Recht und Kapitalmarkt

Das deutsche Insolvenzrecht ist korrekturbedürftig

Gläubiger ohne gesetzlichen Einfluss auf Bestellung des Verwalters - Bundesjustizministerium ist erfreulicherweise alarmiert

Das deutsche Insolvenzrecht ist korrekturbedürftig

Von Lars Westpfahl *) Seitdem der Autozulieferer Schefenacker zur finanziellen Sanierung seinen Sitz nach England verlegt hat, wird die Notwendigkeit der Änderung des deutschen Insolvenzrechts auch in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Dabei ist Schefenacker nicht der erste Fall einer “Migration” nach England, um das dortige – in bestimmter Hinsicht sanierungsfreundlichere – Recht zu nutzen. Zuvor gelang dies im Fall der Deutschen Nickel; der Umzug des Rohrleitungsspezialisten Hans Brochier dagegen scheiterte. Die Diskussion wird häufig schlagwortartig mit fragwürdigen Unterstellungen geführt.Einige derer, die keine Änderungen wollen, sehen die Debatte durch die Interessen internationaler Investoren und ihrer Berater gesteuert, die insolvenzreife Unternehmen einem geordneten Insolvenzverfahren unter Führung eines deutschen Insolvenzverwalters entziehen wollten. Umgekehrt behaupten die Befürworter einer Reform, das deutsche Insolvenzrecht sei grundsätzlich sanierungsfeindlich. Beide Positionen sind in diesen Extremen unzutreffend und verhindern eine in der Sache überaus notwendige, aber auch chancenreiche Diskussion. SanierungsfreundlichDas deutsche Recht im Allgemeinen und das deutsche Insolvenzrecht im Besonderen sind grundsätzlich sanierungsfreundlich. Vor allem seit der Einführung der Insolvenzordnung 1999 stehen geeignete Instrumente zur Sanierung schuldnerischer Unternehmen auch bzw. gerade im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zur Verfügung: Insolvenzplan, Eigenverwaltung und Sonderkündigungsrechte des Insolvenzverwalters haben sich z. B. inzwischen in diversen Verfahren bewährt, in denen eine erfolgreiche Sanierung umgesetzt werden konnte. Mit der Einführung der Insolvenzordnung war der deutsche Gesetzgeber in Europa Vorreiter einer Bewegung, die zuletzt auch etwa in Frankreich, Italien und Spanien sanierungsfreundliche Insolvenzregime hervorgebracht hat. Gleichwohl können noch immer erhebliche Hindernisse für eine außergerichtliche Sanierung bzw. eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestehen. Zu nennen sind insbesondere die Unvorhersehbarkeit der Auswahl des Verwalters, das Fehlen eines Konzerninsolvenzrechts sowie unzureichende Regelungen für den Insolvenzplan. Bis zum letzten MomentZunächst stellt die Ungewissheit darüber, wer im Falle eines Insolvenzantrages vom Gericht als Insolvenzverwalter bestellt wird, ein erhebliches Sanierungshindernis dar. Bei großer Unsicherheit darüber, wie sich der schließlich bestellte Verwalter zur Sanierungsfähigkeit und der Umsetzung verhält, wird es der Schuldner eher bis zum letzten Augenblick auf eine außergerichtliche Sanierung ankommen lassen, obwohl ein frühzeitiger Insolvenzantrag die Sanierungschancen erhöht. Obwohl das Insolvenzverfahren im Interesse der Gläubiger durchgeführt wird, haben sie keinen gesetzlich angeordneten Einfluss auf die Beantwortung dieser “Schicksalsfrage” für das Insolvenzverfahren. Erst viele Monate später können sie statt des bestellten Insolvenzverwalters eine andere Person wählen. Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch in aller Regel bereits die grundlegenden Richtungsentscheidungen für das Insolvenzverfahren getroffen. Auch finden Vorschläge für die Person des Insolvenzverwalters aus dem Kreise der Gläubiger derzeit praktisch keine Berücksichtigung. Gläubiger können sich nicht einmal darauf verlassen, dass von ihnen formulierte Anforderungen für den Verwalter bei der Entscheidung des Insolvenzgerichts berücksichtigt werden. Bei der Auswahl des Insolvenzverwalters brauchen Gläubiger daher mehr Einflussmöglichkeiten. Konzerninsolvenzrecht fehltAuch enthält das deutsche Insolvenzrecht keine Regelungen für