Recht und Kapitalmarkt

Der Fall Conti - Gesetzeslücken schließen oder aushalten?

Rechtspolitische Zielsetzung und Praxis dürfen nicht verschiedene Wege gehen - Umgehungsfeste Regelung der Meldepflichten gefragt

Der Fall Conti - Gesetzeslücken schließen oder aushalten?

Von Norbert Bröcker *) Die Pulverschwaden lichten sich, die Schlacht scheint bis auf letzte Scharmützel geschlagen. Siegreich geht ein Angreifer vom Feld, der mit Wagemut, Nervenstärke und Raffinesse den dreimal größeren Gegner mit einem überraschenden und schnellen Angriff niedergerungen hat, ohne ihm seine Ehre zu nehmen. “Feindliche” Übernahmen machen die Versuchung unwiderstehlich, den Kapitalmarkt zum Schlachtfeld zu erklären und die Auseinandersetzung mit militärischen Sprachbildern zu beschreiben – und das umso mehr, wenn wie bei Schaeffler und Continental sich auch ein Romanschreiber die begleitenden Umstände kaum schöner hätte ausdenken können. Allerdings: Der Kapitalmarkt ist kein Schlachtfeld und die Übernahme eines börsennotierten Unternehmens kein Krieg, sondern ein gesetzlich umfangreich regulierter Vorgang. Übernahmerecht ist kein Kriegsrecht, sondern Bestandteil der rechtlichen Verfassung eines jeden entwickelten Finanzplatzes.Die vom Gesetzgeber im Übernahmerecht gesetzten Maßstäbe und verfolgten Ziele sind dabei eindeutig: Vom Zielunternehmen unerwünschte Übernahmen sollen nicht erschwert oder gar verhindert werden. Das Zielunternehmen hat nur eingeschränkte Abwehrmöglichkeiten. Zugleich soll jedoch der Übernehmer seine Beteiligung frühzeitig offenlegen und durch die entsprechenden Meldepflichten daran gehindert werden, das Zielunternehmen und seine Aktionäre vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das rechtspolitische Ziel, ein unerkanntes Anschleichen von Investoren zu verhindern, ist soeben durch das Risikobegrenzungsgesetz noch einmal bekräftigt worden, in dem insbesondere die Regeln zur Meldung von Geschäften in Bezug auf Aktien des Zielunternehmens und zum Acting in Concert nochmals verschärft werden.Genau hier wird der Fall Schaeffler/Continental spannend. Das Vorgehen von Schaeffler löste deshalb zwiespältige Reaktionen aus, weil zwischen Bewunderung solch raffinierter Findigkeit bei der Nutzung von Gesetzeslücken und Empörung über die Überrumpelung geschwankt wird. Anders gesagt: Schaeffler konnte sich den kontrollierenden Einfluss auf Continental zu einem – trotz Aufstockung des Angebots – allgemein als günstig eingeschätzten Preis deshalb sichern, weil die Absichten entgegen der klaren rechtspolitischen Zielsetzung des Übernahmerechts erst bekannt wurden, als alles schon geschehen war. Zu Recht enttäuschtWer als Continental-Aktionär darauf vertraut hat, der Gesetzgeber werde sein rechtspolitisches Ziel, ein unerkanntes Anschleichen zu verhindern, durchsetzen, wird zu Recht enttäuscht sein und sich um eine andernfalls vermutlich weit höhere Übernahmeprämie gebracht sehen.Das führt zu der Lehre, die aus Schaeffler/Continental gezogen werden muss: Rechtspolitische Zielsetzung und praktisches Geschehen dürfen nicht verschiedene Wege nehmen. Wäre das Vorgehen von Schaeffler gesetzeskonform, wird künftig jeder Angreifer so oder ähnlich vorgehen – woran übrigens das Risikobegrenzungsgesetz wohl nichts ändert. Das Anschleichen wird zur Regel, das gegenläufige rechtspolitische Ziel und die zugehörigen Gesetzesbestimmungen werden zur Farce. Kapitalmarktregeln, die faktisch ins Leere laufen, weil sie mit juristischer Kunstfertigkeit umgangen werden können, zerstören das Vertrauen in den Finanzplatz. Entweder muss also das rechtspolitische Ziel, ein unerkanntes Anschleichen zu unterbinden, effektiv umgesetzt werden. Oder Anschleichen muss als legitimes Mittel des an einer Übernahme interessierten Angreifers neu eingeordnet und akzeptiert werden.Letzteres ist nicht ohne Charme. Kauf und Verkauf von Aktien richten sich nach dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Der Verkäufer kann seine Entscheidung zur Veräußerung danach treffen, ob