ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Collateral: Kostentreiber oder Instrument zur Risikominimierung?

Börsen-Zeitung, 24.12.2013 Sicherheiten, auch als "Collateral" bezeichnet, erleben derzeit eine große Bedeutungsveränderung. Mit den neuen regulatorischen Bestimmungen müssen künftig zum Beispiel auch außerbörslich gehandelte Derivate nach klaren...

Collateral: Kostentreiber oder Instrument zur Risikominimierung?

Sicherheiten, auch als “Collateral” bezeichnet, erleben derzeit eine große Bedeutungsveränderung. Mit den neuen regulatorischen Bestimmungen müssen künftig zum Beispiel auch außerbörslich gehandelte Derivate nach klaren Regeln mit Sicherheiten hinterlegt werden. Diese Besicherungspflicht hat in erster Linie zum Ziel, systemische Risiken, insbesondere im Bereich der bilateralen Transaktionen, zu reduzieren. Das erhöhte Transaktionsvolumen beim Austausch von Sicherheiten sowie die Notwendigkeit, sich jederzeit zulässiges und geeignetes Collateral beschaffen zu müssen, dürften gleichzeitig dazu führen, dass Collateral zu einem größeren Kostenfaktor wird.Doch ist Collateral in Anbetracht seiner zukünftig noch stärkeren Ergebniswirksamkeit für betroffene Marktteilnehmer nicht auch wie eine neue Assetklasse zu behandeln? Überlegungen zum Thema Sicherheiten werden zunehmend jenen ähneln, die im klassischen Asset Management anzustellen sind. Faktoren, die in diese Überlegungen einfließen werden, sind Rendite, Allokation, Gegenparteien, Settlement und Liquidität, um nur einige zu nennen. Weitreichende FolgenEines ist unbestritten: Wer bereits zum heutigen Zeitpunkt Anspruch erhebt, absolute Klarheit über die regulatorischen Auswirkungen zu besitzen, muss eine Kristallkugel sein Eigen nennen. Collateral wird sicher weder ein ausschließlicher Kostentreiber noch ein reines Instrument zur Risikoreduzierung sein, und es erfüllt auch nicht allein die Kriterien einer eigenständigen Assetklasse. Letztlich wird es Eigenschaften aller drei Cluster aufweisen. Klar ist, dass sich die Anforderungen an die betroffenen Marktteilnehmer signifikant verändern und die Auswirkungen der Neuregelungen weitreichend sein dürften.Eine der Hauptfolgen der neuen Regulierungsinitiativen wird ein signifikanter Anstieg des Gesamtvolumens an ausgetauschtem Collateral sein – für “geclearte” (über zentrale Gegenparteien – CCP – abgewickelte), aber auch für bilaterale Transaktionen. Ein geschätzter Anstieg des Gegenwertes der weltweit im Umlauf befindlichen Sicherheiten um 1 Bill. Dollar repräsentiert eher den unteren Rand des Korridors gegenwärtiger Schätzungen.Dieser Anstieg geht mit einer Zunahme der Komplexität in Collateral-Prozessen einher. Wo etwa im bilateralen Bereich die Sicherheiten nur auf dem Wege einer sogenannten “Variation Margin” ausgetauscht werden, ist nun bei einer zunehmend verpflichtenden Einbindung einer zentralen Gegenpartei zunächst die Stellung einer sogenannten “Initial Margin” und anschließend zusätzlich der “Variation Margin” gefordert. Hinzu kommen in der EMEA-Region (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) spezifische Segregationsanforderungen bezüglich der klaren Trennung des Collateral verschiedener Marktteilnehmer. Diese Komplexitätssteigerung wird alle Marktteilnehmer betreffen, einschließlich Clearing Broker, Asset Manager, CCP und jeden Anleger bzw. jede Kapitalsammelstelle, die clearing- bzw. besicherungspflichtige Derivate einsetzen.Gleichzeitig erhöht sich der Anreiz für Unternehmen, primär hochwertige Assets zu halten, die vielseitig als Collateral akzeptiert werden. Auch weitere Regulierungsinitiativen, beispielsweise Basel III, tragen dazu bei. Dies wiederum wird einen Einfluss auf die Liquidität entsprechender Assets