die Insolvenz eines Konzerns. Es basiert auf der Maxime “eine juristische Person, eine Insolvenz, ein Verfahren”. Somit wird für jede einzelne Konzerngesellschaft die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt und der Verwalter ausgewählt. Die Nachteile: Je größer der Konzern, desto mehr unterschiedliche Gerichte und Verwalter können involviert sein. Dadurch ist die Verfügbarkeit von Informationen eingeschränkt und gleichzeitig eine effektive Handhabung der einzelnen Verfahren beeinträchtigt. Dies führt zu längeren Verfahren und höheren Kosten. Zudem kann es zu “Rivalitätskonflikten” zwischen Insolvenzverwaltern auf verschiedenen Ebenen eines Konzerns kommen. Auch wenn in der Praxis Insolvenzrichter nicht selten pragmatisch agieren und ein und denselben Verwalter für mehrere Konzerngesellschaften ernennen, sind ihnen spätestens die Hände gebunden, wenn unterschiedliche Gerichte zuständig sind. Hier gilt es, konzerninsolvenzrechtliche Regelungen einzuführen, die eine formelle Zusammenfassung der verschiedenen Verfahren gewährleisten. Planverfahren unzulänglichSchließlich weist das Insolvenzplanverfahren Unzulänglichkeiten auf. Zwar bietet der Plan insbesondere für die Sanierung einen flexiblen Rahmen; einige Regelungen können sie indes erschweren: Vor allem gehören die Anteile an der schuldnerischen Gesellschaft nicht zur Masse. Dies ist deshalb besonders misslich, weil das Planverfahren darauf abzielt, die unternehmenstragende Gesellschaft zu erhalten und bilanziell zu sanieren. Wenn aber der Verwalter nicht berechtigt ist, über die Anteile, die durch die Insolvenz zunächst wertlos geworden sind, zu verfügen, sinkt der Anreiz für die Gläubiger, an einem Planverfahren mitzuwirken. Auch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital ist erschwert, wenn auch nicht unmöglich. Ein derartiges Obstruktionspotenzial für die Altgesellschafter ist wirtschaftlich nicht gerechtfertigt. Deshalb sollten Regelungen eingeführt werden, die es dem Verwalter ermöglichen, über die Anteile an der schuldnerischen Gesellschaft zu verfügen, wenn die Altgesellschafter hierdurch nicht schlechter gestellt werden als im Rahmen eines Regelinsolvenzverfahrens. Außerdem können einzelne Gläubiger mit Rechtsmitteln gegen den Insolvenzplan eine erhebliche Verzögerung bei der Umsetzung erreichen. Sie haben damit ein Druckpotenzial, das mit dem der “räuberischen Aktionäre” im Aktienrecht vergleichbar ist. Neue Regelungen könnten das Verzögerungsrisiko durch Rechtsschutz im Planverfahren reduzieren.Erfreulicherweise ist inzwischen auch das Bundesjustizministerium alarmiert und beteiligt sich an einer Arbeitsgruppe, die durch den Vergleich mit dem englischen Recht untersucht, inwieweit Änderungsbedarf besteht. Allerdings sollten sich die Reformbemühungen nicht zu sehr und schon gar nicht ausschließlich am englischen Recht orientieren. Zwar kann es – vor allem wenn es zu einer Eintrübung der wirtschaftlichen Lage mit steigenden Zinsen kommt und deshalb einige der fremdfinanzierten Unternehmenskäufe durch Private Equity in die Krise geraten könnten – noch häufiger “Migrations”-Fälle nach dem Muster Schefenacker geben, weshalb in der Praxis weiter der Vergleich mit dem englischen Recht angestellt wird. Es besteht jedoch kein Anlass, das deutsche Insolvenzrecht grundlegend zu reformieren. Viele erfolgreiche Sanierungen seit 1999 haben gezeigt, dass es einen funktionierenden Rahmen für finanzielle und operative Restrukturierungen gibt. Ein Beispiel ist die Sanierung der Drogeriekette Ihr Platz. Hier sind erstmals in einem gläubigerfinanzierten Verfahren die beiden Instrumente Insolvenzplan und Eigenverwaltung parallel erfolgreich eingesetzt worden. Eine Reform des deutschen Insolvenzrechts sollte deshalb “lediglich” das Ziel verfolgen, konkrete Sanierungshindernisse aus dem Weg zu räumen.*) Dr. Lars Westpfahl ist Partner im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer und Vorstandsmitglied der TMA Deutschland.