Recht und Kapitalmarkt

Das Freigabeverfahren sollte beschleunigt werden

Hohe Vergleichsquote kann Verzögerungen verringern - Prozesskostenrecht der Anfechtungsklage gehört erneut auf den Prüfstand

Das Freigabeverfahren sollte beschleunigt werden

Von Christian Gehling *) Anfechtungsklagen waren bis 1937 preiswert. Ihr Streitwert ging in der Regel nicht über den Börsenwert hinaus, den die Aktien des Klägers hatten. Je weniger der Kläger hielt, desto kostengünstiger war die Klage: für Kleinaktionäre ein Anreiz, zu klagen. Der Gesetzgeber beendete die Entwicklung 1937 mit einem kurzen Federstrich und bestimmte, dass künftig das Interesse der Gesellschaft am Fortbestand des Beschlusses für die Bemessung des Streitwerts maßgebend sei. Die Streitwerte schnellten in die Höhe und erreichten nicht selten Millionenbeträge. Anfechtungsklagen von Kleinaktionären wurden rasch zur Ausnahme. Ihre Zahl nahm so sehr ab, dass sich der Gesetzgeber 1965 zu einer Wiederbelebung veranlasst sah. Erneut stand das Prozesskostenrecht Pate: Die Aktiennovelle von 1965 begrenzte den Streitwert für Anfechtungsklagen auf 1 000 000 DM. Durch ein spürbares Prozesskostenrisiko sollten Aktionäre von mutwilligen und unbegründeten Klagen abgehalten werden. Das mit der Klage verbundene Kostenrisiko sollte aber das Anfechtungsrecht nicht erdrücken, so die Vorstellung des Gesetzgebers. AMB und Dürkopp AdlerWie wenig das Konzept des Aktiengesetzes von 1965 zu Ende gedacht war, zeigten zwei spektakuläre Fälle 1987: AMB und Dürkopp Adler. Die AMB Aachen-Münchener Beteiligungs AG hatte im November 1986 für 1,9 Mrd. DM die BfG Bank gekauft. Am 9. März 1987 beschloss die Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung zur Finanzierung des Kaufpreises. Zwei Aktionäre – beide hielten drei Aktien – gaben Widerspruch zu Protokoll und kündigten Anfechtungsklage an. Das Registergericht setzte daraufhin das Verfahren zur Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister aus. Die zur Finanzierung des Kaufpreises erforderliche Kapitalerhöhung drohte zu scheitern, schien jedenfalls vor dem Termin, an dem der Kaufpreis gezahlt werden musste, nicht durchführbar. Die Gesellschaft führte Gespräche mit den Klägern. Diese nahmen den Widerspruch gegen Zahlung von 1,5 Mill. DM zurück und verpflichteten sich, keine Anfechtungsklage zu erheben. Der Weg für die Kapitalerhöhung war damit frei. Kaum war sie durchgeführt, nahm die AMB die beiden Kläger auf Rückzahlung der 1,5 Mill. DM in Anspruch. Mit Erfolg. Riegel vorgeschobenÄhnlich der Sachverhalt bei Adler. Die Hauptversammlung stimmte am 22. Juni 1987 der Verschmelzung mit der Dürkopp GmbH zu. Drei Aktionäre – alle mit weniger als 20 Aktien beteiligt – erhoben Anfechtungsklage. Bei den ersten Gesprächen ließen zwei der drei Kläger erkennen, so berichtet der Bundesgerichtshof, dass sie bereit seien, die Klagen gegen einen “Interessenausgleich” zurückzunehmen. Die Gesellschaft brach die Gespräche sofort ab und machte im Anfechtungsverfahren geltend, die Klagen seien rechtsmissbräuchlich. Der Bundesgerichtshof gab der Gesellschaft recht: Ein Aktionär dürfe Anfechtungsklage nicht mit dem Ziel erheben, “die beklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann”. Darin sei ein Rechtsmissbrauch zu sehen.Dem Abkauf von Anfechtungsklagen war damit ein Riegel vorgeschoben. Die Einsicht, dass Gesellschafter mit wenigen Aktien wichtige Strukturmaßnahmen im Unternehmen erheblich verzögern können, blieb. Der Gesetzgeber reagierte 1994 und führte – zunächst nur für die Verschmelzung – ein Verfahren ein, mit dem angefochtene Hauptversammlungsbeschlüsse vorbei an bestehenden Registersperren und langwierigen Anfechtungsverfahren schnell bestandskräftig werden können: das sogenannte Freigabeverfahren. Es ist als Eilverfahren ausgestaltet und findet heute weit über die Verschmelzung hinaus bei allen wesentlichen Strukturmaßnahmen Anwendung. Ziel des Freigabeverfahrens ist es, das Druck- und Verzögerungspotenzial von Anfechtungsklagen durch eine rasche Eintragung der Verschmelzung zu verringern. Prozessvergleich angestrebtEinen Siegeszug hat das