haben. Nebenwirkungen befürchtetAll diese zu erwartenden Auswirkungen führen zu einer weiteren Annahme, die als sehr wahrscheinlich einzustufen ist: Das neue regulatorische Umfeld, das eigentlich geschaffen wird, um Risiken zu reduzieren, wird gleichzeitig auch neue Risiken entstehen lassen. Durch das Pooling substanzieller Volumina bei den CCP wird etwa ein beträchtliches Konzentrationsrisiko erzeugt. Zudem wird der Anstieg an zum Einsatz kommenden Collaterals potenziell Einfluss auf die Liquidität bestimmter Arten von Assets nehmen. Das eingeschränkte Spektrum an Assets, die als zulässiges Collateral eingestuft werden, zieht unter Umständen eine Verschiebung des Risikoprofils für bestimmte Anlagevehikel bzw. Investmentstrukturen nach sich.Da Aktien in der Regel nicht oder nur eingeschränkt als Sicherheit akzeptiert werden, wird beispielsweise der Manager eines Aktienfonds künftig entscheiden müssen, ob er es bevorzugt, auf dem Wege einer “Collateral-Transformation” zulässige Sicherheiten zu generieren, oder ob er alternativ die Asset Allocation zugunsten einer höheren Cashquote bei gleichzeitiger Inkaufnahme eines geringen Investitionsgrades, und gegebenenfalls geringerer Renditen, anpasst. Einen Schritt weitergehend stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Regulierung bestehende Risiken tatsächlich reduziert und inwiefern sie diese lediglich verschiebt. Eine Verschiebung dürfte zur Konsequenz haben, dass diese in der Zukunft, zumindest teilweise, von den Anlegern zu tragen sein werden.Die tatsächlichen Auswirkungen, welche die veränderte Rolle von Collateral nach sich ziehen wird, dürften in jedem Fall größer sein als von vielen Marktteilnehmern bislang angenommen. Zieht man all die genannten Punkte in Betracht, gewinnt die strategische Herangehensweise an das Sicherheitenmanagement für den Unternehmenserfolg der betroffenen Marktteilnehmer nachhaltig an Bedeutung.Die Notwendigkeit, wirtschaftliche Auswirkungen von Collateral, aber auch die neuen Risikoarten aktiv zu steuern, wird eine Verlagerung der kaufmännischen Elemente des Collateral Management, die traditionell eher im Back Office angesiedelt waren, in Richtung der für diese Fragestellungen besser aufgestellten Front-Office-Bereiche geradezu erzwingen.All die Denk- und Entscheidungsprozesse, mit denen die Marktteilnehmer im Tagesgeschäft umgehen müssen, beantworten in der Quintessenz die Frage, warum Collateral mit einem vergleichbaren Fokus und ähnlicher Sorgfalt behandelt werden muss wie eine eigene Assetklasse, auch wenn es per Definition keine solche sein mag. Kristallkugel gesuchtBevor endgültige Klarheit herrscht, wird es keine empfehlenswerte Option sein, das Geschehen aus der Ferne zu beobachten, ohne eine konkrete Strategie zu entwickeln. Dies gilt umso mehr, als infrastrukturelle Änderungen, die zweifelsohne erforderlich sein werden, Vorlaufzeit benötigen. Collateral Management sollte fester Bestandteil der Agenda strategischer Prioritäten aller betroffenen Marktteilnehmer sein.Handelsentscheidungen ebenso wie die Performance der verschiedenen Anlagen der betroffenen Institute werden maßgeblich davon abhängen, wie effektiv und überlegt diese die Veränderungsprozesse steuern und die erforderlichen strukturellen Anpassungen in ihre eigene Ablauforganisation integrieren. Letztlich werden enger gefasste Prozesse und eine klar definierte End-to-End-Strategie bezüglich der zukünftigen Behandlung des Derivateportfolios und der mit diesem verbunden Collateral-Anforderungen erfolgsentscheidend sein.Und sollten Sie über eine Kristallkugel verfügen, dann sprechen Sie den Autor bitte an.—-Martin Wallmann, Leiter Geschäftsentwicklung J.P. Morgan Investor Services – Deutschland, Österreich und Schweiz