Recht und Kapitalmarkt

Delisting als Sprungbrett zum Taking Private

Relativ unbürokratisches Abfindungsangebot - Geringes Erpressungspotenzial von Berufsklägern

Delisting als Sprungbrett zum Taking Private

Von Christian E. Edye und Dirk Kocher *) Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass strategische Käufer und Finanzinvestoren bei öffentlichen Übernahmen börsennotierter Gesellschaften meist keine hohen Beteiligungsquoten mehr erreichen können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie – wie nachvollziehbar – nicht bereit sind, übermäßige Prämien auf die aktuellen Börsenkurse zu zahlen. Einer hohen Annahmequote steht dabei zum einen die Aktivität von Hedgefonds entgegen und zum anderen, dass auch viele Kleinanleger ihre Aktien behalten und darauf spekulieren, bei späteren Strukturmaßnahmen deutlich höhere Abfindungen zu erhalten. Es gibt sogar spezialisierte Vermögensverwalter, die für ihre Kunden gezielt in Aktien von Kandidaten für Strukturmaßnahmen investieren. Der Investor erzielt daher sehr selten schon im ersten Anlauf die für einen Squeeze-out erforderliche Beteiligungsquote von 95 %. Selbst eine Hauptversammlungsmehrheit von 75 %, die zum Beispiel für einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag erforderlich ist, kann häufig nicht erreicht werden. BGH-EntscheidungDamit stellt sich für einen Investor, der an dem Unternehmen interessiert ist, die Frage, wie er jedenfalls mittelfristig auf höhere Beteiligungsquoten kommen kann. Dazu bedarf es neben der Bereitschaft zu etwas Geduld eines klaren Konzeptes, das eine ganze Vielzahl von Einzelschritten beinhaltet. Ein Baustein sollte aber in jedem Fall auch ein Delisting der Gesellschaft sein. Hierfür ist lediglich erforderlich, dass der Investor zumindest die einfache Mehrheit erreicht. Wie seit der Macrotron-Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2002 feststeht, kann er dann nämlich durch einen Hauptversammlungsbeschluss mit einfacher Mehrheit die Grundlage für ein solches reguläres Delisting schaffen, also den Rückzug vom offiziellen Börsenhandel am Regulierten Markt. Es ist erstaunlich, dass es seit der BGH-Entscheidung nur wenige Delistings gegeben hat. Gegenüber den gesetzlich geregelten Strukturmaßnahmen hat ein solches nämlich neben der niedrigeren Hauptversammlungsmehrheit auch viele andere Vorteile. So ist das Delisting einfacher durchzuführen als Strukturmaßnahmen wie etwa Unternehmensverträge oder Squeeze-out: Zwar ist auch hier ein Abfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre zum aktuellen Unternehmenswert erforderlich, und der wird ebenso nach dem Standard IDW S1 ermittelt. Das Abfindungsangebot des Hauptaktionärs ist relativ unbürokratisch, da es nicht den Regeln des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes unterliegt, so dass keine von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu prüfende Angebotsunterlage erforderlich ist. Anders als bei Strukturmaßnahmen sind außerdem vor der Hauptversammlung keine aufwendigen Berichte oder die Prüfung durch einen gerichtlich bestellten Prüfer erforderlich. Insoweit ist es durch ein Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. August 2007 (Az. 23 O 139/06) kurzfristig zu einer gewissen Unsicherheit gekommen. Darin wurden ein Bericht und dessen Prüfung gefordert. Diese Unsicherheit ist aber mittlerweile beseitigt, da das OLG Celle mit Urteil vom 7. Mai 2008 (Az. 9 U 165/07) das abweichende Urteil des Landgerichts Hannover wieder aufgehoben hat. Anders als gängige Strukturmaßnahmen wird das Delisting auch schon durch die Entscheidung der Börse wirksam, nicht erst mit Eintragung ins Handelsregister. Da die Börsen den Widerruf der Zulassung zum Handel regelmäßig trotz laufender Anfechtungsklagen beschließen, ist das Verzögerungs- und Erpressungspotenzial von Berufsklägern beim Delisting entsprechend gering. Es ist beim Delisting lediglich eine bestimmte Wartefrist ab Veröffentlichung der Entscheidung der Börse abzuwarten. Diese Wartefrist variiert zwischen den einzelnen Börsen, in Frankfurt liegt sie zwischen drei und sechs Monaten. Abzustellen ist dabei immer auf den Wegfall der letzen Zulassung, so dass es ratsam sein kann, zunächst den Widerruf bei solchen Börsen zu beantragen, bei denen die Wartefrist länger wäre, wenn man bei ihnen das eigentliche Delisting durchführen würde. Hoher AbgabedruckFür den Hauptaktionär ist ein Delisting noch aus einem weiteren Grund attraktiv: Der Wegfall der Börsennotierung sorgt bei vielen Aktionären für