Anlageprodukte - Interview mit Chr. Grabbe, Baader Bank

"Der Handel über die Börse ist attraktiv"

Starkes Produktwachstum strapaziert Infrastruktur

"Der Handel über die Börse ist attraktiv"

Der Derivatemarkt hat sich auch im zweiten Jahr nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers weiter erholen können. Das von den Banken in Zertifikaten verwaltete Vermögen wuchs 2010 um 4,7 % auf 108 Mrd. Euro im September. Christian Grabbe, Zertifikatespezialist bei der Baader Bank, beschreibt im folgenden Interview die Negativseiten des starken Produktwachstums.- Herr Grabbe, das Jahr neigt sich dem Ende zu. Was hat Sie am Zertifikatemarkt 2010 am meisten überrascht?In einem Umfeld niedriger Zinsen hatte ich gehofft, dass Zertifikate mit Renditeoptimierung schnell wieder gesucht würden. Das war nicht der Fall, es standen im ersten Halbjahr die spekulativen Hebelprodukte stark im Fokus. Darum habe ich mir auch Sorgen um das Zertifikat in der Akzeptanz beim Anleger gemacht.- Hat der Zertifikatemarkt das Trauma Lehman Brothers hinter sich gelassen?Es soll kein Widerspruch zu meiner vorigen Antwort sein, aber mittlerweile ist das Trauma Lehman überwunden. Es hat aber tatsächlich bis in den Herbst gedauert. Seit Oktober sehen wir nun wieder stark steigende Umsätze in allen Zertifikate-typen, in fast allen Basiswerten, über verschiedenste Laufzeiten und Emittenten. Ja, das Zertifikat ist wieder da!- Laufend kommen neue Emittenten auf den Markt. Wann sehen wir eine Konsolidierung unter den Anbietern?Die Eintrittsbarrieren sind auf dem deutschen Markt eher niedrig. Das klingt positiv, stellt aber gleichzeitig ein Problem dar. Die Emittenten arbeiten schon heute bei einigen Produkten am Selbstkostenpreis. Das gilt beispielsweise stark für die Hebelprodukte. Die Schraube kann kaum noch weiter angezogen werden. Darum ist der natürliche nächste Schritt eine Konsolidierung.- Das Produktangebot hat die Zahl von 500 000 Papieren überschritten. Die BaFin hat jetzt die Prüfungsgebühren auf 1,5 Euro gesenkt. Ist diese Produktzahl noch sinnvoll?Mir machen die 500 000 heute wenig Sorgen. Kopfzerbrechen bereiten mir die bis in zwölf Monaten von mir erwarteten 750 000. Grundsätzlich ist eine Vielzahl von Produkten wünschenswert, weil es mehr Wettbewerb bringt. Nur wird damit auch vermehrt die Infrastruktur bei Online-Brokern, Börsen, Kursvermarktung und Stammdaten strapaziert. Das macht mir Sorgen, da diese absehbar mit der schieren Menge überfordert werden.- Welches Produkt hat sich zum größten Konkurrenten der Derivate entwickelt? ETF oder CFD?Beide Produkte haben eine absolute Daseinsberechtigung – neben den Zertifikaten. Die CFD (Differenzkontrakte) richten sich an sehr aktive Anleger, deren Menge limitiert ist. Die ETF (Exchange Traded Funds) richten sich an ein viel breiteres Publikum, bieten aber keine Renditeoptimierung entsprechend Discount und Bonus. Ich sehe aber bei den ETF noch ein erhebliches Potenzial für Privatanleger.- Warum haben die besicherten Zertifikate nur wenig Anhänger gefunden?Die Besicherung gibt es nicht umsonst. Die Anleger haben lieber auf den aus ihrer Sicht verlässlichen Emittenten gesetzt. Das ist in der Überlegung nicht abwegig. Bei einigen Emittenten würde deren Ausfall einen erheblichen Einfluss auf den gesamten Aktienmarkt haben. Was hilft eine Feuerversicherung, wenn das Haus einem Erdbeben zum Opfer gefallen ist?- 30 % der Derivate werden nur noch börslich gehandelt. Ist der Börsenhandel eine aussterbende Handelsplattform?Börsen stehen mit alternativen Plattformen in einem Preiswettbewerb. Auch die Handelszeiten bieten den OTC-Plattformen Wettbewerbsvorteile. Trotzdem: Ohne Börsen würde sich der Wertpapierhandel in einer kompletten Grauzone befinden. Damit ist keinem gedient.- Wie könnte man den Börsenhandel wieder attraktiver machen?Der Handel über die Börse ist attraktiv. Er ist hochgradig effizient – mehr als OTC-Systeme, er ist überwacht, transparent und schnell. Es gilt, den Marktteilnehmern in der Abwicklung Effizienzen einzuräumen.- Wie sehen Sie die Entwicklung des Marktes 2011?Die Euro-Krise hat auch ihre Vorteile: schwacher Euro und niedrige Zinsen. Das ist das größte Konjunkturprogramm. Daran wird sich im kommenden Jahr nicht viel ändern. Gleichzeitig bieten Sachwerte wie Aktien eine Risiko-Alternative. Wir gehen von weiter steigenden Kursen aus. Das wird auch den Markt für Zertifikate weiter beflügeln.- Was ist die größte Herausforderung für den Spezialisten von Derivaten im kommenden Jahr?Die Herausforderung wird – wie schon im alten Jahr – die Technik sein. Was unter dem Begriff Prozessoptimierung läuft, bedeutet für Anleger eine noch höhere Qualität in der Ausführung. Limit- und Stop-Loss-Orders werden beispielsweise heute in Scoach schneller ausgeführt als an irgendeiner anderen Börse oder OTC. Daran gilt es weiter zu arbeiten.—-Das Interview führte Armin Schmitz.