich sind, (iii) eine standardisierte Dokumentation oder Struktur der Gestaltung, die ohne größere Anpassungen auch für andere Nutzer verfügbar ist, (iv) die Umwandlung von Einkünften in nicht oder niedriger besteuerte Einnahmen oder (v) grenzüberschreitende Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen zur Erzielung von (a) nicht besteuerten Einkünften, (b) Einkünften, die einer Körperschaftsteuer nahe null unterliegen beziehungsweise (c) Einkünften, die einer steuerlichen Präferenzregelung unterliegen.Kennzeichen ohne Main-Benefit-Test sind insbesondere (i) steuerlich abzugsfähige Zahlungen an verbundene Unternehmen in nichtkooperierende Drittstaaten, (ii) Gestaltungen zur Aushöhlung Mitteilungspflicht von Finanzkonten nach dem Common Reporting Standard (CRS), (iii) bestimmte Gestaltungen zur Nutzung von internationalen Qualifikationskonflikten sowie (iv) bestimmte Verrechnungspreissachverhalte (z. B. Funktionsverlagerungen).Eine Steuergestaltung erfüllt den Main-Benefit-Test, wenn ihr Hauptvorteil oder einer ihrer Hauptvorteile in der Erlangung eines steuerlichen Vorteils besteht. Ein steuerlicher Vorteil liegt vor, wenn durch die Steuergestaltung Steuern erstattet, Steuervergütungen gewährt oder Steueransprüche verringert werden sollen, die Entstehung von Steueransprüchen verhindert werden soll, oder die Entstehung von Steueransprüchen in andere Besteuerungszeiträume oder auf andere Besteuerungszeitpunkte verschoben werden soll.Diese Definition bringt wenig Rechtssicherheit. Unklar bleibt insbesondere, wann ein steuerlicher Hauptvorteil vorliegt und welcher Maßstab für die Bestimmung eines Steuervorteils zu Grunde zu legen ist. Vom Main-Benefit-Test sollen indes Fälle nicht erfasst werden, bei denen sich der steuerliche Vorteil ausschließlich in Deutschland auswirkt und unter Berücksichtigung aller Umstände gesetzlich vorgesehen ist. Obwohl jeder redliche Berater behaupten wird, dass seine Gestaltungen vom Gesetz gedeckt sind, darf die Reichweite dieser Ausnahme nicht überschätzt werden. Nach der Gesetzesbegründung ist hier nicht allein auf den Wortlaut, sondern auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung abzustellen.Die Mitteilungspflicht trifft primär Intermediäre. Intermediär ist, wer eine grenzüberschreitende Steuergestaltung für Dritte konzipiert, organisiert oder zur Nutzung bereitstellt oder ihre Umsetzung durch Dritte verwaltet. Hierzu zählen insbesondere Steuerberater und Rechtsanwälte aber auch Finanzinstitute und Fondsmanager. Der Nutzer, dem die Gestaltung bereitgestellt wird oder der bereit ist, diese umzusetzen, ist nur zur Mitteilung verpflichtet, wenn er (i) seinen Berater nicht von der beruflichen Verschwiegenheit entbunden hat und von diesem entsprechend aufgeklärt worden ist oder (ii) bei Fehlen eines (meldepflichtigen) Intermediärs, was insbesondere bei sogenannten Inhouse-Gestaltungen der Fall sein kann.Die Mitteilung ist innerhalb von 30 Tagen nach dem frühesten der drei folgenden Zeitpunkte zu übermitteln: (i) die Gestaltung steht zur Umsetzung bereit, (ii) der Nutzer ist zur Umsetzung bereit oder (iii) der Nutzer hat den ersten Schritt zur Umsetzung gemacht. Die Frist erscheint mit 30 Tagen unverhältnismäßig knapp bemessen, zumal ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht mit einer Geldbuße bis zu 25 000 Euro pro Verstoß geahndet werden kann. Die Mitteilungspflichten bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen verursachen für Wirtschaft und Finanzverwaltung einen immensen einmaligen und laufenden Erfüllungsaufwand. Dem Vernehmen nach ist geplant, allein beim Bundeszentralamt für Steuern 60 zusätzliche Stellen zu schaffen, um die eingehenden Mitteilungen zu bearbeiten. Der RegE geht von fünfstelligen Meldungen pro Jahr aus. Im Markt kursieren ebenfalls Schätzungen von mehreren tausend Meldungen pro Quartal. Am Ziel vorbeiNimmt man diese Zahlen ernst, ist zu bezweifeln, dass das rechtspolitische Ziel verwirklicht beziehungsweise der veranlagungsbegleitende Zweck erreicht wird. Allein die beabsichtigte Abschreckungswirkung dürfte eintreten, was ein zweifelhaftes und – wie bereits zu lesen war – möglicherweise verfassungswidriges Ergebnis ist.Positiv zu bewerten ist, dass rein nationale Gestaltungen nicht erfasst sind. Ob das dauerhaft so bleibt, muss allerdings vor dem Hintergrund der auf Länderebene gewünschten Ausweitung bezweifelt werden.Es wäre jedenfalls aus Sicht der betroffenen Nutzer und Intermediäre äußerst wünschenswert, wenn die Finanzverwaltung ihr Verständnis der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe im Rahmen eines BMF-Schreibens veröffentlicht. Intermediären und Nutzern bleibt unabhängig davon nichts anderes übrig, etwaige Steuergestaltungen für die Zeit ab dem 25. Juni 2018 zu eruieren und im Hinblick auf eine etwaige Mitteilungspflicht zu prüfen. *) Dr. Rainer Stadler ist Partner, Dr. Christian Hundeshagen Managing Associate von Linklaters.