einen hohen Abgabedruck, da sie nicht in illiquiden Papieren investiert sein wollen oder – wie viele Fonds – sein dürfen. Das gibt dem Hauptaktionär eine Chance, seine Beteiligung durch das Abfindungsangebot oder parallele Paketkäufe signifikant aufzustocken und damit wichtige Schritte in Richtung der entscheidenden Schwellen von 75 % und 95 % zu tun. Zwar wird der Börsenhandel im Freiverkehr nach einem Delisting häufig noch längere Zeit aufrechterhalten. Aber dies mildert den Abgabedruck nur wenig, denn die Umsätze im Freiverkehr sind meistens so gering, dass dieser den Aktionären keine realistischen Desinvestitionsmöglichkeiten gibt. Auch Bewertungsfragen können den Hauptaktionär dazu veranlassen, möglichst frühzeitig viele Aktien aus dem Markt zu nehmen. Am besten geschieht dies durch Paketkäufe von Aktionären, die nach dem Delisting nicht mehr in einem illiquiden Papier investiert sein wollen oder dürfen. Parallel zum Delisting frei erworbene Aktien unterfallen nämlich nicht mehr einem Spruchverfahren über die Abfindungshöhe. Und noch eins darf nicht vergessen werden: Am Ende aller Tage werden in fast jedem Fall mit Spruchverfahren behaftete Umstrukturierungsmaßnahmen folgen müssen. Je nach der Unternehmenssituation mag es dabei Konstellationen geben, bei denen es sich lohnt, frühzeitig über ein Delisting zusätzliche Aktien aus dem Markt zu nehmen. Denn wenn sich die Akquisitionslogik des Investors bewahrheitet, mag ein frühes Spruchverfahren sinnvoll sein, bevor sich etwa die erwarteten Synergieeffekte einstellen und den Unternehmenswert erhöhen.Gleichzeitig führt der Wegfall der Börsenzulassung bei der AG selbst zu erheblichen Kostenersparnissen, weil viele umständliche kapitalmarktrechtliche Vorschriften dann nicht mehr anwendbar sind. Daran ändert auch ein weiterhin stattfindender Freiverkehrshandel nichts, wenn nicht die Gesellschaft selbst die Zulassung zu einem besonders regulierten Segment des Freiverkehrs mit entsprechenden Zulassungsfolgepflichten beantragt. Aus diesem Grund liegt das Delisting regelmäßig auch im Unternehmensinteresse und kann daher vom Vorstand mit gutem Gewissen beantragt werden. Unternehmen mit einem Großaktionär sind zur Finanzierung selten auf den Kapitalmarkt angewiesen.Ab einem bestimmten Stadium werden auf dem Weg zum Taking Private häufig Strukturmaßnahmen wie Unternehmensverträge und Squeeze-out durchgeführt. In diesen Fällen ist es empfehlenswert, diese mit einem Delisting zu verbinden. Damit können große Einsparungen deutlich früher realisiert werden und die Verhandlungsposition gegenüber Berufsklägern und manchen Hedgefonds kann deutlich verbessert werden. Ein schneller Wegfall der Börsenzulassung schon vor Wirksamwerden eines Squeeze-out kann zum Beispiel dann besonders attraktiv sein, wenn dadurch Kosten für einen Jahresabschluss nach IFRS eingespart werden können. Das führt dazu, dass es in Einzelfällen sogar sinnvoll sein mag, einen Squeeze-out-Beschluss mit einem Delisting zu verbinden, um das Einsparungspotenzial noch im laufenden Geschäftsjahr zu realisieren. Wird das Delisting mit einer Strukturmaßnahme verbunden, löst es außerdem keinen nennenswerten Zusatzaufwand aus.Auf großes Interesse ist in letzter Zeit auch ein Beschluss des OLG München vom 21. Mai 2008 (Az. 31 Wx 62/07) gestoßen, wonach der Wegfall der offiziellen Börsenzulassung sogar ganz ohne Hauptversammlungsbeschluss und Abfindungsangebot geschehen kann, solange ein Handel in einem besonders regulierten Segment des Freiverkehrs (hier das Segment M:access der Börse München) gewährleistet bleibt. Nicht zielführend Das mag als erster Schritt für kleinere AGs durchaus interessant sein. Für das hier beschriebene Szenario ist es aber häufig ungeeignet. Denn durch die hohe Regulierungsdichte und die typischerweise große Liquidität dieser Marktsegmente im Freiverkehr sind weder die erzielbaren Kosteneinsparungen noch der Abgabedruck auf die Minderheitsaktionäre groß genug, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Da das Abfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre sowohl den Ertragswert als auch den gewichteten Dreimonatsdurchschnittskurs als Mindestpreise hat, mag es bei vielen Gesellschaften attraktiv sein, die im Moment stark gefallenen Börsenkurse zu nutzen und das Delisting jetzt anzustreben. Ein wesentlicher Baustein für ein Taking Private ist es aber in jedem Fall. *) Dr. Christian E. Edye ist Partner und Dr. Dirk Kocher Associate der internationalen Rechtsanwaltssozietät Latham & Watkins LLP, Hamburg.