Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Bertold Gaede

"Das Aktienrecht kennt keine imperativen Aufsichtsratsmandate"

Vorzugsbehandlung von Hedgefonds in der Kritik

"Das Aktienrecht kennt keine imperativen Aufsichtsratsmandate"

– Herr Dr. Gaede, seit dem Streit zwischen Hedgefonds und der Deutschen Börse wird europaweit über Regulierung diskutiert. Einen Höhepunkt des Konflikts und zugleich ein Alarmsignal sehen Sie in den öffentlichen Äußerungen des britischen Hedgefonds TCI zu Vorschlägen für die Besetzung von Vorstandsposten. Warum? An dieser Stelle hatte sich der Streit vollkommen vom deutschen Aktienrecht gelöst. Danach hat der Aufsichtsrat das Recht, den Vorstand zu besetzen. Er hat sogar nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht dazu. Und wenn er dieser Pflicht schuldhaft nicht nachkommt und dabei der Gesellschaft Schaden zufügt, haftet er dafür. Wenn also Aktionäre die Besetzung von Vorstandsposten bestimmen, werden die gesetzliche Regelung und die Verantwortung dafür auf den Kopf gestellt. – Aber ist es nicht durchaus üblich und sinnvoll, dass Großaktionäre über den Aufsichtsrat Einfluss ausüben?Auch über von ihnen entsandte Aufsichtsratsmitglieder dürfen Aktionäre laut Gesetz keinen Einfluss auf die Besetzung des Vorstands ausüben. Denn das Aktienrecht kennt keine imperativen Aufsichtsratsmandate. Die Aufsichtsratsmitglieder sind in ihrer Entscheidung frei. Sie sind praktisch Treuhänder a l l e r Aktionäre und haben das langfristige Interesse der Gesellschaft zu wahren. Im besonderen Fall von Hedgefonds haben wir es demgegenüber meist mit Investoren zu tun, die deutlich weniger als 10 % des Grundkapitals halten und nach ihrem Geschäftsmodell nur kurzfristige Interessen verfolgen. – Was sollten Aufsichtsräte dann tun, wenn Hedgefonds sie unter Druck setzen?Wenn der Vorstand einen Weg geht, der mit dem Aufsichtsrat strategisch abgestimmt ist, dann darf der Aufsichtsrat nicht wanken, wenn einzelne Aktionäre Geschrei entfachen. Zumal wenn es sich um kurzfristig engagierte Anleger handelt, die eine kleine Minderheitsbeteiligung halten. Ansonsten macht es ein Aufsichtsrat Hedgefonds zu leicht, die langfristige Strategie einer Aktiengesellschaft wegen kurzfristiger Spekulationsgewinne zu kippen. – Wie können Vorstände und Aufsichtsräte Hedgefonds nach geltendem Aktienrecht bestmöglich als Investoren zum Nutzen des langfristigen Unternehmensinteresses einbinden?Eine besondere “Einbindung” von Hedgefonds als Investoren zum Nutzen des langfristigen Unternehmensinteresses lässt sich nicht rechtfertigen. Das ist kein Werturteil über ihre Tätigkeit, wohl aber die Aussage eines Gesellschaftsrechtlers, dass sie schlicht keine Vorzugsstellung unter den Anteilseignern einer Aktiengesellschaft genießen. Die kurzfristige Kurssteigerung oder die Ausschüttung einer Dividende, die Hedgefonds suchen, kann im langfristigen Unternehmensinteresse liegen, muss es aber nicht. Entsprechend sollten Aktiengesellschaften mit diesen und natürlich auch anderen Investoren umgehen. – Aber sprechen darf man doch miteinander?Das Aktienrecht sieht keine Kommunikation des Vorstandes mit einzelnen Aktionären vor, mögen sie auch noch so aggressiv sein. Auskünfte erteilt der Vorstand auf der Hauptversammlung. Wenn einem Aktionär “wegen seiner Eigenschaft als Aktionär” allerdings außerhalb der Hauptversammlung eine Auskunft gegeben worden ist, muss sie auch jeder andere Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung erhalten. (§ 132 Abs. 4 AktG). Erliegt ein Vorstand der Versuchung, einzelnen Aktionären durch eine weitherzige Handhabung der Auskunftserteilung besonders entgegenzukommen, bereitet er den Boden für unterjährige Angriffe auf die Geschäftsführung. – Sehen Sie Reformbedarf im Aktienrecht, weil Investoren ihre – tatsächlichen oder vermeintlichen – Rechte stärker geltend machen?Reformbedarf sehe ich nur dann, wenn dauerhaft die “Geschäftsgrundlage” für aktienrechtliche Regeln entfallen ist. Ein Beispiel dafür könnte die stetig abnehmende Präsenz auf Hauptversammlungen schaffen. Und zwar wenn Abstimmungsergebnisse dadurch dem Zufall überlassen würden und sie nicht mehr die Interessen der Mehrheit der Anleger widerspiegelten. Um eine solche Situation zu verhindern, ist Fantasie bei den Investor Relations gefragt. Dazu gehört auch etwas Mut. Eine Gesellschaft sollte in die Offensive gehen und anprangern, wenn Fonds ihren Aktienbesitz auf Hauptversammlungen unvertreten lassen. Das gilt ganz besonders, wenn die Fonds die Tagesordnung kennen und wissen, dass ihre Zurückhaltung schwer wiegende Folgen für das Unternehmen haben kann.*) Dr. Bertold Gaede ist Rechtsanwalt und Partner im Münchner Büro der internationalen Sozietät Nörr Stiefenhofer Lutz.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.