ihm der gebotene Preis genügt oder nicht; ob der Erwerber zugleich das Ziel verfolgt, eine Kontrollmehrheit zu erlangen, kann ihm dagegen im Grunde gleichgültig sein. Oder vielmehr: Es könnte ihm gleichgültig sein, wenn er nicht anderenfalls einen höheren Preis verlangen könnte und als Übernahmeprämie vielfach auch bekäme.Warum aber soll der Übernehmer verpflichtet sein, seine Absichten frühzeitig zu offenbaren und so das eigene Vorhaben drastisch zu verteuern? Ein genauerer Blick zeigt freilich, dass sehr viel dafür spricht, ihm ebendiese Verpflichtung aufzuerlegen, mag sie auch seinen eigenen Interessen zuwiderlaufen. Der börsliche Aktienhandel gilt als Markt, der einer in einem idealen Markt bestehenden vollständigen Transparenz zumindest am nächsten kommt – so groß die Distanz zwischen Ideal und Realität auch immer bleiben wird. Zur Transparenz gehört es aber durchaus, wenn ein Veräußerer weiß, dass ein Kaufinteressent ein besonderes Interesse am Erwerb der jeweiligen Aktien hat und offenbar deren inneren Wert deutlich höher einschätzt, als es sich im aktuellen Kurs widerspiegelt. Außerdem wird irgendwann das Übernahmeinteresse unvermeidlich offenbar – sei es erst durch Abgabe eines Angebots. Spätestens dann ist in der Regel eine Übernahmeprämie anzubieten. Damit aber stünden die Aktionäre, die früher und in Unkenntnis der Übernahmeabsicht abgestoßen haben, ohne vernünftigen Grund schlechter als diejenigen, die erst später abgeben. Vor diesem Hintergrund kann es schließlich nicht überraschen, dass an wohl sämtlichen etablierten Finanzplätzen Regeln gelten, die ein unerkanntes Anschleichen verhindern sollen. Es entspricht also einer allseits anerkannten Wertung, den Aktionären eines Zielunternehmens frühzeitig eine Übernahmeprämie zuzugestehen. Der Angreifer soll sich nicht anschleichen, und er soll sein Ziel nicht zu billig erreichen.Wenn die Verhinderung unerkannten Anschleichens demnach das markttheoretisch wünschenswerte und – deshalb – rechtspolitisch gebotene Ziel ist, muss es auch konsequent umgesetzt werden. Lücken für besonders geschickte Marktteilnehmer darf es nicht geben oder allenfalls insoweit, wie der praktischen Durchsetzbarkeit jeder Gesetzesregelung Grenzen gesetzt sind, aber jedenfalls nicht in einem Umfang, der am Ende die Ausnahme zur Regel werden lässt. Wenn man unterstellt, dass auch das Risikobegrenzungsgesetz ein Vorgehen wie jetzt das von Schaeffler gewählte nicht erfasst, folgt daraus die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber abermals zum Handeln aufgerufen wäre. Nun ist beim Ruf nach dem Gesetzgeber generell Zurückhaltung geboten, und bei den wahrlich nicht unterregulierten Kapitalmärkten gilt dies ohnehin. Deshalb wird dem Ruf nach einer weiteren Verschärfung der Meldepflichten gern entgegnet, dies würde die Marktteilnehmer über Gebühr einengen, zu größerer Rechtsunsicherheit führen und nie alle denkbaren Fallkonstellationen erfassen können. Nicht nur halbherzig Nicht überzeugen kann es aber, ein rechtspolitisch akzeptiertes Regulierungsziel nur halbherzig umzusetzen, weil andernfalls angeblich Überregulierung drohe. Ebenso scheint in der Sache eine wirksame Ausgestaltung der Meldepflichten möglich. Was immer an Finanzinstrumenten genutzt werden mag, stets muss es sich – wie auch bei den von Schaeffler genutzten Swaps – um ein Geschäft handeln, das sich auf die Aktien des Zielunternehmens bezieht. Dieses Charakteristikum sollte jedoch eine hinreichend klare und umgehungsfeste Regelung der Meldepflichten erlauben.Sollte es dazu kommen, dass Übernehmer ihre Absichten frühzeitig offen legen müssen, werden bei künftigen Übernahmeversuchen die aus dem Militärischen bekannten Kategorien der Taktik und des Überraschungsangriffs eine geringere Rolle spielen. Stattdessen könnten Fragen des Unternehmenswerts und des angemessenen Preises in den Vordergrund rücken. Für den Kapitalmarkt wäre das nicht das Schlechteste. *) Dr. Norbert Bröcker ist Partner der Rechtsanwaltssozietät Hoffmann Liebs Fritsch & Partner.