Freigabeverfahren nicht angetreten. Im Gegenteil. Wer das Anfechtungsverfahren rasch beenden will, strebt heute eher einen Prozessvergleich mit den Anfechtungsklägern an. Der Vergleich bietet – so offenbar die Einschätzung der betroffenen Unternehmen – eine zuverlässigere und raschere Lösung als das sieben- bis zwölfmonatige Freigabeverfahren. Mehr als die Hälfte aller Anfechtungsverfahren, ob Strukturmaßnahme oder nicht, werden heute verglichen. Beim Squeeze-out liegt die Vergleichsquote über 80 %. Was aus Sicht der beteiligten Unternehmen im Einzelfall gut, jedenfalls akzeptabel ist, muss kritischer beurteilt werden, wenn man über den Einzelfall hinausblickt. Eine hohe Vergleichsquote bedeutet aus Sicht der Kläger, dass sie nur ein geringes Prozesskostenrisiko tragen. Denn die beklagte Gesellschaft übernimmt mit dem Vergleich in aller Regel die Prozesskosten. Mit anderen Worten: Beim Squeeze-out kann der Kläger schon vor Klageerhebung zu 80 % sicher sein, dass er keine Gerichtskosten trägt und ihm seine außergerichtlichen Kosten erstattet werden. Auch ein Aktionär, der mit seiner Klage offensichtlich unbegründete Rügen vorträgt, kann zu 80 % sicher sein, in den Genuss des Vergleichs zu kommen. Bei einem Vergleich schnellen zudem die Rechtsanwaltsgebühren in die Höhe. Während der Streitwert normalerweise auf den Höchstbetrag von 500 000 Euro beschränkt ist, kann der Vergleichsmehrwert schnell 10 Mill. oder sogar 20 Mill. Euro überschreiten. Die Anwaltsgebühren sind dann attraktiv und liegen häufig über 100 000 Euro, in Einzelfällen auch über 200 000 Euro, wohl gemerkt: nicht insgesamt, sondern für jeden einzelnen Kläger. Splitting erhöht KostenDas alles ist ein Anreiz, ja ein außerordentlicher Anreiz, Anfechtungsklage zu erheben. Ein eindrucksvoller Beleg dafür ist, dass Anfechtungskläger heute häufig nicht nur eine Anfechtungsklage erheben, sondern ihr Anfechtungsrecht splitten, also zugleich im eigenen Namen und im Namen von nahestehenden Personen oder einer ihnen gehörenden Gesellschaft Anfechtungsklage erheben. Da eine Anfechtungsrüge kein höheres Gewicht gewinnt, wenn sie mehrmals erhoben wird, geht es beim Splitten von Anfechtungsklagen offensichtlich nicht mehr um legitime Rechtskontrolle, sondern um Ausnutzung des – als vorteilhaft empfundenen – Gebührenrechts. Das Resultat: Anfechtungsverfahren mit 30, 40 und mehr Klägern sind keine Ausnahme. Wie sollte der Gesetzgeber reagieren? Sicher durch eine Beschleunigung des Freigabeverfahrens. Das Freigabeverfahren muss ein ernst zu nehmender Wettbewerber des Vergleichs werden. Dazu liegen Vorschläge des Frankfurter Professors Theodor Baums und des Deutschen Aktieninstituts vor. Aber auch das Prozesskostenrecht der Anfechtungsklage gehört erneut auf den Prüfstand. Es sollte ein Höchstbetrag für den Vergleichsmehrwert eingeführt werden. Die allgemeine Wertgrenze des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes von 30 Mill. Euro ist zu hoch. Auch sollte das Splitten von Anfechtungsrechten nicht durch das Prozesskostenrecht belohnt werden. Einfache ErstattungDas Gesetz sollte daher vorsehen, dass jedenfalls bei Mehrfachklagen von nahestehenden Personen nur eine einfache Erstattung von außergerichtlichen Kosten geschuldet ist. Es muss darüber hinaus verhindert werden, dass die Parteien fiktive Vergleichsmehrwerte vereinbaren. Daher sollte das Gesetz bestimmen, dass allein das Gericht – und zwar notwendig nach Wirksamwerden des angegriffenen Beschlusses – über den Streitwert entscheidet. Schließlich sollte dem Gericht aufgegeben werden, für jeden Kläger nach freiem Ermessen anhand der Erfolgsaussichten seiner Klage eine Streitwertquote auszuweisen, die für die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten maßgebend ist. Wenn der Kläger eine unbegründete Anfechtungsklage erhebt, trägt er dann zwar immer noch nicht das Prozesskostenrisiko, das er bei isolierter Beurteilung seiner Anfechtungsklage tragen würde. Das Prozesskostenrecht bietet ihm aber – anders als heute – auch keinen besonderen Anreiz, eine Anfechtungsklage zu erheben. *) Christian Gehling ist Partner bei Broich Bezzenberger.